B wie barfuß

Bewusstes Gehen ist nach dem bewussten Atmen vermutlich die bedeutendste Übung der Achtsamkeitspraxis. Beide Aktivitäten „laufen“ im Alltag automatisch, und es bedarf eigentlich nicht vieler Voraussetzungen, sie immer mal wieder bewusst in den Fokus zu nehmen. Beim Gehen ab und zu die Schuhe ausziehen. Das wäre auch aus Sicht von Anatomie und Physiologie sinnvoll. 

Es stimmt, wir sind fürs Barfußgehen geschaffen. Die Erkenntnis, dass Barfußgehen so gesund ist, kommt uns allerdings erst, wenn wir durch einigermaßen Wohlstand mit ausreichend Schuhwerk ausgestattet sind: Nicht barfuß gehen müssen, sondern dürfen und wollen.

Schon die einfache Fußbekleidung beraubt unsere Füße gewisser reflektorischer Reize und der Möglichkeit zu Spreiz- und Greifbewegungen. Vom eigentlichen Sündenfall, der Erfindung des Schuhabsatzes, war damit noch gar nicht gesprochen. Bereits vor dem ersten Schritt, also im Stand, zeigt der Schuhabsatz sein pathogenes Potenzial: Von der Seite betrachtet, bietet der Anblick eines Barfüßlers eine Linie mit leichten Biegungen im Hüft- und Brustbereich, die der Federung dienen. Einen Absatz an der Ferse darunter geklemmt, und schon verlagert sich das Gewicht nach vorne, die Kurven werden größer, der Mensch kann nicht mehr aufrecht stehen. Eine Fülle von Krankheitstendenzen lassen sich aus dieser Haltung ableiten: von orthopädischen Problemen über Kopfschmerzen bis zu Venenbeschwerden, Krampfadern und kalten Füßen.

Und jetzt erst in Bewegung! Der Fuß ist ein Wunderwerk der Natur. Erschaffen als Doppelgewölbe, eines längs und eines quer, muss er bei jedem Schritt das Zwei- bis Dreifache des Körpergewichts verkraften. Dem dient die federnde Abrollbewegung, an der beide Gewölbe Anteil haben: Wir setzen den Fuß an der Ferse außen auf und drücken uns am Ende der Bewegung am Ballen vorne ab. Fachleute nennen dieses Abrollen Pronation. Mit einem Absatz unter der Ferse – ganz extrem bei „High Heels“ – wird aus dem Abrollen eher ein Umklappen oder Umknicken. Die Kraftangriffspunkte sind verschoben, der geniale Stoßdämpfungsmechanismus ist unterbunden. Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Gelenkersatzchirurgie.

„Aber ein kleiner Absatz ist doch gesund“, hört man gelegentlich. Richtig ist daran, dass der moderne Mensch an die üblichen Schuhe so gewöhnt ist, dass sich seine Muskulatur daran angepasst hat. Würde man nun von einem Tag auf den andern nur noch barfuß oder absatzlos durchs Leben schreiten, stellen sich bald Achillesehnenreizungen und Fußsoh­len­­­entzündungen ein. Also werfen sie nicht gleich alle alten Schuhe weg.

Und wer will und kann überhaupt immer barfuß gehen? Wir brauchen Schuhe. Gesund sind sie, wenn sie im Alltag dem Barfußgehen nahekommen: ohne Absatz. Aber nicht nur das. Schuhe müssen der Fußform entsprechen und einen breiten Zehenbereich haben. Der Fuß sollte im Schuh beweglich sein und doch Halt haben, vor allem an der Ferse und am Rist. Viele Sandalen, Clogs, Pumps und ähnliche Modelle bieten keinen ausreichenden Halt und unterbinden dadurch die Pronation.

Lauf- oder Joggingschuhe sind eine gute Alternative fürs Gehen im Alltag, sofern man sie nicht ständig trägt: Sie bieten guten Halt, und der Absatz ist im Vergleich zu vielen Alltagsschuhen relativ flach. Laufschuhe werden beim Gehen wegen des Dämpfungssystems als angenehm, gelenk- und rückenschonend empfunden. Wichtig: Laufschuhe immer eine Nummer größer kaufen als die üblichen Schuhe (dies ist besonders wichtig, wenn man damit wirklich läuft). Wussten Sie außerdem, dass wir morgens „kleinere“ Füße haben (ca. eine halbe Größe)? Auch das sollte man beim Schuhkauf beachten.

Ausgerechnet fürs Laufen sind Laufschuhe dagegen eher ungeeignet, denn Laufen unterscheidet sich in einigen Punkten stark vom Gehen: Man setzt den Fuß flacher und weiter vorne auf, die Schritte müssen kürzer sein, man schreitet eben nicht, sondern läuft. Durch die Dämpfungskonstruktionen der meisten Laufschuhe vergrößert sich der Abstand zwischen Ferse und Boden. Die dadurch veränderten Hebelarme können bei Hobbyläufern zu typischen Achillessehnenentzündungen führen. Außerdem ist die Bewegungskontrolle und damit auch die Dämpfung reduziert! Kaum zu glauben, aber wahr.

Also, laufen oder gehen Sie häufiger mal barfuß. Solches Gehen ist zwar noch keine Gehmeditation, doch warum nicht zwischendurch für Momente oder Minuten bewusst darauf achten, was sonst wie von alleine „läuft“? Ich liebe den Spruch von Thich Nath Hanh: „Bei jedem Schritt mit den Füßen die Erde küssen.“ Als würde überall dort, wo wir aufgetreten sind, hernach eine Rose sprießen.