A wie Alkohol

Zwei Millionen Alkoholabhängige und jährlich rund 70.000 Alkoholtote – da müssten hierzulande eigentlich ständig die Alarmglocken Sturm läuten. Wie viel Gesundheit wir da retten und wie viele Tote wir vermeiden könnten!

Sehr gern wird beim Streit ums Thema Alkohol der berühmte Spruch des medizinischen Übervaters Paracelsus zitiert: „Die Dosis macht, ob etwas Arznei oder Gift sei“. Soll heißen: „In Maßen ist es doch gesund“. So, so. Woher stammen solche positiven Aussagen zur Alkoholwirkung, sofern nicht direkt von Stammtischen oder aus PR-Abteilungen der Alkoholwirtschaft? In erster Linie aus Bevölkerungsstatistiken, also sog. epidemiologischen Studien. Dabei werden Gruppen von Menschen über mehrere Jahre beobachtet und ihr Lebensstil ins Verhältnis zu den im Laufe der Zeit auftretenden Erkrankungen gesetzt. Die Hochdosistrinker zeigten sich dabei verständlicherweise als besonders gefährdet. An zweiter Stelle der Lebenserwartung standen häufig die Abstinenzler (Nulltrinker), demgegenüber kamen jene besser weg, die mäßig Alkohol konsumierten. Alles klar? Für die Alkoholpropaganda schon: „Mäßiger Alkoholkonsum ist gesund.“ Dies lässt sich aber aus den Statistiken gar nicht schließen, vielmehr zeigt sich bei genauerem Hinsehen:

  • Viele Nulltrinker waren vorher Alkoholiker, daher erklärt sich ihr erhöhtes Krankheitsrisiko und die reduzierte Lebenserwartung.
  • Daneben gibt es die Gruppe jener kränkelnden Personen, die keinen Alkohol vertragen und daher die Finger davon lassen.
  • Gleiches gilt für jene, die wegen der Einnahme stark wirksamer Medikamente (verschiedene Antibiotika, Schlaf- und Beruhigungsmittel, Blutverdünnungsmitteln wie Marcumar, Antidepressiva, Parkinson- und Epilepsie-Mittel usw.) auf Alkohol verzichten müssen, d.h. hierbei handelt es sich um Vorerkrankte.

Abstinenzler sind also nicht kränker, weil sie auf Alkohol verzichten, sondern eher trinken sie keinen Alkohol, weil sie ohnehin (zum großen Teil) schon kränker sind. Es wäre fatal, wenn man Ihnen dazu raten würde, regelmäßig ein „gesundes Gläschen“ zu konsumieren! Schaut man dagegen gezielt auf solche gesellschaftlichen Gruppen, die z. B. aus religiösen Gründen Alkohol konsequent meiden, so zeigt sich dort eine deutlich höhere Gesundheit und Lebenserwartung als bei den mäßigen Alkoholkonsumenten. „Echte“ Abstinenzler leben gesünder (evtl. nicht nur wegen der Abstinenz).

Ein in Argumentationen pro „Stöffchen“ oft bemühter Aspekt ist etwas komplexer: Es gibt ziemlich viele Daten, die dafür sprechen, dass Alkohol tatsächlich in gewisser Weise der Arteriosklerose entgegenwirkt und den Cholesterinspiegel positiv beeinflusst – das gute Cholesterin HDL hebt, das schlechte LDL senkt – aber wohl nur bei Patienten, die zu niedrige HDL-Anteile aufweisen. Als „Gefäßschutz“ kann man den Sprit sowieso nicht bezeichnen, da er unter anderem den Blutdruck und die Triglyzeride (andere riskante Blutfette) erhöht. Und selbst wenn er vielleicht das Risiko für Herzinfarkt bei Patienten zwischen 60 und 70 senkt (sofern sie nicht bereits „vorerkrankt“ sind!), so erhöht er schon in kleinen regelmäßig konsumierten Mengen das Risiko für Schlaganfall.

Während die gesundheitsfördernde Wirkung von Alkohol also bezweifelt werden muss, sind die schädlichen Effekte längst erwiesen. Besonders prominent: Jeglicher Alkoholkonsum erhöht das Krebsrisiko. Ein halber Liter Wein täglich bedeutet ein um 50 Prozent erhöhtes Krebsrisiko. Hauptverursacher vieler Risiken dürfte das Gift Acetaldehyd sein, das im Körper beim Abbau von Alkohol entsteht. Außerdem ist es in unterschiedlichen Mengen in alkoholischen Getränken ohnehin vorhanden, da es bei der alkoholischen Gärung entsteht und teilweise sogar als Aromastoff geschätzt wird. Frauen „vertragen“ bekanntlich deutlich weniger, und zwar aufgrund der geringeren Ausstattung mit dem Alkhol-abbauenden Enzym Alkoholdehydrogenase (ADH). Jede fünfte Frau zwischen 45 und 54 konsumiert deutlich zu viel und erhöht damit u. a. ihr Risiko für Brustkrebs (und andere Krebsarten). Dies haben zahlreiche Studien (z. B. Million Women Study) bestätigt.

Hilft er nicht gut gegen Stress? Nö. Vom Trinken kommt nur sehr kurzfristige Entspannung. Er löst die Zunge, die Ergebnisse davon sind vielleicht manchmal entspannend. Als Schlafmittel ist Alkohol sogar gänzlich ungeeignet: Er reduziert die erholsamen Tiefschlafphasen und verschiebt die inneren biologischen Rhythmen. In der Folge tritt Schlaflosigkeit auf – und tagsüber Müdigkeit, wegen der negativen Wirkungen auf das Schlafverhalten, aber auch weil die Müdigkeit der „Schmerz der Leber“ ist. 

Wenn Alkohol als Medikament zugelassen werden müsste, würde es durchfallen – aufgrund des ungünstigen Verhältnisses zwischen nicht ausreichend belegten oder bestenfalls schwach positiven Wirkungen und der allerdings langen Liste an bewiesenen Nebenwirkungen: Er erhöht das Risiko für Krebs, Bluthochdruck, Osteoporose und Diabetes, treibt das Gewicht in die Höhe, lässt die Gicht zum Ausbruch kommen, schädigt die Leber, verschlechtert die Wundheilung und noch viel mehr. Nicht zu vergessen: Alkohol schwächt das Immunsystem erheblich, da dreht er gleich an mehreren Schrauben – die Fresszellen werden behindert, ebenso die Produktion abwehrfördernder Botenstoffe, der Vitaminverbrauch wird gleichzeitig gesteigert.

Kurzum, wer trinken mag, sollte es sich nicht mit pseudomedizinischem Wissen schönreden, sondern meinetwegen gerne genießen – solange es wirklich um Genuss geht und nicht „sich wegballern“.

PS. Alkoholabhängigkeit ist prinzipiell psychotherapeutisch behandelbar, vorausgesetzt die Betreffenden sind zur Abstinenz bereit und in der Lage; in die Lage versetzt werden sie durch eine der eigentlichen Therapie vorausgehende Entzugsbehandlung. Die „Heilungschancen“ liegen bei etwa 50 %, ganz geheilt ist man vermutlich nie, eine gewisse Neigung oder ein Risiko verbleiben. Das ist aber nur eines der Probleme der Therapie. Menschen mit krankhaftem Alkoholkonsum haben häufig keine Krankheitseinsicht und keine echte Veränderungs- und Therapiemotivation. Selbst wenn sie sich aus anderen Gründen (z.B. Depressionen, Angststörungen) in Behandlung begeben oder wenn sie „geschickt“ werden, versuchen sie teilweise die Alkoholabhängigkeit zu bagatellisieren oder zu verschweigen. In der Regel kann aber eine Psychotherapie nur unter Abstinenz Erfolg haben, wobei einzelne Rückfälle nicht zum Therapieabbruch führen müssen, solange die Einsicht besteht, dass sie therapieschädlich sind, und die Rückfälle daher offengelegt werden.