Manche Klienten halten meine Arbeitsweise für fordernd bis konfrontativ. Ja, ich erinnere meine „Kunden“ schon öfters daran, dass sie selbst der wesentliche Teil der Lösung sind. Allerdings, und das kommt nach meiner Erfahrung in manchen lösungsorientierten Ansätzen zu kurz: Bevor Patient*innen keine Empathie bekommen haben, kann keine andere weitere therapeutische Arbeit stattfinden! Und wenn ich als Therapeut keine echte Empathie für einen Klienten empfinde, sollte ich schauen, dass er in andere Hände kommt. Auch wenn durch Empathie allein vermutlich noch niemand nachhaltig „geheilt“ wurde, ist sie doch das Wichtigste, was wir als Therapeut unseren Patient*innen geben können, sie sollte daher mindestens 50, besser 51% ausmachen.
In der Gruppentherapie ist die Empathie der Mitpatient*innen manchmal noch wichtiger als die des Therapeuten. Allerdings ist nicht jedes Gruppenmitglied von Anfang an dazu in der Lage. Die beiden häufigsten Hinderungsgründe: Entweder der Patient ist noch zu sehr mit den eigenen Themen beschäftigt, die er erstmal geteilt haben möchte und für die er selbst Empathie braucht, oder die Geschichten und das Erleben anderer Patienten aktivieren seine Ängste, überfluten ihn oder wirken wie Trigger, die abgewehrt werden müssen, solange die Fähigkeiten zur Selbstregulation nicht genug trainiert sind. In beiden Fällen kann es sein, dass es erst einmal Einzeltherapie braucht.
Der Schein trügt. Es scheint in vielen Fällen so, als ob Menschen, die kaum Zugang zu den eigenen Gefühlen haben, umso mehr Zugang zu den Gefühlen anderer haben, gerade in helfenden Berufen. Das kann gut gehen, aber selten dauerhaft. Denn dieser Empathie fehlt etwas. Zum einen werden wir selbst dabei nicht in der Weise und Intensität genährt, wie wir es bräuchten – und zum andern merken die anderen, die da Empathie von uns bekommen, dass wir zu stark mit ihnen schwingen, weil wir mit uns selbst nicht schwingen können. Wenn man es sehr streng auslegen wollte, ist diese Empathie eher eine Art Sentimentalität, eine Ersatzhandlung für die eigene Seelenbalance. Gerade in der Gruppentherapie können wir immer wieder beobachten, dass Mitpatient*innen auf solche Empathie, die sie anfangs vielleicht geschätzt haben, zunehmend genervt reagieren.
Dass wir, vermutlich nicht nur ich, ausgerechnet in engen Beziehungen oder Partnerschaften oft nicht empathisch genug reagieren, hat mit Ängsten und Überforderung zu tun: mit der unterdrückten Sorge, wenn wir den anderen so gut verstehen, müssten wir unser Verhalten, vielleicht unseren Charakter ändern. Ich kann schwer mitfühlen, wenn ich mich sofort in die Rolle von Retter oder Täter (Schuldigem) gedrängt fühle. Manchmal ist das zwar tatsächlich gefragt, aber viel häufiger würde es reichen, wirklich nur die Gefühle des anderen wahrzunehmen – statt Appelle hineinzuinterpretieren.
Wenn wir gerade in den nächsten Beziehungen als nicht ausreichend empathisch erlebt oder kritisiert werden, kann das aber auch mit mangelnder Empathie für uns selbst zusammenhängen. Wenn wir z.B. unsere Ängste nicht wirklich spüren können, also z.B. in Situationen, in denen Angst angemessen wäre, sofort Wut spüren, fällt es uns eventuell auch schwer, Angst bei unseren Nächsten zu „akzeptieren“. Oder, ein ganz verzwicktes, aber nicht seltenes Beispiel: Wenn ich im Grunde Angst empfinden müsste, dass der Partner mich verlässt, aber diese Angst nicht spüren kann, weil ich sowieso kaum eigene Ängste spüren kann, fällt es mir schwer mitzufühlen, wie der Partner an unserer Beziehung leidet – und ich reagiere mit Unverständnis, vielleicht sogar Banalisierung, oder eben Aggression. Es lohnt sich, wenn der Vorwurf mangelnder Empathie im Raum steht, eine neutrale Person einzubeziehen (z.B. Therapeut oder Coach), die sowohl meine Gefühle wahrnehmen kann als auch die meines Partners. Über dieses „Medium“ fällt es uns oft leichter, zu einer reinen Wahrnehmung von Gefühlen zu kommen, die nicht sofort mit allem möglichen anderen wie Appellen oder Schuldzuweisungen vermischt ist.
Last not least, ist eigentlich Mitgefühl das Gleiche wie Empathie? Das kann jede(r) selbst definieren. Ich verstehe den Begriff Mitgefühl noch etwas „größer“ oder „spiritueller“, auch wenn sich Empathie und Mitgefühl im Alltag wie in der Therapie vermischen können. Mitgefühl bedeutet für mich, dass ich auch Menschen mit meinem „Segen“ begleite, deren Einstellungen und Handlungen ich vielleicht überhaupt nicht verstehen oder akzeptieren kann. Es ist sozusagen eine spirituelle Haltung, in ihnen den göttlichen Kern zu sehen und auch in ihnen das Bestreben zu erkennen, das Beste zu geben. Von dieser – man könnte auch sagen: humanistischen – Haltung aus können wir allen Menschen Mitgefühl geben. Wie viel „Gefühl“ darin steckt? Wie vieles im Bereich Spiritualität oder Buddhismus oder auch Humanismus mag es ein bisschen „fleischlos“ wirken. Doch manchmal ist es ein erster Schritt zu mehr Nähe. Und Nähe schafft Nähe – und damit auch echt „emotionales“ Mitempfinden. So gesehen könnte man sagen: Wenn es (noch) nicht für Empathie reicht, versuche es doch mal mit Mitgefühl.