T wie Tischtennis

Ausgerechnet Tischtennis! Ein so wichtiger Buchstabe wie T (hallo! gibt es unwichtige Buchstaben?). Toleranz, Tagebuch, Team, Trauma, Tabu … oder einfach Therapie. Stattdessen Tischtennis, also TT. Aber vielleicht ist es ja wie so oft im Leben: Im Kleinen, scheinbar Banalen, spiegelt sich das Große.

Tatsächlich tauchte TT (oh wie schön diese T-Reihen gelingen) immer mal wieder in meiner Therapie auf, und auch in meinem therapeutischen Tagebuch. Wie wundervoll es sein kann, das nur am Rande angemerkt, mal etwas wegzuschreiben, manchmal nur Fragen über Fragen, die ich nicht richtig beantworten kann, aber auch nicht vergessen möchte.

Es ist nur ein Spiel … Wirklich? Mit ca. 42 Jahren habe ich beim TT angefangen. Von wegen spielen – wer spielt schon gern mit einem, der es wirklich nicht kann! Es dauerte einige Zeit, bis ich auf Kurse ging und Unterricht nahm, irgendwann Vereinskollegen „schlagen“ konnte und ernst(er) genommen wurde. Und dann habe ich mich immer wieder mal gefragt: Warum tue ich mir das an? Ich bin doch gar nicht der Typ für einen Kampf „Auge in Auge“, viel eher ein Freund der schönen Ballwechsel und des Unentschieden, wenn überhaupt, kann ich nur dem Doppel etwas abgewinnen … dachte ich! Und dann ist das ja überhaupt kein „richtiger“ Mannschaftssport, in erster Linie kämpft jeder für sich allein, mehr oder weniger zufällig in einer Mannschaft, die gemeinsam Punkte sammelt.

Irgendwie hat es mich gepackt und ziemlich gefesselt, wie eine Verliebtheit, die unerwartet lange anhält, so dass Außenstehende meinten: „Hm, der Chrissi, der ist ganz schön fixiert auf dieses Hobby.“ Ehrgeiz? Etwas beweisen? Wollte oder sollte ich da etwas (kennen) lernen: Für mich selbst zu kämpfen? Was eigentlich ein Tabu in meinem Leben war, auch wenn ich oft gekämpft habe (für andere oder für mein Überleben). „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren.“ In manchen Zusammenhängen sage ich das gerne, aber hier? Bei einem so trivialen „Spiel“! Was man beim TT lernen kann: Man muss gewinnen wollen, aber auch verlieren können, um wirklich mitzuspielen. Sonst ist es eben kein Spiel.

Man gewinnt im Leben manchmal – und verliert gleichzeitig auch. Ich habe viele schöne Erfahrungen beim TT machen dürfen, nachdem ich die Technik einigermaßen beherrschte. Verloren habe ich dabei vorübergehend die Leichtigkeit des „Hobbyspielers“ (das sind all jene, die nicht im Verein sind und mit TT häufig vor allem Rundlauf verbinden), z.B. mit meiner Frau im Urlaub zu spielen oder mit meinem Bruder bei Familientreffen in der Garage: ohne Anspruch, aber mit Genuss und nebenher sich noch schön unterhalten. Stattdessen konnte es passieren, dass ich selbst bei einem x-beliebigen Freizeitmatch an der Platte im Freien auf einmal die Angst zu verlieren verspürte. Peinlich? Naja, eine Selbsterkenntnis: Du bist nicht so lässig, wie du gerne wärst.

Einzelgänger und Individualisten gibt es überall. Bei typischen Mannschaftssportarten geht es darum, sie so zu integrieren, dass das Team Erfolg haben kann. Beim TT ist das nicht nötig, und das merkt man manchmal, wenn der Kauzfaktor in einzelnen Mannschaften (oder gar Vereinen?) besonders hoch ist. Da kann man sich als „Teamplayer“ mit ausgeprägtem Hang zu Integration und Harmonie schon mal ins nicht vorhandene Abseits engagieren. Loslassen können, das war und bleibt auch eine Aufgabe für mich.

Apropos Aufgabe: Als zeitweiliger Kinder- und Jugendtrainer fand ich es faszinierend, welche Bandbreite an Kids beim TT eine nicht nur sportliche Heimat findet. Hier gibt es, zumindest prinzipiell, eine Toleranz und ein Willkommen für jeden bzw. jede, auch die, die in klassischen Ballsportarten keine Chance hätten oder teils gar als „unsportlich“ stigmatisiert würden. Dank des speziellen Spielsystems trifft im TT jede(r) meist auf Gegner, die ähnlich stark oder schwach sind, d.h. es gilt eine Art Leistungsgerechtigkeit: Wer sich einsetzt, kann punkten – und damit auch für die Mannschaft punkten, daher ist ihm die Solidarität und Unterstützung der Kameraden sicher. Im günstigen Fall können hier alle Kinder ein eigenes Selbstbewusstsein aufbauen – und lernen, für sich zu kämpfen und Teil eines Ganzen zu sein.

Heute treffe ich manchmal auf junge Erwachsene, die diese Toleranz und Solidarität erfahren und dankbar integriert haben, zumindest erscheint es mir so, dass die sportliche Erfahrung zu ihrem inneren Wachstum beigetragen hat. Und ich? Vielleicht fange ich irgendwann wieder an, weil es einfach Spaß macht, wenn man ins Spielen kommt, den spielerischen Ernst wie die Kinder erfährt, weil man schon nach ein paar Ballwechseln gar nicht mehr an die belastenden Themen des beruflichen Alltags denken kann, mit dem Ernst des Spiels viel Leichtigkeit für das Leben außerhalb der Halle gewinnt … und weil ich sicher noch einige offene Fragen zu klären habe 🙂  

Irgendwann? Ein sehr schöner Aspekt und eine immer wieder wundervolle Erfahrung beim TT: Das Alter spielt aufgrund der individuell leistungsbezogenen Spielsysteme eine völlig untergeordnete Rolle. Ich kenne keine Sportart (Schach ausgenommen), bei der Jung und Alt so kunterbunt gemischt mit- und gegeneinander spielen, und bin froh, dass mir diese Möglichkeit nicht davonläuft. Da soll noch einer sagen, TT sei trivial …

Tipp: Ich spiele gerne „Abwehr“ und kann mich immer noch für große Vorbilder in diesem Bereich begeistern. Hier kann man den Abwehrmeister Joo Se Hyuk im Match mit Timo Boll bewundern, der auf seine Weise zweifellos auch ein Vorbild ist.