Der Begriff Darmsanierung ist heute vermutlich nur bei Laien beliebt. Die Schulmedizin hat noch bis vor 10 oder 15 Jahren, so genau weiß ich nicht, wann die Wende eintrat, das Meiste, was mit dem Begriff verbunden war, ignoriert oder sogar aktiv verspottet. Heute dagegen wird der neue Begriff für die früher sogenannte Darmflora: das Mikrobiom, hoch und höher gejubelt. Das alte Mantra der Naturheilkunde „Gesundheit liegt im Darm“ scheint in verwissenschaftlichter Form wiederzukehren: Ob Stoffwechsel, Immunsystem, Hormonhaushalt, Gewichtszunahme, Nerven und Psyche oder gar Intelligenz betroffen sind – tata und tätärätä, das Mikrobion ist (mit)verantwortlich.
Schön und gut, aber was können wir dafür tun? Die Joghurt- und Probiotika-Industrie hat dafür gesorgt, dass mittlerweile viele Konsumenten glauben, die Einnahme von gesunden Keimen sei das A & O bei der Sanierung. Manchmal helfen Koli-, Milchsäure- und Bifidobakterien tatsächlich, aber nicht nachhaltig. Und in vielen Fällen zugeführten Keime nicht, um die Darmflora ins Lot zu bringen, zumal diese gar nicht immer das Hauptproblem oder die Ursache darstellt!
Ein Beispiel: Sowohl die Darmflora als auch die Aktivität von Verdauungsenzymen ist abhängig vom pH-Wert der Umgebung. Im Alter tendiert der Darm-pH dazu, sicher vom physiologischen sauren Wert Richtung alkalisch zu verändern. Auch bei ballaststoffarmer Ernährung kann dies auftreten – und schon fühlen sich die falschen Keime pudelwohl. Hier könnte man mit der Einnahme von Brottrunk oder Milchzucker (wenn keine Intoleranz besteht) gegensteuern.
„Vor die Therapie haben die Götter die Diagnose gesetzt.“ Zu meiner Zeit als Redakteur beim „Naturarzt“ war dies ein Lieblingsspruch von Stammautor Dr. Volker Schmiedel, mit dem er besonders gerne und süffisant missglückte Versuche von Darmsanierungen kommentierte. Ihm und dem Naturarzt-Chefredakteur Dr. Rainer Matejka habe ich viel in Sachen Verständnis von Darmgesundheit und Therapie zu verdanken, so dass ich hier gar nicht so tun möchte, als wäre es auf meinem Mist gewachsen. Den Schmiedel-Spruch habe ich mir irgendwann abgewandelt, so dass er zu meiner Lebenseinstellung passt: „Vor die Praxis haben die Götter die Theorie gesetzt.“ Das stimmt zwar eigentlich nicht, aber auf mich trifft’s zu: Ich muss erst viel wissen, bevor ich mich ans Praktische wage.
Zurück zur Darmflora. Ihre Störung oder gar „Zerstörung“ gilt ja allgemein als großes Nebenwirkungsrisiko einer Antibiotikabehandlung. Während dies viele Patient*innen mittlerweile wissen und manchmal sogar überschätzen, haben immer noch zu wenige mitbekommen, dass auch die weit verbreitete Dauereinnahme von Magensäureblockern Störungen im Darm verursacht. Von den bekannteren Medikamenten ist es außerdem Kortison, welches die Selbstregulation im Darm beeinträchtigen kann.
Apropos Kortison: Stress hemmt und verändert die Tätigkeit der Verdauungsorgane erheblich. So führt etwa das Stresshormon Cortisol (das körpereigene Kortison) zu vermehrter Magensäureproduktion und verminderter Peristaltik. Ein Großteil von Patient*innen in der naturheilkundlichen Praxis reagieren einigermaßen sensibel bis gereizt auf derartige „psychologische“ Hinweise seitens des Heilpraktikers: Es war ja nicht selten die These ihrer Ärzte, das Problem sei „psychisch“ bedingt, die Patienten gewissermaßen in die Arme des Heilpraktikers trieb. Es bleibt ein Fakt, dass die Seele eine große Rolle spielt, und wenn es gelingt, den psychischen Stress zu reduzieren, kann manche naturheilkundliche Maßnahme noch viel besser greifen. Dennoch spricht gar nichts dagegen, erstmal einen Befund zur Darmflora oder überhaupt zu Stuhlparametern zu erheben. (Meine Devise: „Über die Psyche rede ich gerne mit Ihnen, aber nur falls Sie es definitiv wollen!“)
Für Verdauungs- und Stoffwechselprobleme und deren Auswirkungen auf viele Organsysteme kommen auch andere Ursachen als eine Darmdysbiose (gestörte Darmflora) in Frage, etwa Lebensmittel-Intoleranzen. Das ist ein weites Feld und findet manchmal zu viel oder die falsche Beachtung (wieder ein eigenes Thema), an dieser Stelle nur so viel als Beispiel: Ich bin im Laufe der Jahre immer wieder Patient*innen begegnet, die offensichtlich kein Obst vertragen haben und dennoch größere Mengen davon verzehrten, weil es gesund sein soll oder eben einfach schmeckt.
Ein anderer prominenter Faktor Verdauungsstörungen ist die nicht ausreichende Aktivität der Oberbauchorgane Pankreas und Leber/Galle. Die Leistung der Bauchspeicheldrüse kann, nicht selten übrigens stressbedingt, reduziert sein, ohne dass dies schon in entsprechenden Labortests auffällig wäre, genauer gesagt, die Schulmedizin und ihre Diagnostik kennt nur Pankreasinsuffizienz, die Naturheilkunde auch eine Pankreasschwäche.
Ein Thema, was besagter Dr. Schmiedel aktiv breiter bekannt gemacht hat, ist das Gallensäureverlustsyndrom. Hier führen Gallensäuren, die im Darm nicht rückresorbiert werden, zu Entzündungen, gleichzeitig kann die Fettverdauung reduziert sein, d.h. es kann „oben“ im Verdauungstrakt Mangel an Gallensäuren bestehen, und „unten“ gibt’s zu viel. Dafür gibt es ziemlich sichere Hinweise im Stuhlbefund.
Wie gesagt, ein weites Feld, sozusagen ein Fußballfeld, schließlich ist die Oberfläche des Darms so groß wie ein Fußballfeld. Und es braucht, um EM-gerecht im Bild zu bleiben, einiges an Taktik und Strategie, um hier Tore zu schießen, mit der mehr oder weniger ungezielten Einnahme von Probiotika ist es häufig nicht getan.
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