Diese Methode der systemischen Therapie und Beratung ist irgendwo zwischen berühmt und berüchtigt anzusiedeln, vor 25-30 Jahren mehr und mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten – durch die spezielle Art von „Familienaufstellungen“, die Bert Hellinger geprägt hat. Es gibt allerdings viele Arten, Aufstellungen zu machen und sie im Therapie- oder Beratungsprozess zu nutzen. Wenn Sie sich schon einige Zeit mit Therapie befassen (und nicht nur dann), haben Sie mit Sicherheit schon von „Aufstellungen“ gehört oder selbst an solchen teilgenommen: als „Stellvertreter“ (Repräsentant) oder sogar als „Aufsteller“ (Auftraggeber). Beziehungen und Beziehungsgeflechte (also z.B. auch auf der Arbeit oder in einem Verein) werden im Raum aufgestellt und so sichtbar gemacht. Dann wird das System in gewisser Weise seinem Eigenleben überlassen – und der Intuition und Intervention des Therapeuten, der die Aufstellung (beg)leitet. Aus dem Ursprungsbild entsteht so Schritt für Schritt oder manchmal auch ganz überraschend ein neues Bild. Ungeahnte Zusammenhänge treten zu Tage – und dabei können sich auch Lösungswege abzeichnen.

Aufstellungen bringen Bewegung in den manchmal festgefahrenen Therapie- oder Beratungsprozess. „Spüren statt Sinnieren, Bewegen statt Reden“. Es ist eine lebendige Arbeit, die – obwohl das vielleicht komisch klingt im Kontext von Therapie – richtig Spaß machen kann, auch wenn es um ersnte Themen geht. Daher reagieren viele Klienten auf die Frage: „Wollen wir etwas aufstellen?“ mit der Antwort „Au, ja!“. Allerdings, losgelöst als einzelnes „Event“ wird ihr Wert überschätzt, sie macht vor allem Sinn im Rahmen eines strukturierten Beratungs- oder Therapieprozesses.

Ich selbst als Klient habe erst einige Zeit, und anfangs mit gehöriger Skepsis, bei Aufstellungen zugeschaut (glücklicherweise wurde mir dies gestattet), mich dann als Vertreter aufstellen lassen, bevor ich genug Vertrauen in die Methode hatte – und in die Aufstellungsleiter, nämlich vor allem meine Ausbilder. Ich habe bei verschiedenen Ausbilderinnen und Ausbildern gelernt, manche, die mehr in Stille arbeiten, andere, bei denen die Sätze eine große Rolle spielen, manche, die viel intervenieren, andere, die es mehr laufen lassen.

Aufstellungen sind kein Orakel! „Herr Wagner, ich habe von meiner Therapeutin gehört, dass Sie Aufstellungen machen. Kann ich eine Aufstellung bei Ihnen haben?“ Solche oder ähnliche Anfragen führen meist nicht zu einer Aufstellung bei mir. Wieso? Weil ein Missverständnis vorliegt: Es handelt sich bei Aufstellungen nicht um Hellseherei. Da passieren manchmal unerwartete Dinge „im Feld“ zwischen den Repräsentanten – und der Auftraggeber erhält ein neues Bild (was im Übrigen auch mal sehr verwirrend sein kann!), aber nicht „die“ Wahrheit. So wie ich diese Arbeit verstehe, ist sie nicht (primär) spirituell, sondern rational: Wir prüfen verschiedene Hypothesen und Optionen. Und sie ist kreativ: Wir lassen uns auch von Überraschungsmomenten vorwärtstreiben, wohl wissend, dass es nicht um die „eine“ Wahrheit geht. Es gibt an etlichen Stellen des Prozesses viele Möglichkeiten so oder anders weiterzumachen oder in verschiedene Richtungen abzubiegen.

Entscheidend ist die Frage: Was wollen Sie als Klient(in) und „Auftraggeber“ in ihrem Leben ändern, wenn Sie diese neuen Erkenntnisse gewonnen haben? Wer keine bewussten Ziele hat, kann sich auch nicht auf den Weg machen. Gerade die bloße Rückschau – z.B. „ich möchte etwas über meine Eltern erfahren“ – ist, sofern man dafür eine Aufstellung machen würde, erkenntnistheoretisch von fraglichem Nutzen und therapeutisch nahezu bedenklich.

Ohne Übertreibung: Der Mehrheit dieser Klienten habe ich unnötige Kosten und Aufwand erspart, weil wir oft in einem Gespräch von weniger als einer Stunde Dauer klären konnten, dass es überhaupt keiner Aufstellung bedarf (oder nur einer schemenhaften mit Figuren), dass es nicht um neue Erkenntnisse geht, sondern darum Verantwortung zu übernehmen in dem Sinne, dass die bereits erhaltenen Erkenntnisse „endlich“ umgesetzt werden.

Ein Beispiel: Die Klientin fragt sich und mich, ob sie weiter den Drogenkonsum ihres Bruders vor der eigenen Familie und sogar vor seiner Partnerin verbergen und decken soll. Im Grunde weiß sie längst, wie die Antwort lautet, aber sie traut sich (immer noch) nicht, diese umzusetzen. Es kann durchaus sein, dass aus einer Aufstellung heraus so etwas wie eine „Erlaubnis“ oder gar eine „Aufforderung“ entsteht, den Bruder seiner Eigenverantwortung zu überlassen und sich nicht länger in der Rolle der Co-Abhängigen zu verstricken – oder dass die Klientin ein noch tieferes biografisches Verständnis entwickelt, warum sie immer noch „loyal“ ihrem Bruder gegenüber ist, obwohl diese Art Loyalität im de facto schadet; oder dass sie die Herkunft bestimmter Glaubenssätze besser versteht (um sie hinter sich zu lassen „im System“).

Man könnte also durchaus eine Aufstellung in Erwägung ziehen. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass die Erlaubnis, die Menschen sich selbst geben, manchmal kraftvoller und auf lange Sicht nachhaltiger ist, als wenn sie aus dem Familiensystem geholt wird. Ich würde daher eher und ad hoc eine fiktive Gegenüberstellung zwischen Klientin und Bruder machen, indem sie ihm sagt, was längst gesagt werden sollte – eine Vorübung zu dem, was sie dann in der Realität umsetzt, eine Einstellungs- statt einer Aufstellungsarbeit.

In einem anderen Fall könnte eine Aufstellung rituell-therapeutischen Charakter haben, eine Befreiung bewirken, die oft unfassbar erscheint, weil sie so im realen Leben nie stattfand oder auch nicht mehr stattfinden kann; etwa wenn der Vater (Stellvertreter) zum Sohn (Stellvertreter) sagt: „Geh Du Deinen eigenen Weg. Was auch immer Du machst, Du hast mein Wohlwollen. Damals konnte ich es nicht zeigen, jetzt bin ich stolz auf Dich.“

Manche erwarten regelrecht Wunder von einer Aufstellung (im Übrigen auch Kolleginnen und Kollegen). Und das führt uns zu einer anderen Methode der systemischen Therapie: der Wunderfrage. Angenommen heute Nacht würde ein Wunder geschehen und alles wäre so verändert, als hätten sie es bei einer Fee in Auftrag gegeben … was wäre dann anders und was würden sie anders machen, morgen? Natürlich wird das richtig ausgeschmückt, im passenden Moment muss es eingesetzt werden, wie eine Hypnose oder Phantasiereise. Und wenn der Klient dann dieses wunder-volle neue Leben schildert, ist es nicht selten der nächste Schritt, dass wir uns gemeinsam der Frage stellen: „Und was davon können wir heute oder morgen schon anfangen ins Leben zu bringen?“

Wenn sich der Klient auf die Wunderfrage einlassen kann, scheint mir dies ein gutes Kriterium für eine Aufstellung, andernfalls ist die Gefahr groß, dass er zuviel von Erkenntnissen über die Vergangenheit erwartet. Wenn der Klient bereits soweit ist, dass er/sie weiß und bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen dafür, dass nur er/sie das Leben ändern und das Problem lösen kann, dann können in oder aus einer Aufstellung heraus wichtige Erkenntnisse und hilfreiche Impulse entstehen.

Das – hier ein bisschen überzeichnete – Gegenbild ist das von einer Klientin, die gewissermaßen gewohnheitsmäßig zu Aufstellungen geht, immer wieder tief ergriffen ist und unfassbare Erkenntnisse zu haben scheint, aber im Leben ändert sich nichts Wesentliches. Es kann schon sein, dass dies ihr dennoch immer wieder etwas bringt und gut tut, aber ich würde so nicht arbeiten wollen. Für mich lautet die Grundfrage: „Was machen Sie anders, wenn Sie hier rausgehen?“ Und ich finde es voll in Ordnung, wenn Patient:innen gar nichts anders machen wollen, sondern (im Moment) „nur“ mit ihrem Leiden und ihrer Ohnmacht gesehen werden und empathisch begleitet werden wollen – aber dann müssen wir uns beide darüber im Klaren sein. Und ob dann die Aufstellung das Mittel der Wahl ist, das würde ich stark bezweifeln.

Über kurz oder lang wird es wieder ein Angebot von mir mit Gruppenarbeiten inklusive Aufstellungen (sog. Aufstellungstage) geben. Nehmen Sie gerne Kontakt mit mir auf.