K wie Kleider

Im Mai trägt die Natur ihr schönstes Kleid in frischem, saftigem Grün, gerade in diesem nassen Mai 2021 ist das so: sozusagen der Inbegriff des blühenden Lebens. Im Taunus zeigt sich das auch in diesem Jahr oft noch verbunden mit einem grandiosen Panorama-Weitblick, der uns zu vermitteln scheint, dass die Natur sich nicht nur von trockenen Sommern, sondern auch von der Vielfliegerei erholt. Sicher ist da Einbildung im Spiel, aber ein bisschen Wahrheit wird schon darin stecken.

Wie ist es eigentlich mit unseren Kleidern – verraten die Formen und Farben auch, wie es uns geht? Irgendwie schon. Auf Sie trifft zu, was der Psychologe Paul Watzlawick einst so paradox formulierte: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Das gilt für jene, die Kleidung nebensächlich finden, die sich vielleicht gar nichts daraus machen oder die einfach nur den Konventionen folgen, also nichts falsch machen wollen, und genauso für jene, die immer wieder als unkonventionell auffallen, und für viele andere „dazwischen“ sowieso.

Doch neben der Außenwirkung gibt es auch die Bedeutung der „zweiten Haut“, und vielleicht kennen Sie das: In manchen Klamotten können wir uns so wohl, geborgen, umhüllt und bei uns selbst fühlen – Psychologen haben dies schon mit der Identität im Mutterleib verglichen –, dass es uns fast egal ist, wie sie nach außen wirken. Es sei denn unser*e Partner*in rollt wiederholt mit den Augen und wir lesen die Botschaft: „Schon wieder dieser Schlumpfpulli!“ Noch nicht genug an Psychologie? Wer sich wirklich gar nichts aus Kleidern macht, bei dem/der könnte die Selbstliebe und Selbstfürsorge unterentwickelt sein. Wir sind dann noch nicht gut genug zu uns selbst, wir sind uns noch nicht wertvoll genug, etwa um uns zu verwöhnen.

Erstaunlich in punkto „Verwöhnung“ ist, dass sich Menschen in Naturvölkern bzw. auch heute noch bei eher naturnaher Lebensweise eher bequem kleiden, z.B. in ein Gewand hüllen, während wir gewohnt sind, uns tendenziell mit Kleidern (und Schuhen) Zwang anzutun, zumindest wenn es bestimmte Anlässe betrifft, ob mit Dresscode oder ohne. Wer schön sein will, muss leiden … „Natürlich“ war daher lange kein Kriterium für Kleidung, das ist wahrscheinlich der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft geschuldet. Das hat sich mit Öko-Bewegung in der Folge der 68er zwar etwas geändert, aber mit Ups and Downs, d.h. auch Gegentrends.

Heute findet man Bio-zertifizierte Kleidung bzw. Kleidung mit Bio-zertifizierter Baumwolle selbst bei Lebensmittel-Discountern. Sie soll sich optisch möglichst nicht von konventioneller Kleidung unterscheiden, und zusätzlich ein gutes Öko-Gewissen vermitteln. So erfreulich „Bio“ ist, denn beim konventionellen Anbau von Baumwolle kommt viel giftige Chemie zum Einsatz, die in den Anbauländern zu beträchtlichen Umweltbelastungen führt, wäre es weit gefehlt, jetzt „alles gut“ zu sagen. Kern der Kennzeichnungsproblematik: Auf dem Etikett müssen nur die textilen Ausgangsstoffe angegeben werden. Dies entspricht jedoch selten der tatsächlichen Zusammensetzung des Kleidungsstücks, denn zwischen Ausgangsstoff und Endprodukt liegen oft zehn bis zwanzig aufwendige Verarbeitungsstufen. Dabei handelt es sich zum einen darum, den Stoff für bestimmte Produktionsschritte vorzubereiten, so dass er z. B. besser mit Maschinen verarbeitet werden kann oder sich leichter anfärben lässt. Gegen Ende der Produktion geht es dann mehr und mehr darum, dem Stoff Eigenschaften zu verleihen, die er von Natur aus eben nicht hat: glänzend, glatt, dehnbar, saugfähig, fest, knitterarm usw.

Solche „Ausrüstung“ ist übrigens keine Besonderheit von Baumwolle. Auch Wolle wird vielfach so „veredelt“, dass sie ihre unerwünschten Eigenschaften verliert: kratzt nicht, knistert nicht, lädt sich nicht auf, ist sogar maschinenwaschbar und filzfrei, aber im Grunde sind damit auch die erwünschten Vorteile dieser Naturfaser weitgehend dahin, denn jede Faser wurde mit Kunstharz überzogen – abgesehen von den ökologischen Folgen des Chemieeinsatzes. Die nicht als Naturtextil im strengen Sinn zertifizierte Wolle beinhaltet eine Fülle von Problemen, auf die hier nur andeutungsweise eingegangen werden kann: Da Schafe häufig von Parasiten befallen sind, werden sie mit Schädlingsbekämpfungsmitteln behandelt. Diese reichern sich im Wollfett an, was für den Verbraucher unangenehme Folgen hätte. Die meist praktizierte Alternative ist aber auch nicht gerade beglückend: Die Wolle wird industriell gewaschen, so dass die Pestizide in Wasser und Umwelt gelangen – und die Wolle einen Großteil ihres begehrten Wollfetts verliert. Am Rande sei allerdings angemerkt, dass die wasserabweisende Qualität von Wolle wesentlich mehr mit der Struktur ihrer Fasern als mit dem Wollfett zu tun hat, sofern die Struktur noch erhalten blieb.

Im Grunde haben alle Textilien eine schlechte Ökobilanz, u.a. sind es Farben, aber auch der Wasser- und Energieaufwand, die negativ zu Buche schlagen. Die Ökobilanz wird nur dadurch besser, dass wir möglichst wenige und langlebige Produkte kaufen – finanziell kann das für den Einzelnen attraktiv sein, für eine wachstumsbesessene Ökonomie natürlich nicht. Ob diese Form der Ökonomie, die im Rahmen von Corona und Lockdown mit partiellen Einschränkungen der Konsumfreiheit oder des Konsumzwangs verbunden war, nach Corona nachhaltig verändert wird?

Jedenfalls, wenn die Natur könnte, würde sie uns ein (einziges) Kleid fürs Leben schenken. Mit anderen Worten: Es gibt gute Argumente, den abgetragenen, aber heiß geliebten „Schlumpfpulli“, den man am liebsten Tag und Nacht trägt, und von dem man sich trotz unübersehbarer Zeichen der „Abnutzung“ nicht trennen mag, noch eine Saison länger zu tragen. Auch für Klamotten gilt: Weniger ist mehr.

Wir können und wollen es andererseits niemand verleiden, sich nach neuem textilen Outfit umzuschauen, was Ihrer Lebensfreude frischen Ausdruck verleiht oder anderen signalisiert, dass Schönheit Ihr Leben bereichert. Leben an sich ist ja mit ökologischen Fußabdrücken verbunden, es kommt auf die Gesamtbilanz an. Wussten Sie, dass die mit Abstand (!) effektivste Maßnahme, um den eigenen ökologischen Fußabdruck klein zu halten, das Nicht-Fliegen ist? Die Natur atmet auf, wenn wir terran leben. Darüber wird kaum gesprochen und geschrieben, lieber beschäftigt sich die mediale Öffentlichkeit mit Elektroautos oder eben Bio-Baumwolle.