Wenn Sie sich schon einige Zeit mit Therapie befassen (und nicht nur dann), haben Sie mit Sicherheit schon von „Aufstellungen“ gehört oder selbst an solchen teilgenommen: als „Stellvertreter“ (Repräsentant) oder sogar als „Aufsteller“ (Auftraggeber). Diese Methode der systemischen Therapie und Beratung ist vor 25 Jahren mehr und mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten – berühmt und berüchtigt durch die spezielle Art von Familienaufstellungen, die Bert Hellinger geprägt hat. Es gibt allerdings viele Arten, Aufstellungen zu machen und sie im Therapie- oder Beratungsprozess zu nutzen.
Beziehungen und Beziehungsgeflechte (ursprünglich die Familie, mittlerweile alle Arten von Beziehungsnetzen, z.B. auf der Arbeit oder auch in einem Verein) werden im Raum aufgestellt und so sichtbar gemacht, zunächst vom Auftraggeber, aber dann wird das System in gewisser Weise seinem Eigenleben überlassen (und der Intuition und Intervention des Therapeuten, der die Aufstellung leitet). Aus dem Ursprungsbild entsteht so Schritt für Schritt oder manchmal auch ganz überraschend ein neues Bild. Ungeahnte Zusammenhänge treten zu Tage – und dabei können sich auch Lösungswege abzeichnen.
Ich selbst als Klient habe erst einige Zeit, und anfangs mit gehöriger Skepsis, bei Aufstellungen zugeschaut (glücklicherweise wurde mir dies gestattet), mich dann als Vertreter aufstellen lassen, bevor ich genug Vertrauen in die Methode hatte – und in die Aufstellungsleiter, nämlich vor allem meine Ausbilder. Ich habe bei verschiedenen Ausbilderinnen und Ausbildern gelernt, manche, die mehr in Stille arbeiten, andere, bei denen die Sätze eine große Rolle spielen, manche, die viel intervenieren, andere, die es mehr laufen lassen, richtig autoritär wie Bert Hellinger ist keine(r) von ihnen.
„Herr Wagner, ich habe von meiner Therapeutin gehört, dass Sie Aufstellungen machen. Kann ich eine Aufstellung bei Ihnen haben?“ Solche Anfragen führen meist nicht zu einer Aufstellung bei mir. Wieso? Weil ein Missverständnis vorliegt: Aufstellungen sind kein Orakel! Da passieren manchmal unerwartete Dinge „im Feld“ zwischen den Repräsentanten – und der Auftraggeber erhält ein neues Bild, aber nicht die Wahrheit. Es geht jedenfalls weniger um Wahrheiten, als um Kreativität: neue Wege entdecken.
Und daher ist entscheidend die Frage: Was wollen Sie als Klient(in) und „Auftraggeber“ in ihrem Leben ändern, wenn Sie diese neuen Erkenntnisse gewonnen haben? Wer keine bewussten Ziele hat, kann sich auch nicht auf den Weg machen. Gerade die bloße Rückschau – z.B. „ich möchte etwas über meine Eltern erfahren“ – ist, sofern man dafür eine Aufstellung machen würde, erkenntnistheoretisch von fraglichem Nutzen und therapeutisch nahezu bedenklich.
Ohne Übertreibung: Der Mehrheit dieser Klienten habe ich unnötige Kosten und Aufwand erspart, weil wir oft in einem Gespräch von weniger als einer Stunde Dauer klären konnten, dass es überhaupt keiner Aufstellung bedarf (oder nur einer schmenhaften mit Figuren), dass es nicht um neue Erkenntnisse geht, sondern darum Verantwortung zu übernehmen in dem Sinne, dass die (z.B. in der Therapie) bereits erhaltenen Erkenntnisse „endlich“ umgesetzt werden.
Ein Beispiel: Die Klientin fragt sich und mich, ob sie weiter den Drogenkonsum ihres Bruders vor der eigenen Familie und sogar vor seiner Partnerin verbergen und decken soll. Im Grunde weiß sie längst, wie die Antwort lautet, aber sie traut sich (immer noch) nicht, diese umzusetzen. Es kann durchaus sein, dass aus einer Aufstellung heraus so etwas wie eine „Erlaubnis“ oder gar eine „Aufforderung“ entsteht, den Bruder seiner Eigenverantwortung zu überlassen und sich nicht länger in der Rolle der Co-Abhängigen zu verstricken – oder dass die Klientin ein noch tieferes Verständnis entwickelt, warum sie immer noch „loyal“ ihrem Bruder gegenüber ist, obwohl diese Art Loyalität im de facto schadet; oder dass sie die Herkunft bestimmter Glaubenssätze besser versteht (um sie hinter sich zu lassen „im System“).
Man könnte also durchaus eine Aufstellung in Erwägung ziehen. Ich finde allerdings, die Erlaubnis, die Menschen sich selbst geben, ohne sich auf irgendetwas anderes zu beziehen als die eigene Identität: von sich aus, den eigenen Bedürfnissen und dem Recht auf Selbstbestimmung, einen Standpunkt zu vertreten, solche „Erlaubnis“ ist mehr wert, weil kraftvoller und auf lange Sicht nachhaltiger, als wenn man sich die Erlaubnis aus dem Familiensystem holt. Ich würde daher eher und ad hoc eine fiktive Gegenüberstellung zwischen Klientin und Bruder machen, indem sie ihm sagt, was längst gesagt werden sollte – eine Vorübung zu dem, was sie dann in der Realität umsetzt, eine Einstellungs- statt einer Aufstellungsarbeit. Aber das ist eben meine Philosophie. Andere Aufstellungsleiter halten es anders, und da gibt es m.E. kein besser oder schlechter.
Manche erwarten regelrecht Wunder von einer Aufstellung (im Übrigen auch Kolleginnen und Kollegen). Und das führt uns zu einer anderen Methode der systemischen Therapie: der Wunderfrage. Angenommen heute Nacht würde ein Wunder geschehen und alles wäre so verändert, als hätten sie es bei einer Fee in Auftrag gegeben … was wäre dann anders und was würden sie anders machen, morgen? Natürlich wird das richtig ausgeschmückt, im passenden Moment muss es eingesetzt werden, wie eine Hypnose oder Phantasiereise. Und wenn der Klient dann dieses wunder-volle neue Leben schildert, ist es nicht selten der nächste Schritt, dass wir uns gemeinsam der Frage stellen: „Und was davon können wir heute oder morgen schon anfangen ins Leben zu bringen?“
Vielleicht gibt mir das eine gute Vorlage, um abschließend etwas zu den Chancen der Aufstellungsarbeit im Therapieprozess zu erklären: Ich verstehe diese Arbeit im systemischen Kontext und vor dem Hintergrund eines systemisch-lösungsorientierten Therapieansatzes. Wenn der Klient bereits soweit ist, dass er/sie weiß und bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen dafür, dass nur er/sie das Leben ändern und das Problem lösen kann, dann können in oder aus einer Aufstellung heraus wichtige Erkenntnisse und hilfreiche Impulse entstehen. Das – hier ein bisschen überzeichnete – Gegenbild ist das von einer Klientin, die gewissermaßen gewohnheitsmäßig zu Aufstellungen geht, immer wieder tief ergriffen ist und unfassbare Erkenntnisse zu haben scheint, aber im Leben ändert sich nichts.
Für mich lautet die Grundfrage immer: „Was machen Sie anders, wenn Sie hier rausgehen?“ Und ich finde es voll in Ordnung, wenn Patient:innen gar nichts anders machen wollen, sondern „nur“ mit ihrem Leiden und ihrer Ohnmacht gesehen werden und empathisch begleitet werden wollen – aber dann müssen wir uns beide darüber im Klaren sein.
Über kurz oder lang wird es wieder ein Angebot von mir mit Gruppenarbeiten inklusive Aufstellungen (sog. Aufstellungstage) geben. Nehmen Sie gerne Kontakt mit mir auf.