M wie Milch

Im Urlaub waren wir im Allgäu und haben in wunderbarer Landschaft viele Kühe gesehen. Naja, genau betrachtet, war es auf der Weide dann doch oft „Fleischvieh“ (nichtsdestoweniger ein schönes Bild), während die Milchkühe selbst im Sommer in den Ställen stehen, wenngleich es sich um sogenannte Offenställe handelt. Über die ethischen und politischen Seiten der Massentierhaltung möchte ich mich hier und heute allerdings nicht äußern, sondern auf die gesundheitlichen Aspekte des Milchkonsums schauen.

Milchprodukte wurden lange Zeit so aggressiv als unverzichtbar beworben, dass Verbraucher allen Ernstes dachten, es sei an sich schon vorteilhaft, wenn in einem überzuckerten Kinderschokoriegel etwas Milch enthalten ist. Auch unter etwas aufgeklärten Verbraucher*innen ist eine Ernährung ohne Milchprodukte oft immer noch nicht vorstellbar, wenngleich der Vegan-Boom daran einiges verändert hat. Gleichzeitig ist mit der Zunahme der Unverträglichkeiten u.a. die Laktoseintoleranz derart ins Rampenlicht gerückt, dass einige Verbraucher meinen, Milch sei per se schädlich. Wahrscheinlich ist es so wie mit den ethischen Fragen der Viehhaltung: genauer hinsehen lohnt sich.

Milch ist ein guter Kalziumlieferant, aber erstens nicht der einzige, Gemüse tut es auch, und zweitens kann sich der Effekt bei reichlichem Verzehr von Milchprodukten umkehren: Der hohe Eiweißanteil sorgt für Übersäuerung, die wiederum dazu führt, dass dem Knochen Kalzium entzogen wird. In Gesellschaften ohne Milchkonsum, und das sind immer noch die meisten auf dieser Erde, tritt die Osteoporose, der sog. Knochenschwund, seltener auf! Übrigens, das Päckchen „Topfen“ (Quark) am Tag nutzt den Knochen auch dann herzlich wenig, wenn Kalziumräuber wie Cola regelmäßig konsumiert werden. Auch Alkoholkonsum erhöht das Osteoporose-Risiko je nach Menge erheblich. Wie so oft in Vollwerternährung und Ganzheitsmedizin zeigt sich: Es kommt nicht nur darauf, was wir einnehmen könnten, sondern auch, was wir weglassen müssten!

Milch liefert weiterhin Milchzucker, der prinzipiell in der Darmflora des Menschen darmgesunde Keime „füttert“. 15 bis 20 Prozent der Deutschen vertragen allerdings keinen Milchzucker (Laktose), da ihnen ein bestimmtes Enzym (Laktase) fehlt. Blähungen, Völlegefühl und Durchfall bald nach dem Verzehr von Milch, Schmelzkäse, Frischkäse oder Sahne – Joghurt wird in Maßen meist gut vertragen – sind typische Symptome, es können außerdem Beschwerden wie Müdigkeit und Kopfschmerzen die Folge sein. Für einen Verbraucher ohne Laktose-Intoleranz dagegen bringen Laktose-freie Produkte keinerlei Gesundheitsnutzen, sie sind nur unnötig teuer, ihnen wird aber fälschlich suggeriert, ihre (anderweitig bedingten) Verdauungsprobleme könnten damit behoben werden.

Neben der Milchzuckerunverträglichkeit gibt es noch die Milcheiweißallergie, einerseits eine der häufigsten Allergien auf Lebensmittel: Liegt in der Familie eine Veranlagung für Allergien vor, sollte man dem Säugling möglichst im ersten Lebensjahr keine Kuhmilch geben, denn dies fördert die Ausprägung der Allergieneigung insgesamt. Eine echte Allergie gegen Milch betrifft etwa ein bis fünf Prozent der Kleinkinder. Andererseits verliert sich bei vielen die Allergie bis zum vierten Lebensjahr.

Wie gut Milch im Einzelfall vertragen oder nicht vertragen wird, lässt sich oft erst feststellen, wenn sie mal eine Zeit lang weggelassen wird. Vor allem vom regelrechten Milchtrinken wird abgeraten. Dann bessern sich in vielen Fällen Beschwerden und Krankheiten, neben Allergien und Infektanfälligkeit z. B. auch Rheuma oder Reizdarm. Naturheilkundler sprechen dabei davon, den milchbedingten Allergendruck oder Stress fürs Immunsystem zu reduzieren: d.h. selbst wenn keine Allergie nachgewiesen wird, kann das artfremde Eiweiß das Immunsystem irritieren und ganz andere Allergien (z.B. Pollenallergien) befördern.

Auch unter gesundheitlicher Bewertung kann es uns nicht völlig egal sein, dass die Kühe in der konventionellen Milchwirtschaft zu lebendigen Maschinen degradiert worden sind: Sie stehen das ganze Jahr im Stall, bekommen ganzjährig einheitliches – nicht artgerechtes – „Leistungsfutter“, werden oft mit Kunstlicht beschienen, damit die Melatonin-Produktion unterbunden wird, und sie müssen fast ununterbrochen schwanger sein, denn sie werden zwei, drei Monate nach dem Kalben erneut besamt. Das Ganze dient der maximalen Milch-Leistung. Mehr als 8200 Liter Milch pro Jahr liefert mittlerweile die deutsche Durchschnittskuh, teilweise sind es über 10.000. Dass die Hochleistung vielfach auch mit Krankheiten und entsprechender medikamentöser Behandlung erkauft werden muss, versteht sich von selbst. Doch die Masse der Milchprodukte wird weiter mit Bildern von „glücklichen“ Kühen beworben, ja, selbst Milch aus reiner Stallwirtschaft darf sich z. B. ungestraft „Weideglück“ oder ähnlich irreführend nennen!

Im Bio-Bereich sieht es besser aus. Immerhin für ein paar Tage darf hier das Kalb bei der Mutter bleiben. Und danach bekommt es die ersten drei Monate Kuhmilch – wenn auch nicht von der Mutter – statt „Milchaustauscher“ wie im konventionellen Bereich. Aber auch viele Bio-Kühe müssen jährlich kalben und mittlerweile 7000 Liter Milch im Jahr produzieren. Und das geht nur mit dem Zusatz von Kraftfutter, was definitiv nicht artgerecht ist. Artgerecht hieße: die Kuh frisst Gras auf der Weide. Wie gesagt: genauer hinsehen lohnt. Glücklicherweise gibt es das noch, das Grasen, also z. B. demeter-Höfe, die unter weit strengeren Richtlinien arbeiten als die große Masse der Bio-Höfe bzw. die Masse der großen Bio-Höfe. Es ist gar nicht so leicht, die ethischen Fragen auszuklammern, weil sie vermutlich auch einiges mit der gesundheitlichen Qualität zu tun haben.

Apropos Qualität: Nach der Milchgewinnung wird der Rohstoff „veredelt“, d. h. der industrielle Verarbeitungsprozess kommt erst richtig in Gang! Das Ausgangsmaterial wird in der Molkerei komplett zerlegt, zunächst in einen Rahmanteil und einen Magermilchanteil, dann behandelt (pasteurisiert, homogenisiert) und je nach Produkt wieder zusammengesetzt. „Vollmilch“ etwa bedeutet nicht, dass sie irgendwie natürlicher entstanden wäre als andere.

Eine Milch, die durch Pasteurisierung (Erhitzung) so entkeimt wird, dass sie nicht mehr natürlich säuert, kann eigentlich auch keine Basis mehr für „natürliche“ Sauermilchprodukte sein. Und so werden heute Joghurt & Co. in einem technologisch ausgefeilten Prozess hergestellt, u. a. mit anderen Kulturen als den „natürlichen“ und unter Zugabe von Milchzucker (Laktose).

Besonders umstritten bei Naturheilkundlern ist weniger die Erhitzung der Milch, sondern die Homogenisierung. Sie kam in den 1960er Jahren auf und dient in erster Linie technischen und optischen Zwecken. Dabei werden die Fettkügelchen in der Milch stark verkleinert, indem die Milch bei hohem Druck auf eine Metallplatte gespritzt wird.  Sie wird dadurch „homogen“, es setzt sich kein Rahm mehr ab. Dies hat auch Auswirkungen auf Verdauung und Stoffwechsel: Wenn die Fettpartikel verkleinert werden, haben sie in der Summe eine größere Oberfläche, die mit der Darmschleimhaut in Kontakt tritt. Und da die Milch ja auch pasteurisiert wird, verbindet sich das Milcheiweiß Casein leichter mit den Fettpartikeln. Im Endeffekt scheint das allergene Potenzial der Milch zu steigen.

Fazit: einerseits-andererseits. Es geht auch ohne Milch und Milchprodukte, und für einen Teil der Verbraucher wahrscheinlich sogar besser ohne. Auslassphasen sind jedenfalls durchaus einen Versuch wert und gehören bei etlichen Gesundheitsproblemen zur Standardempfehlung. Auf der anderen Seite sollte man Milch und Milchprodukte nicht per se verteufeln. Wer Milch verträgt und mag, muss nicht auf sie verzichten. Da für Veganer, die weder Fleisch noch Milchprodukte verzehren, langfristig (d.h. nach Jahren) das Risiko eines Vitamin-B12-Mangels besteht, will der dauerhafte und rigorose Verzicht auf Milchprodukte gut überlegt sein. Butter, Sahne und Joghurt in Maßen können m.E. durchaus Teil einer vegetarisch orientierten Gesundheitskost sein und scheinen mir natürlicher und verträglicher als die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie B-Vitaminen, die letztlich bei BASF und Co produziert werden. Quark und Käse sollte man eher als Genussmittel betrachten. Das wäre vielleicht die einfachste Formel zum Schluss: Lieber weniger Milch und Milchprodukte, dafür in Bio-Qualität! Damit lässt sich auch das Gewissen bezüglich Tierhaltung beruhigen, denn Weidegang und Auslauf sind im Bio-Bereich vorgeschrieben.

Hinweis: Ich habe selbst rund 10 Jahre vegan gelebt, aber das ist schon wieder 15 Jahre her, seither ernähre ich mich vegetarisch unter regelmäßiger Einbeziehung von Joghurt, Eiern, Käse und Fisch, jeweils in geringen Mengen. In meinem Buch „Makrobiotik“ habe ich sowohl meine persönlichen Erfahrungen als auch die ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem konkreten Ernährungsratgeber zusammengefasst. Es ist auch sechs Jahre nach Erscheinen noch aktuell und lieferbar.