G wie Glaubenssätze

„Ich kann das nicht.“ Wie reagiert ein Therapeut auf diese typische Aussage? Er (oder sie) könnte sagen: „Das ist auch nur ein Glaubenssatz.“ Die Mehrheit der Therapeuten würde jedoch einfach den Satz ergänzen: „Sie können das NOCH nicht.“ Dadurch verwandelt sich ein Glaubenssatz, der eine vermeintliche Gesetzmäßigkeit des gesamten Lebens zusammenfasst – ich kann das nicht, weil ich es noch nie gekonnt habe bzw. weil ich immer versage usw. –, in eine realistische Feststellung über die gegenwärtige Lernphase: „Ich kann das noch nicht, weil es ganz neu und ungewohnt ist; das muss ich wohl erstmal oder auch ein paar Mal probieren.“ Sehr empfehlenswert in diesem Kontext ist die Geschichte „Der angekettete Elefant“ von Jorge Bucay. Sie können diese im Internet auf verschiedenen Seiten finden. (Da ich mir über die Urheberrechte nicht im Klaren bin bzw. meine, dass sich die Verwender darüber nicht im Klaren sind, biete ich hier keinen Link an.)

Die verschiedensten Therapierichtungen arbeiten gerne mit dem Konzept der Glaubenssätze. Interessanterweise ist es so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt einer modernen Verhaltenstherapie. Ging diese in ihren Anfängen von einem Reiz-Reaktions-Schema aus, was sich auf die bekannten Tierversuche mit Ratten, Mäusen, Hunden usw. gut anwenden lässt, aber beim Menschen nicht so recht überzeugt, so wurde dieses Konzept durch die „kognitive Revolution“ vermenschlicht: Zwischen Reiz und Reaktion kam das Bindeglied der Kognition, denn was der Mensch erlebt und tut, hat irgendwie immer mit einer Art Denken oder eben Glauben zu tun – mit „Beliefs“. Und so wurde aus dem R-R-Schema die ABC-Regel: Aktivators-Beliefs-Consequences. Ein ungesundes Verhalten als Reaktion auf Auslöser (Activators) hat demnach meist mit fehlerhaften bzw. unrealistischen Interpretationen und Überzeugungen, also Glaubenssätzen (Beliefs) zu tun. Und wenn wir dem Klienten helfen wollen, ein psychisch gesünderes Verhalten (Consequences) zu erlernen, müssen wir gemeinsam mit ihm seine falschen Beliefs in Frage stellen und diese ergänzen, korrigieren oder ersetzen.

An der fatalen Wirkung von Beliefs arbeitet sich z.B. auch die Tiefenpsychologie ab, nur hegte ihr Gründervater S. Freud im Wesentlichen die Hoffnung, wenn der Betroffene den Gedankenfehler erst einmal begriffen habe – seine inneren Konflikte damit hinreichend „mentalisiert“ -, dann würde er sein Leben schon ändern können. Heute wissen wir, dass dies leider nicht zutrifft, und es neben der Erkenntnis immer eine mehr oder weniger aufwändige Lernphase, auch nach der Erkenntnis, benötigt, in der die neue Überzeugung und das resultierende neue Verhalten erlernt und gefestigt werden. Manchmal sind wir sogar zu den tiefen Erkenntnissen erst dann retrospektiv in der Lage, wenn wir das neue Verhalten schon einigermaßen gelernt haben. Etwas vereinfacht könnten wir sagen: Erst wenn ich spüre, dass ich nicht mehr so hilflos wie ein Baby bin (Glaubenssatz!), kann ich den tiefen Schmerz zulassen, dass ich einmal so hilflos war.

In der systemisch-lösungsorientierten Therapie spielt das sog. Reframing eine große Rolle: Es geht darum, dem Patienten eine neue Sicht auf ein festgefahrenes Problem oder auch „nur“ eine festgefahrene Ansicht (die letztlich Lösungen blockiert) anzubieten. Dabei wird oft mit Überraschungseffekt gearbeitet, der Betreffende kann es erst gar nicht glauben, dass es sich bei dem völlig anderen Blick um eine reales bzw. ernst gemeintes Angebot einer anderen Perspektive handelt. Reframing bedeutet streng genommen, etwas in einen anderen Kontext zu setzen und ihm dadurch eine andere Bedeutung zu verleihen, insofern muss es nicht immer um die Veränderung von Glaubenssätzen gehen, aber Schnittmengen bestehen dabei durchaus, da man beim Reframing oft am Glaubenssystem des Betreffenden, also an einem Set aus verschiedenen Glaubenssätzen, „rüttelt“.

Wenn beispielsweise der Klient sagt: „Ich habe in meinem Arbeitsleben nie die Anerkennung bekommen, die ich verdient hätte“, könnte der Berater fragen: „Alle Achtung! Wie haben Sie das bloß hinbekommen, so kompetent wie Sie sind?“ Das kann als sehr provokativ empfunden werden und funktioniert nur dann als Methode, eine neue Perspektive zu generieren, wenn eine gute, empathische Beziehung mit dem Klienten besteht, dieser also weiß, dass seine Trauer über mangelnde Anerkennung vom Berater sehr wohl ernst genommen wird. Gesetzt den Fall, der Klient würde nach einem Stutzen und Staunen, dass man es auch so sehen kann, nun erkennen, dass er in seinen Arbeitsbeziehungen immer Formen der Anerkennung gesucht hat, die dort eher selten anzutreffen sind – etwa eine väterliche oder mütterliche Form des Gesehenwerdens -, dann könnte der Glaubenssatz „nie Anerkennung …“ neu formuliert und ergänzt werden. Und: dann auch ausprobiert werden, z.B. in einer Gegenüberstellung mit anderen Klienten der Gruppe oder in einer Art Aufstellung. Das, was dabei an neuem inneren Bild und Glauben abgespeichert werden kann, bedarf dann natürlich noch einiger Praxisbewährung im wahren Leben, um nicht wieder vom „bewährten“ negativen Denken überwältigt zu werden – dem wiederum könnten verschiedene „Hausaufgaben“ des Beraters dienen.

Hier sieht man, wie verhaltenstherapeutisches, tiefenpsychologisches und systemisches Arbeit Hand in Hand gehen kann. Wahrscheinlich arbeiten die meisten Berater*- und Therapeut* innen heute intuitiv mit einem solchen „Mix“. Jorge Bucay ist übrigens Gestalttherapeut – also noch eine weitere Richtung, die wir für diese Arbeit heranziehen könnten.

PS. Therapeuten sind bekanntlich keine besseren oder perfekteren Menschen. Ich habe in neuen Situationen, z.B. als therapeutischer Singleiter oder auch als Berater im Einzelsetting am Anfang ziemlich Bauchschmerzen verspürt und mir und sogar anderen gesagt: „Eigentlich bin ich eher Theoretiker.“ Ein schöner Glaubenssatz! Sicher, ich habe einen mächtigen Anteil „Theoretiker“, sonst gäbe es u.a. den Blog nicht, in den genannten Fällen ging es aber schlicht darum, dass man eben anfangs nicht viel praktische Erfahrung haben kann, das macht nun mal das Anfangen aus. Heute, auch mit dem Hintergrund von mehreren Jahren Beschäftigung mit dem Thema Achtsamkeit, versuche ich, das Anfangen und die ganze Aufregung, wenn ich Neuland betrete, auch ein bisschen zu genießen oder zu erforschen und mir Mut zu machen mit dem positiven Glaubenssatz, dass nichts wertvoller ist als der authentische Anfängergeist 🙂