K wie kreativ

Für manche hat es einen verheißungsvollen Klang. Anderen stellen sich beim Stichwort „kreativ“ die Nackenhaare auf und der ganze Mensch verfällt in Starre: „Das kann ich nicht.“ Oder sie haben die schöpferischen Impulse bereits gut sortiert, isoliert und weggepackt – können dann ganz abgeklärt versichern: „Nichts für mich.“ Kreativi“tät“ klingt demnach irgendwie nach K wie Konjunktiv.

Es gibt ein schönes afrikanisches Sprichwort: „Wer reden kann, kann auch singen, wer gehen kann, kann auch tanzen …“ Ich füge gerne noch hinzu: „… und wer schreiben kann, kann auch malen.“ Ja, doch, Sie können das alles, da es sich jeweils um die gleichen „Werkzeuge“ handelt. Von „gefallen“ war bisher nicht die Rede. Es ist gut möglich, dass Sie in Ihrem Leben die Erfahrung gemacht haben: „Lass das, das kannst Du nicht.“ (Was eigentlich hätte heißen müssen: „Es gefällt mir nicht.“) Oder Sie haben eine ähnliche Botschaft in Form von Schulnoten erhalten. Leistungsdenken steht der Kreativität zeitlebens im Weg: Solange wir uns an guten Noten oder ähnlichen Formen der „Anerkennung“ orientieren, fällt es uns schwer, uns auf Prozesse einzulassen, in denen Neues entstehen kann.

Solange wir weiter glauben, was wir schon lange glauben („das kann ich nicht“), werden wir weiter so handeln wie bisher – und, sofern nicht größere Glücksfälle eintreten, auch weiter die bekannten Ergebnisse erzielen und vor neuen Erfahrungen ausweichen. Kreativität dagegen bedeutet vieles, aber ganz besonders dies: neue Erfahrungen machen. Deshalb spielt sie in der Psychotherapie eine große Rolle, was nicht heißt, dass dies allen Therapeuten bewusst ist. Wir sind von Natur aus schöpferisch, denn wir erschaffen unser Leben und müssen dabei auch immer wieder Neues entwickeln. Diese Kreativität oder Lebenskunst ist keine „Kür“ im Leben (bei „Kunst“ denkt man gelegentlich an eher Nebensächliches), sondern eine wichtige Stütze unserer Existenz. Was können wir tun, um sie zu pflegen und zu fördern? Phantasieren, ausprobieren, spielen.

Phantasieren statt zensieren! Oft schieben wir von vorneherein der Phantasie einen Riegel vor, da wir ahnen, dass es zur Umsetzung der Phantasie(n) doch auch mehr oder weniger harte Arbeit, Konfliktbereitschaft und Geduld benötigt. Ja, wenn die Kreativität „ernst macht“, geht es manchmal auch darum, sich von Hindernissen nicht abhalten zu lassen und diese kreativ zu überwinden. Dennoch können wir zunächst einmal unverbindlich der Phantasie freien Lauf lassen: „Was wäre wenn …?!“ Richtig frech und fett träumen. In der Phantasie ist alles möglich. Schreiben Sie z.B. eine Woche jeden Tag für 15-20 Minuten eine Minigeschichte, vielleicht rund um Gegenstände, die Sie zufällig vorfinden, oder aus Worten, die Sie spontan notieren. Oder sogar zu ihren Lebensphantasien.

Ausprobieren! Das setzt die Bereitschaft und den Mut voraus, zumindest kleine Schwellen der Angst zu überwinden. Doch „Angst“ klingt schon zu dramatisch. Sie könnten mit kleinen Übungen beginnen: einen anderen Weg zu Arbeit gehen, ausnahmsweise mal Nein sagen, wo gewohnheitsmäßig ein Ja erwartet würde, einen Tag mit der „anderen“ nicht-dominanten Hand bestreiten (schreiben, essen, Zähne putzen, malen), zwei verschiedene Schuhe tragen, das erste Mal ein Pferd streicheln. Vielleicht versuchen Sie es auch mit einigen Vorschlägen aus dem wunderbaren Lebenskunst-Gedicht „How to be an artist“ (es wird häufig Joseph Beuys zugeschrieben, stammt aber von einer Lebenskünstlerin namens SARK)*.

Lebenskunst heißt: Spielen und Ernstsein zugleich! Von Friedrich Schiller stammt das geflügelte Mensch, dass der Mensch nur da „ganz Mensch ist, wo er spielt“. Meist verbinden wir Spiel, sofern es nicht um Sport geht, mit Kinderspiel. Und tatsächlich wissen Kinder genau, wie es geht: dieses Spielerische, das zugleich Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit zeigt. Seit vielen Jahren hat die Rede vom „inneren Kind“ einen zentralen Stellenwert in der Psychotherapie, aber noch eher selten wird neben dem Nachnähren, Annehmen oder auch Retten „des Kleinen“ (der Kleinen) das Spiel des Kindes damit verknüpft. Mir hat unsere Hündin Mira geholfen, Kinderspiele wieder zu entdecken. Einem Hund, der spielen will, kann man es schlecht abschlagen. Im Kontakt mit Tieren kann man ohnehin eine Menge Lebenskunst lernen. Im Kontakt mit Menschen natürlich auch.  

* In den meisten Übersetzungen heißt es irrtümlich „lerne Schlangen beobachten“; es muss lauten „lerne Schnecken beobachten“.