K wie Komplimente

Das Wort „Kompliment“ schmeckt an sich schon leicht fad, nach „nett“ und „höflich“, irgendwie eine seltsame Note im Abgang. Viele klassische Aphorismen warnen uns davor, auf Komplimente „hereinzufallen“, so als handele es sich per se um gefährliche „Schmeicheleien“. Wenn es um Komplimente in der therapeutischen Beziehung geht, gilt dieser Verdacht des Unechten erst recht. Gerne würden wir heute etwas ernster von „Würdigung“, „Wertschätzung“ oder „Bezeugung“ sprechen, doch diese ung-Wörter klingen nicht eben kraftvoll, vielmehr gestelzt. Vielleicht wäre „Lob“ eine unkomplizierte Alternative – sofern wir Lob spenden und annehmen können. Möglicherweise haben die Geschmacksprobleme bei „Komplimenten“ mit einem gestörten Verhältnis zum Stolz auf einer oder auf beiden Seiten der Beziehung zu tun. Die gewissermaßen traditionsbewährte Warnung vor Komplimenten, und dass man nicht auf sie hereinfallen soll, führt ja als Nebensatz, dass andere uns auf diesem Wege über unsere „Eitelkeit“ manipulieren würden.

Nicht gemeckert ist genug gelobt. Das ist dann die bekannte und irgendwie bequeme Lebenslüge. Damit kann man scheinbar nicht falsch machen. Doch damit kommt man als Therapeut*in nicht durch. Denn Komplimente sind das A und O, so steht es in einigen Schriften lösungsorientierter Therapeut*innen, und wir streben alle nach Lösungen.

Tatsächlich verfehlen ehrliche Komplimente selten ihren Effekt. Besonders stark wirken sie zwar, wenn sie von anderen Patient*innen kommen (also in der Gruppentherapie), da der Patient dem Therapeuten bei Lob, vorsichtig formuliert, nicht immer so ganz über den Weg traut. Aus eigener Erfahrung als Klient möchte ich jedoch versichern: Komplimente wirken auch, wenn sie vom Therapeuten geäußert werden! Mein Therapeut hat mich immer wieder für allerlei Fortschritte gelobt, die mir manchmal nicht oder nicht mehr bewusst waren oder die ich einfach gerne gespiegelt bekam. Und obwohl ich in der Therapiegruppe erlebt habe, dass der Therapeut quasi alle lobt und dabei ziemlich großzügig verfährt, habe ich die Komplimente an mich durch diese scheinbare Inflation nicht entwertet gesehen.

Komplimente spiegeln den Patienten, wie viel sie schon gelöst oder geschafft haben. Selbst ziemlich „schwierige“ Klienten erfahren dadurch, wie das geht: Den Fokus aufs Positive zu richten, dankbar zu sein und Zuversicht zu entwickeln. Es klappt aber nur, wenn es ehrlich gemeint ist und nicht manipulativ eingesetzt wird. Ich frage mich, ob der Spruch mit dem A und O nicht eine Variante der etwas allgemeineren Formel zur Gesprächstherapie ist: „Empathie geben, sonst funktioniert’s nicht.“ Wenn wir zu solcher authentischer Wertschätzung nicht in der Lage wären, würde in der Therapie wenig funktionieren. Und Empathie ist eben nicht nur Mitgefühl für Leid, Schmerz und Überforderung, sondern auch für Leistungen, Erfolge oder auch nur Bemühungen, sogar wenn der Patient selbst bisher gar nichts davon spüren konnte. Eine Art Empathie im Voraus, ein Gefühlsangebot und damit eine neue Perspektive: „Das haben Sie aber gut hinbekommen.“ Oder: „Wow. Was Sie für einen Einsatz gezeigt haben!“

Wie ist es denn für uns als Therapeuten: Können wir Komplimente annehmen? Ich freue mich darüber, besonders wenn die Komplimente konkret sind und eine Eigenschaft von mir loben, die mir noch immer nicht selbstverständlich ist. Da mein Leben durch nervöse Unruhe und Getriebenheit gekennzeichnet war (war…? :-)), habe ich es anfangs kaum glauben können, aber zunehmend mit Begeisterung aufgenommen, wenn ich etwas höre wie: „Sie strahlen eine solche Ruhe aus!“ Allerdings sollten wir die Messlatte nicht so hoch legen und auch Komplimente wertschätzen, die etwas benennen, das für uns keine Neuigkeit darstellt. Wie angedeutet, Komplimente geben und annehmen hat mit unserem Verhältnis zu Stolz zu tun – und mit der quasi-spiegelbildlichen Angst vor Scham. „Sie sind ein Sonnenschein.“ „Sie sind eine Persönlichkeit.“ Bei solchen und ähnlichen Komplimenten habe ich anfangs oft lachen müssen, und es gab nicht wenige Patienten, die registrierten und kommentierten, dass offensichtlich nicht nur sie selbst sich schwer tun, Komplimente anzunehmen.

Es ist gar nicht so schwer, wohlwollend die Bemühungen von Klient*innen anzuerkennen und Fortschritte entschieden zu würdigen. Und es lohnt sich doppelt und dreifach, in Komplimente zu investieren: Sie erleben schnell, wie positiv sich das auf die therapeutische Beziehung und die Therapie auswirkt, aber wahrscheinlich auch, wie gut es Ihnen selbst tut. Denn mit jedem authentischen Kompliment für vielleicht oft nur kleine Schritte des Klienten zähmen wir auch unseren eigenen inneren Kritiker, der vielleicht noch immer darauf geeicht ist, bei eigenen Leistungen das Haar in der Suppe zu suchen oder sich erst mit 100% zufrieden zu geben (also nie). Ein bisschen Großzügigkeit hat daher noch nie geschadet. Ich habe sie unter anderem dadurch gelernt, dass ich mir meinen eigenen Therapeuten zum Vorbild nahm: „Was würde J. jetzt wohl sagen?“ Der vermeintlich unechte Geschmack von Komplimenten verliert sich mit der Übung, und es zeigt sich wie bei so vielen anderen Aspekten in der Therapie: ungewohnt ist nicht unauthentisch, sondern nur gewöhnungsbedürftig.