N wie Namaste

In Yogakreisen ein sehr beliebter Gruß, der aus der hinduistischen Kultur stammt. Bei der dazu gehörenden typischen Geste werden die Handinnenflächen meist vor dem Herzen zusammengeführt. Im Sanskrit (Alt-Indischen) bedeutet Namaste wörtlich „ich verbeuge mich vor Dir“ oder „Verbeugung zu Dir“. Dahinter steht eine Philosophie, die dem Gruß eine tiefere Bedeutung verleiht.

Vorwegschicken möchte ich, dass ich mich weder mit Yoga noch mit Hinduismus auskenne, aber ich mag die Geste und das Wort, ich singe gerne Mantras mit dem Titel – und ich liebe verschiedene Bedeutungen, die ich über die Zeit erfahren habe. Diese Philosophie hinter Namaste besagt so viel, dass in jedem von uns eine göttliche Seele innewohnt, weshalb die kurze Grußformel gelegentlich auch mit einem Satz wiedergegeben wird, etwa so: „Meine göttliche Seele verneigt sich vor Deiner göttlichen Seele.“ Das drückt mehr als nur Respekt aus, darin enthalten ist ein Segen.

Vielleicht habe ich bis hierhin schon die Hälfte der Leser*innen verloren, jene, die mit Begriffen wie „göttlich“ oder „Segen“ Schwierigkeiten haben. Das könnte ich gut verstehen und versichere denen, die noch weiterlesen, dass es nicht um eine bestimmte Form von Gottesglauben oder Religion geht. Es ist eher ein Glaube an etwas uns Menschen Verbindendes, etwas Unverletzliches in jeder und jedem von uns. Dazu ein schönes Zitat von Hazrat Inayat Khan (also wiederum aus einer anderen Kultur), er schreibt über die Seele (in „Metaphysik“): „Sünde kann sie nicht berühren und Tugend nicht erhöhen. Weder kann Weisheit sie öffnen noch kann Unwissenheit sie verdunkeln. Sie ist immer gewesen und sie wird immer sein.“

Die Sicht der westlichen Psychologie auf „die“ Seele ist häufig defizitär. Selbst in der sog. positiven Psychologie geht es nicht selten um Leistungsdenken: was wir alles besser machen könnten. Zu selten sind wir uns bewusst, wie gering möglicherweise die Anteile sind, auf denen wir in der Psychotherapie ständig herumreiten. Wie „segensreich“ dagegen kann die Erfahrung sein, dass auf einer gewissen Ebene oder in einem gewissen Anteil von uns immer schon alles bestens, ja: göttlich oder vollkommen ist! Und wir müssen nichts tun dafür.

Auch für mich selbst ändert sich also viel, um nicht zu sagen alles, wenn ich die Namaste-Haltung für Momente leben kann: Wenn ich gesegnet bin, wenn ich eine vollkommene, göttliche Seele habe (neben oder in der anderen, die wir nur zu gut kennen) … vielleicht gibt es dann weniger zu tun, um meine Unsicherheiten und Ängste im Griff zu haben, vielleicht kann ich mich trotz meiner Unvollkommenheit im „realen Leben“ eher lassen und lieben. (Noch ein Lesetipp zum Zusammenhang von Selbstunsicherheit, Scham, Selbstliebe und Perfektionismus: „Die Gaben der Unvollkommenheit“ von Brené Brown. Dort gibt es auch eine schöne „Definition“ von Spiritualität als die Anerkennung oder „Feier“ der Verbundenheit.)

Solches Segnen eines Gegenübers ist keine Überhöhung, man macht sich keinesfalls zum Priester, es geht nicht um eine besondere „Lizenz zum Segnen“, sondern um eine Begegnung als Bruder oder Schwester auf Seelenebene, als Verbündete oder Verbundene, als in diesem Sinne Seelenverwandte. Ich habe in verschiedenen psychotherapeutischen Ausbildungskontexten erfahren, wie viel sich ändert, wenn eine solche Haltung möglich ist: z.B. konnte ich mehr Nähe und Offenheit zulassen – und Konflikte waren leichter zu ertragen.

Vielleicht mögen Sie es nicht ganz glauben. Dann wäre es ein Versuch wert, (immer) mal so zu tun, als ob es so wäre – Ihrem Gegenüber und sich selbst so begegnen, als ob sich zwei göttliche Seelen voreinander verbeugen. Das kann durchaus bewusst und achtsam in therapeutischen oder meditativen Übungen ausprobiert werden. Oder eben im Alltag. Bis zum nächsten Mal: Namaste.