Wörter können unterschiedliche Bedeutungen haben. Und, soviel vorweg, ich bin gegen jegliche Sprachpolizei: Selbstverständlich steht es Ihnen frei, Wörter so zu verwenden, wie es Ihnen beliebt oder wie Sie es gewohnt sind. Manchmal lohnt es sich aber, Gewohnheiten in Frage zu stellen und sich für einen bewussteren Einsatz von Sprache zu entscheiden.
Ein „Trigger“ ist zunächst einmal der englische Begriff für einen „Auslöser“ von Vorgängen. In der Psychologie wurde er ursprünglich vor allem für das Auslösen von Erinnerungen an traumatische Erlebnisse und damit verbundene Gefühle oder Reaktionen wie Panik, Flashback oder Dissoziation verwendet. „Trigger“ kann aber, z.B. im Bereich Arbeitspsychologie, auch bedeuten, dass bestimmte Situationen, Erlebnisse oder Aktionen wie erhöhter Termindruck, faule Ausreden von Kollegen oder Respektlosigkeit seitens des Chefs bei uns Stress in ganz unterschiedlichem Ausmaß auslösen, ohne dass wir uns deshalb gleich traumatisiert fühlen.
Im Kontext von Psychotherapie verwenden Patientinnen und Patienten seit geraumer Zeit viel zu häufig das Wort „Trigger“, und zwar mit einem vielsagenden, bedeutungsschweren, manchmal auch klagenden Unterton. Die inflationäre Verwendung des Begriffs in seiner ursprünglich schwersten Bedeutung hat jedoch längst dazu geführt, dass der Aussagewert gesunken ist und weiter sinkt. Wie bei der Inflation von Geld, wenn zu viel davon im Umlauf ist (im Verhältnis zu den realen Werten).
Mein Rat lautet, das Wort wirklich nur für extreme Ereignisse zu verwenden. Wenn Sie z.B. ein traumatisches Erlebnis mit einem Rettungswagen hatten (etwa weil Sie bei einem Unfall anwesend waren und einen Schock erlebten), kann es durchaus sein, dass ein heute vorbeisausender RTW mit Blaulicht und Martinshorn sie triggert. Doch sehr viele Menschen ohne eine solche Vorgeschichte lassen sich ebenfalls von Blaulicht und Martinshorn „triggern“, d.h. es werden bei ihnen Projektionen von schlimmen Ereignissen ausgelöst – dabei wären sie durchaus in der Lage, das zu reflektieren und sich zu regulieren, fallen aber in ein Muster von Angst oder Schmerz. Als wäre ein Schalter umgelegt worden.
Damit sind zwei wichtige Begriffe genannt: Projektion und Selbstregulation. Wer in punkto Selbstregulation nicht trainiert genug ist, muss umso mehr trainieren, damit die vielen „Trigger“, die überall im Alltag lauern (!), ihm oder ihr nicht so viel anhaben können. Ein solcher „Trigger“ sollte kein Argument sein, dass man dauerhaft geschont wird, im Gegenteil: Er ist ein Signal für die Notwendigkeit, mehr zu üben.
Oft handelt es sich schlicht um eine ungesunde Gewohnheit: sich reflexhaft Projektionen hinzugeben – einen Auslöser zu nehmen, um in alle Arten von schlechten Filmen abzutauchen. Nehmen wir an, ein Mensch betritt den Raum, er erinnert mich von seiner Erscheinung an jemand, der mir in der Vergangenheit Leid angetan hat oder den ich, warum auch immer, einfach nicht leiden mag. Ist das ein „Trigger“? Jein. Wie gesagt, Sie dürfen reden wie Sie wollen. Und es handelt sich zweifellos um einen „Auslöser“, aber in der Regel eben nicht um einen Auslöser von posttraumatischen Reaktionen, selbst wenn meine körperlich-seelische Anspannung sofort drastisch steigt, sondern um einen Auslöser von Projektionen: Ich spule einen Film aus der Vergangenheit ab.
Nicht hilfreich ist es, daraus ein Drama zu machen und mich in eine Opferrolle fallen zu lassen! Vielmehr habe ich zu lernen, wie ich mit meinen Projektionen produktiv umgehe, etwa indem ich den neuen Menschen kennenlerne oder sogar meine Wahrnehmungen in Kontakt bringe: „Du löst bei mir dies und das aus.“ Ein Trigger ist dann ein Anlass (für beide Beteiligte), etwas dazuzulernen. Andernfalls verbringe ich mein Leben vor allem in meinen alten Filmen satt im Hier und Jetzt – und jeder neue Mensch, der alten Bekannten ähnelt, wird nur benutzt, um meine Projektion zu bestätigen.
So etwas nennt man Selfulfilling Prophecy: Das, was ich befürchtet habe, tritt auch ein. Tatsächlich ist es ja so, dass Menschen, auf die wir eine Täterrolle projizieren, dies merken und sehr schnell nicht nur Trauer, sondern auch Wut empfinden – und demzufolge Aggression zum Ausdruck kommen kann. Schon habe ich den „Beweis“ für meine Projektion. (Das könnte aus dem Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ von Paul Watzlawick stammen. Falls Sie es nicht kennen: „Alt“, aber immer noch ein heißer Tipp!)
Viele Patientinnen und Patienten setzen „Trigger“ unbewusst, aber doch gezielt so ein, als müsste ich als Therapeut sie vor diesem Trigger (und meist noch vor etlichen anderen Triggern) schützten. Auch wenn es übertrieben klingen man, so wird hier eine Art von Opfer-Täter-Retter-Dynamik ausgelöst. Zum Beispiel: „Der Mann da triggert mich!“ Vereinfacht können wir uns die Botschaft etwa so übersetzen: „Ich bin ein Opfer, er ist ein Täter, sei Du (Therapeut) mein Retter und schütze mich!“ In der Klinik antworte ich auf solche Hilferufe, insbesondere wenn der Patient schon länger da ist und ich eine gute Beziehung zu ihm habe: „Ja, Sie sind hier, um getriggert zu werden und ihren Umgang mit solchen Projektionen zu trainieren. Oder glauben Sie im Ernst, dass dieser Mann Ihnen etwas antut?“
Wie gesagt: der Rückfall in eine Opferrolle (manchmal auch nur in eine Kindesrolle) geschieht unbewusst. Als Therapeut habe ich Verständnis dafür. Aber ich darf dieses letztlich „manipulative“ Verhaltensmuster auf keinen Fall belohnen! Ideal ist es, wenn ich als Therapeut die Begegnung der beiden Akteure auf Augenhöhe moderiere, begleite und anleite.
Es handelt sich bei Triggern aber längst nicht immer um andere Menschen, sondern oft um Gegenstände, Musik, Gerüche usw. – im Grunde alles, was Erinnerungen auslösen kann. Leicht nachvollziehbar, dass wenn wir auf diese Weise unerwartet an etwas Unangenehmes oder Schlimmes erinnert werden, ein Mechanismus in Gang gesetzt wird. Gerade deshalb gilt auch hier: Das Muster nicht belohnen, sondern hinterfragen. Bei allem Verständnis kann je nach Lage der Dinge und Therapieerfahrung des Patienten meine therapeutisch angemessene Reaktion so lauten: „Stop! Bleiben Sie im Hier und Jetzt! Wo sind Sie gerade mit Ihrem Bewusstsein?“ Und eventuell auch: „Wollen Sie den Rest des Lebens vor diesem Lied davonrennen?“ Natürlich sollte es der Betreffende nicht als Zwang zum Aushalten, sondern als Hilfe zur Selbsthilfe erleben, nur wissen wir nicht immer im Voraus, wie es ausgeht. Ich übernehme Verantwortung dafür, wenn es nicht klappt, aber nicht dafür, wenn der Patient behauptet: „Das hat mich retraumatisiert.“
Der therapeutische Rahmen an sich, speziell in einer Klinik, sorgt manchmal für einen „Sog“ zum Problematischen, und dabei werden auch Trigger überhaupt erst entdeckt oder wiederentdeckt. Ich hatte diesbezüglich wiederholt kuriose Begegnungen ähnlich wie die folgende: In einer Therapiegruppe wollte ich eine Übung mit Seilen machen. Eine Patientin äußerte Skepsis: „Die Seile triggern mich.“ Ich darauf: „Wie lange sind Sie schon in unserer Klinik?“ Sie: „Fast acht Wochen.“ Ich: „Okay, Sie wissen schon, dass wir zum Trainieren hier sind. Also, es sind nur Seile.“ Sie wollte dann nach der Stunde mit mir allein sprechen. Es stellte sich heraus, dass ihr Vater sich erhängt hatte. Da war ich zunächst sprachlos und erschrocken, da das Engagement oder die Empörung der Patientin den Eindruck vermittelten, als wäre dies direkt vor dem Klinikaufenthalt passiert – und dann würde es sich bei Seilen definitiv um Trigger handeln. Die Patientin bemerkte meinen Schreck und relativierte. „Es war schon vor mehr als 30 Jahren.“ Dann haben wir zusammen festgestellt, dass sie das Ereignis längst verarbeitet und in ihr Leben integriert hatte – in der „Zwischenzeit“ hatte sie eine Familie gegründet und ein weitgehend erfolgreiches Berufsleben geführt, war aber zuletzt durch private und berufliche Belastungen „k.o. gegangen“. Nein, sie habe all die Jahre keinen Bogen um Seile gemacht, im Gegenteil, als Erzieherin habe sie immer wieder mit Seilen zu tun. Warum also jetzt das Seil als Trigger erleben? Meine Erklärung: Die Herausforderungen, die sie derzeit im Leben nicht glaubte bestehen zu können, haben in ihr ein altes Muster von Hilflosigkeit aktiviert – und das Seil war sinnbildlich für die totale Ohnmacht. Und das ist keine „Retraumatisierung“, sondern eine Projektion.
Dies ist sicher ein extremes Beispiel. Außerdem wäre denkbar, dass die Patientin den Schock über den Suizid danach nie bearbeitet, sondern nur verdrängt hätte – und es jetzt im Rahmen der Therapie überhaupt erstmals in ihr Bewusstsein getreten wäre, was sie damals erlebt hat; auch dann wäre das Seil ein „echter“ Trigger. Insofern dürfen wir nie leichtfertig mit solchen Signalen umgehen. Aber als Therapeuten dürfen wir auch nicht aus Angst vor Triggern und Trauma in die Retterrolle und in reine Empathie verfallen. Denn viel wahrscheinlicher, als dass es um echte Trigger geht, ist, gerade wenn der vermeintliche „Trigger“ auf etwas lange Zurückliegendes verweist, dass dieses alte Bild eine ideale Projektionsfläche für gegenwärtige Lebensprobleme (und mangelndes aktuelles Selbstvertrauen sie zu meistern) bietet.
Hier besteht die therapeutische Kunst darin, maximales Verständnis für den Patienten aufzubringen, ohne falsche Rücksicht auf das Muster der Hilflosigkeit zu nehmen. In der Therapie sollten Patienten lernen, besser für sich einzutreten, und zwar ohne dass sie dafür Trauma, Trigger oder Depressionen als Argument der Selbstfürsorge „verwenden“ müssen. Mir ist es, vereinfacht gesagt, wesentlich lieber, wenn ein Patient sagt: „Ich habe keinen Bock auf diese besch… Seileübung“ oder auch „Wie soll mir diese Übung wirklich im Alltag helfen?“ als wenn er oder sie anfängt, von Triggern zu reden. Wie gesagt: Sie dürfen selbstverständlich reden wie Sie wollen.