B wie Brot

Erinnern Sie sich noch daran, dass einige Zeit lang keine Hefe mehr zu bekommen war? Zu den positiven Nebeneffekten der Corona-Krise bzw. des Lockdowns zählt vielleicht auch, dass in dieser Zeit sich überraschend viele Menschen dafür interessiert haben, wie „das“ Grundnahrungsmittel der Deutschen hergestellt wird – und ob sie es vielleicht sogar selbst hinbekommen. Hinbekommen vielleicht, aber ob es auch immer bekömmlich ist?

Das Bäcker-Handwerk hat in den letzten 50 Jahren große Veränderungen erfahren: Die meisten Bäcker beschäftigen sich heute vor allem mit dem Aufbereiten von Fertigbackmischungen der Industrie oder Aufbacken von tiefgefrorenen Brot- und Brötchen-Teiglingen. Im Backgewerbe herrscht ein extremer Verdrängungswettbewerb der Filialisten, die mit viel Holzoptik, Fotos von alten Dampfbäckereien, tollen Filial-Titeln wie „Ihr Landbäcker“ und anderem Traditionsgetue („seit 1904“) werben und täuschen. Was manchmal wie eine modernisierte, aber traditionsbewusste Dorfbäckerei aussieht, ist nicht selten eine von 150 oder 300 Filialen eines Industriebetriebs. Und natürlich tauen und backen auch viele Einzelbäcker nur noch auf oder verwenden Fertigmischungen, bei denen nichts schief „gehen“ kann. (Small ist nicht immer nur beautiful, und Großbetriebe sind nicht generell schlecht, schön wäre es halt, wenn man hinter die Kulissen schauen könnte …)

Apropos „gehen“: Die traditionelle „Führung“ von Sauerteig über mehrere Stufen sorgt dafür, dass Säurebakterien und Hefen verschiedene Mehlbestandteile umwandeln und dadurch das Brot bekömmlicher machen. Von daher kommt der ursprünglich begründete Ruf, Sauerteigbrot sei das gesündeste. Die Industrie imitiert dies, indem sie mit chemischen Hilfsmitteln gefertigtes Brot künstlich säuert. Sie hat in Jahrzehnten ein ganzes Arsenal an Hilfsstoffen und Tricks entwickelt, um beim Brot so tun zu können „als ob“: Backtriebmittel, Säureregulatoren, Emulgatoren, Quell- bzw. Verdickungsmittel, Enzyme, Antioxidationsmittel, Konservierungsstoffe, Lockerungsmittel, Stabilisatoren und Süßstoffe – unzählige Backmittel, die entweder den Teig maschinengängig machen sollen oder das Endprodukt in Aussehen, Konsistenz, Volumen, Aroma, Haltbarkeit und Geschmack manipulieren. Bei unverpackter Ware, sei es in der Bäckerei oder im Back-Shop braucht nichts davon deklariert zu werden. 

Der Kauf von „Bio“-Lebensmitteln bietet Schutz vor einem Großteil der unerwünschten Zutaten und Tricks. Dennoch hat auch in manchem Bio-Markt längst die Vielfalt der Frostlinge Einzug gehalten.

Das tägliche Brot selbst zu backen, das war vor Corona eher etwas für Exoten. Ob es überhaupt eine gesunde Alternative ist? Korn lässt sich schnell zu Mehl vermahlen und daraus kann man auch relativ einfach ein schmackhaftes Hefebrot zaubern: viel kneten, lang backen, mit etwas Essig schmeckt’s noch natürlicher. Doch derartige Brote sind nicht immer besonders bekömmlich. Wer es ähnlich gut hinbekommen will wie der Bäcker von anno dazumal, muss Zeit investieren und Erfahrung sammeln, erst recht, wenn es darum geht, mit Sauerteig oder Backferment noch gesündere Brote herzustellen, die in Geschmack, Konsistenz und Bekömmlichkeit nichts zu wünschen übriglassen. Wo Gärung im Spiel ist, gibt es tendenziell auch Probleme – wäre es anders, hätte die Industrie nicht mit garantierten Backmischungen und computergesteuerten Maschinen den Bäckern ihr Handwerk ausreden können.

Statt den Mangel an Bekömmlichkeit, so er denn empfunden wird, auf eigentlich naheliegende Ursachen wie Mangel an Qualität zurückzuführen, sucht man heute nach schuldigen Inhaltsstoffen. Sowohl Verbrauchern als auch Ernährungsberatern und Medizinern wäre eine handfeste Allergie oder zumindest eine Intoleranz immer die liebste Erklärung, weil sie schön objektiv klingt. So geriet die zunächst die Hefe unter Generalverdacht – und dann der Weizen bzw. das Gluten.

Was so schlimm an der Hefe ist? Ich weiß es nicht. Ja, sie kann die veredelnde Teigführung durch Sauerteig nicht ersetzen. Sie ist aber auch nicht per se darmschädigend, im Gegenteil, Hefepräparate werden erfolgreich bei Durchfall eingesetzt. Allerdings scheint bisher nicht hinreichend geklärt, ob die Bäckerhefe beim Backen wirklich inaktiviert wird. Viele Verbraucher machen die Erfahrung, dass nach Verzehr von Hefebrot bzw. -backwaren eine Art zweite Hefegärung im Darm auftritt. Doppelt gebackenes bzw. getoastetes Brot und Zwieback werden dagegen besser vertragen, was auf Hefe als Übeltäter hinzuweisen scheint, allerdings spielen noch andere Faktoren eine Rolle: Das doppelte Backen bzw. Toasten schließt die Stärke besser auf, auch dies macht das Brot leichter verdaulich. Ganz schlecht verträglich sind bekanntlich frische oder gar noch warme Brote, da ein Teil der beim Gehen und Backen entstandenen Stoffwechselgase erst entweichen sollte.

Trockenes, gelagertes Brot ist zudem verträglicher, weil es zu intensiverem Kauen motiviert. Die Bekömmlichkeit von Brot hängt in starkem Maße vom Kauen ab, denn die Kohlenhydrate werden im Mund vorverdaut.  Bevor man also der Hefe abschwört – was schwierig wäre, denn auch Sauerteigbrote enthalten Hefe –, sollte man es mal mit einem Hefebrot vom Bio-Bäcker versuchen und dieses ausreichend kauen. Oder sich das Buch von Lutz Geißler „Brot backen“ zulegen, er hat mit seinem „Plötzprinzip“ bewiesen, dass (jeder)man auch mit Hefe bekömmlich backen kann.

Vom Weizen weiß man, dass er auf große Erträge hin hochgezüchtet, manche sagen: überzüchtet wurde. Anscheinend vertragen manche Menschen Dinkel besser als Weizen. Backtechnisch verhalten sich beide gleich, der Dinkel stellt aber eine weniger ertragreiche und daher teurere Urform dar. Häufig wird die bloß vermutete Weizen-Unverträglichkeit allerdings mit einer – oft ebenfalls bloß vermuteten – Gluten-Unverträglichkeit verwechselt. Bei echter Gluten-Intoleranz wäre Dinkel keine Alternative, denn auch er enthält reichlich Gluten (Klebereiweiß).

Früher galt die Gluten-Intoleranz als eher seltene Erkrankung namens Zöliakie bzw. Sprue (bei Kindern). Etwa 50 von 10.000 Menschen sollten davon betroffen sein. Für Sie sind Weizen und andere glutenhaltige Getreide tabu. In jüngster Zeit wird allerdings diskutiert, ob es auch schwächere oder latente Formen der Erkrankung gibt, die selbst dann existieren und zu berücksichtigen sind, wenn die klassisch-medizinische Diagnostik (durch Darmbiopsie) eigentlich zur Entwarnung führt. Tatsächlich wissen auch Ärzte heute, dass die Tests (z.B. auf Antikörper) nicht immer Klarheit liefern. Auch daher gibt es heute wie früher Menschen, die unter Gluten-Intoleranz leiden und jahrelang nichts davon wissen, sozusagen sinnlos leiden. Daher bin ich durchaus für glutenfreie Selbstversuche (siehe unten) zu haben. Aber weitaus größter dürfte mittlerweile die Zahl derer sein, die fälschlich meinen, unter Gluten-Intoleranz zu leiden. Die Industrie ist am Boom dieser häufigen (Schein)diagnose nicht unbeteiligt, denn sie bietet ein großes Repertoire an glutenfreien Produkten an. Diese enthalten oft zahlreiche Zusatzstoffe, damit die Produkte halbwegs an die Original-Lebensmittel erinnern.

Wer wirklich (d.h. nachgewiesen) unter Gluten-Unverträglichkeit leidet, der sollte m.E. vorerst lieber komplett auf Brot und Backwaren verzichten, als reichlich glutenfreie Backwaren zu konsumieren. Eine bekömmliche glutenfreie Kost lässt sich mit Reis, Hirse, Mais, Buchweizen, Amaranth, Quinoa u. a. gestalten, außerdem sind ja auch Kartoffeln, Gemüse und Obst glutenfrei. Die manchmal übertriebene Gluten-Beachtung hätte dann ihr Gutes, wenn sie die (vermeintlich) Betroffenen dazu brächte, wieder mehr den Nutzen einer vollwertigen Küche zu entdecken – nach der Formel „Reis und Gemüse“ als Basis – und zu richtigen Mahlzeiten anhielte. Eine Ernährung auf dieser Basis wäre für die meisten Verbraucher ideal, weil bekömmlich und gesundheitsförderlich.

Brot scheint zwar als Zeitsparer bequem, wirkt aber für gestresste Zeitgenossen keinesfalls darmentspannend, auch wenn es noch so perfekt gebacken wurde. Morgens ein Reis-, Hafer- oder Hirsebrei, evtl. mit etwas ungesüsstem Apfelmus, wäre bekömmlicher. Betaglucane aus dem Hafer pflegen den Darm ebenso wie Pektine aus dem Apfelmus.

Auch am Mittag, wenn wenig Zeit für die Pause bleibt: Ein Glas gekochter Reis oder ein selbstgemachter Nudelsalat belasten unser Verdauungssystem nur minimal und führen uns Energie für die zweite Hälfte des Arbeitstages zu. Wenn es beim Essen aber 7/24 schnell gehen muss und die Küche daher immer kalt bleibt, kann die Ernährung nicht gesund und vollwertig werden. Das Brot „an sich“ ist unschuldig.

Brotbacken funktioniert im Übrigen auch ganz ohne Backtriebmittel, ein Brotteig muss nicht unbedingt „gehen“, um als gebackenes Brot bekömmlich zu sein – Quellenlassen reicht, allerdings nicht bei den üblichen Brotgetreiden. Was wiederum für Menschen, die es glutenfrei brauchen oder mögen, ein Vorteil ist: Haferflocken, Hirse(flocken), Chiasamen, Flohsamen, Leinmehl und anderes aus der Welt der Saaten, können gemeinsam eine leckere Brotmischung ergeben. Logischerweise ist das Brot wesentlich dichter bzw. weniger luftig als ein „gegangenes“ Exemplar und muss daher gut gekaut werden.       

Hinweis: Mein Ernährungsbuch „Die Lebenskraft stärken. Makrobiotik“ (2015) ist nach wie vor für ca. 15 Euro lieferbar beim Makrobiotik-Versand.