F wie Feig(ling)

Als ich vor ein paar Tagen abends nach Hause fuhr, lief im Radio der Song „Reif für die Insel“ von Peter Cornelius. Ich dachte daran, wie anders die Zeiten sind – heute – und wie aktuell der Refrain trotzdem oder erst recht klingt „I bin reif, reif, reif, reif für die Insel. I bin reif, reif, reif überreif. Und i frag mi warum i no‘ da bin?“ Cornelius liefert dann auch umgehend die Antwort: „Für’s aussteig’n bin i scheinbar zu feig.“ Wenn man sich selbst mit reichlich Humor als feige bezeichnet, das hat Charme! Übrigens hatte es sich für den gelernten Bankkaufmann Cornelius (mittlerweile 70 Jahre alt) zuvor gelohnt, die eigene Feigheit zu überwinden, die Branche zu wechseln und auf die Bühne zu gehen.

Ansonsten sind die Wörter feige, Feigling und Feigheit, psychologisch gesehen, eher selten hilfreich, gerade auch in der Selbstbewertung bzw. genauer: Selbstabwertung. Man merkt sofort, wer da spricht – der innere Kritiker, der sich mal wieder wahnsinnig aufblustert, alles besser weiß und einen herunterputzt. Dabei versteht er gar nicht, um was es geht. Meist sitzt er dem Irrtum auf, in der entsprechenden Situation wäre nur Mut gefordert, um die Angst zu überwinden. Häufiger aber bräuchte es Gelassenheit und Selbstakzeptanz. Ich würde jedenfalls aus vielen Gründen nicht im Entferntesten auf die Idee kommen, Menschen mit Ängsten als feige zu betiteln, selbst und gerade wenn die Ängste – von außen betrachtet – total übertrieben erscheinen mögen.

In diesem Corona-Jahr Nr. 1 hat mich der Begriff „Feigheit“ dennoch häufiger beschäftigt als je zuvor. Ich war immer wieder aufs Neue schockiert von allen Arten der „Feigheit“: feige Politiker, die nicht offen über das Für und Wider der Maßnahmen diskutieren wollen, feige Journalisten, die sich ach-wie-kritisch über Querdenker hermachen oder prominente Lockdown-Kritiker „zerlegen“ aber nicht ein Bruchteil soviel an kritischer Energie darauf verwenden, die amtliche Politik und deren demokratiefeindliches Regime und die Folgen zu hinterfragen, feige Ärzte, die es als Praktiker, doch wissen müssen, dass es so nicht ist, wie es „von oben“ dargestellt wird (Infektionszahlen, Todesstatistiken usw.). Nun kamen ja mit etwas Verzögerung doch erstaunlich viele Ärztinnen und Ärzte aus der Deckung, haben sich kritisch geäußert und sogar zusammengeschlossen (und Prügel bezogen). Wobei ich einige Ärzte dabei vermisst habe, die ich sonst als Freunde kräftiger Wortwahl und bissiger Kritik kannte – und das war ich wiederum geneigt als besonders feige zu bezeichnen.

Verstehen kann man alles, wenn man sich nur genug hineindenkt und -fühlt. Ich verstehe z.B. sehr gut, dass Heilpraktiker oder auch homöopathische Ärzte sich überwiegend sehr bedeckt gehalten haben – Mediziner, die ohnehin seit Längerem auf der Abschussliste von Medien und Politik stehen. Die Schadenfreude des Mainstreams, sich auf diese angeblichen Scharlatane zu stürzen, sobald sie sich auch noch als Corona-Skeptiker äußern würden, kann ich mir lebhaft vorstellen. Ähnliches gilt etwa auch für die Heilpraktiker-Zeitschriften und -Verbände: Dass man sich da etwas näher an der amtlichen Politik orientiert, als es viele der eigenen Leser oder Mitglieder im wahren Leben tun, das nenne ich nicht Feigheit, sondern Vernunft.

Aber bei allem Verständnis: soll dieses z.B. auch die Ängste von Politikern einschließen, welche fürchten, von den Medien bloßgestellt und angegriffen zu werden?  „Ich möchte derzeit nicht in der Haut der Politiker stecken.“ Haben Sie das im vergangenen Jahr auch häufiger gehört als je zuvor? Niemand hat Menschen dazu gezwungen, Politiker zu werden, ganz im Gegenteil, sie suggerieren uns in ihren Wahlkampagnen, dass sie sich nichts sehnlicher wünschen, als Politiker zu sein. Ich würde nie pauschal sagen, Politiker können nichts oder üben keinen anständigen Beruf aus. Das ist Unsinn, die meisten von ihnen können sehr viel und der Beruf an sich ist anständig und anspruchsvoll. Politiker müssen meinetwegen nicht idealistischer sein als Menschen in anderen Berufen (sie sollten dann aber auch nicht so tun als ob!). Doch zu dieser Profession gehört nun einmal fundamental die Fähigkeit und Bereitschaft, wenn es darauf ankommt, den Mund aufzumachen. Das sollte ein Wesensunterschied zu anderen Berufen sein.

Ein Beispiel: Da feiert der ein oder andere Politiker mitten im Lockdown seinen runden Geburtstag oder eine Vorwahlkampfparty. Mit etwas Verzögerung spricht sich herum, dass die Anwesenden offenbar Covid-19 weder für besonders ansteckend noch heimtückisch tödlich halten, denn sonst hätten sie sich auf der Feier anders verhalten „wie normal“. Was folgt? Die öffentliche Entschuldigung der Gastgeber, sich nicht „vorbildlich“ verhalten zu haben. Naja, okay, es ist schon eine Entschuldigung wert, wenn man mit zweierlei Maß misst: Jungen Leuten beim Bierchen im Park oder Omas im Gespräch am Gartenzaun Bußgelder verpassen zu lassen bzw. solche obrigkeitsstaatlichen Praktiken nicht zu kritisieren, aber selbst beim Champagner „Liberalismus“ zu praktizieren.

Der eigentliche Skandal liegt ganz woanders: Wenn diese Politiker Covid-19 nicht für so wahnsinnig gefährlich halten, wie er in der Öffentlichkeit dargestellt wird, warum sagen sie es nicht offen im Parlament, warum setzen sie sich nicht für einen liberalen und zugleich sozialen Umgang mit der Pandemie ein? Warum streiten sie nicht für Verhältnismäßigkeit und Augenmaß? Das ist einer der erschreckendsten Aspekte des Corona-Regimes: Der Autoritarismus mit Mathematik und Moralkeule, wie ihn Regierungen und Mainstreammedien seit einem Jahr praktizieren, hat seine Entsprechung im unsäglichen und, ja durchaus, feigen Opportunismus jener Politiker (aller Parteien), die zwar dem ganzen Zahlenunfug und der superhehren Weltenrettergesinnung der Regierenden bei Weitem nicht zu 100% glauben, aber dies nur hinter vorgehaltener Hand sagen oder durch Partys indirekt kundtun.

Vor 31 Jahren fand die erste freie Volkskammerwahl in der bald darauf untergehenden DDR statt. Manches hat mich im vergangenen Jahr „30+1“ an den Realen Sozialismus erinnert. „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.“ Wieso eigentlich konnten Ochs und Esel das nicht? Weil der Sozialismus wissenschaftlich begründet war. Wie die allgemeine Tödlichkeit des Virus, der Lockdown und die Impfkampagne. Aber, bitte, das kann man doch nicht vergleichen (?) Nein, wir leben ja auch nicht in der DDR, doch viele Politiker verhalten sich so: wie die berühmt-berüchtigten Blockflöten! Bei vielen ist wirklich kaum erkennbar, warum es ihr größter Wunsch war, Politiker zu werden. Und dafür leisten wir uns eines der größten Bundesparlamente der Welt plus unglaubliche 16 Landtage! Im Klartext: Wenn alle Feiglinge aussortiert würden und noch einige von ihnen über Skandale stolperten, wären wir wahrscheinlich bald bei der angemessenen Zahl von Parlamentariern.

Das Stichwort Skandal könnte ein eigener Text sein. Nur so viel für heute, zum Jahrestag des Lockdowns: Zahlreiche Abgeordnete betreiben zusätzlich – oder hauptsächlich? – zu ihren, wie ich finde, üppigen „Diäten“ (was für eine schöne Begriffsverwirrung!) noch reichlich Nebengeschäfte. Mehr als 60 Firmen sind allein in der Hand von Parlamentariern der CDU/CSU. Seit die Maskendeals Stück für Stück publik werden, fragen sich sicher viele Bürger: Welchen Einfluss haben solche Geschäfte auf die amtliche Corona-Politik? Waren vielleicht die Alltagsmasken nur deshalb nicht „effektiv“ genug, weil die „professionellen“ Masken „vermarktet“, also zwangsverordnet werden mussten? Wie viele solcher Deals von Abgeordneten beeinflussen unsere Politik noch? Und wer ist in diesem Bundestag letztlich erpressbar mit dem, was er für sich und andere tut, wofür er (oder sie) nicht gewählt wurde?

Ich verstehe, wenn Politiker Angst haben, dass so manche ihrer Tätigkeit ans Licht gezerrt wird. Aber hat die diesbezügliche „Verschwiegenheit“ etwas mit feige zu tun oder ist es eine Form von Vernunft, sozusagen die Rationalität der Raffkes? Laut Karriereberatern sollte man lernen, weniger feige zu sein, denn als Feigling verpasst man einiges und lässt manche große Chance aus. Dass dies hier zuträfe kann ich nicht erkennen, lassen die Betreffenden doch eher keine Chance aus, mit ihrem feigen Opportunismus gut zu leben und abzukassieren. Da halte ich es lieber mit dem Publizisten und Freiheitskämpfer Ludwig Börne (1786-1837) als mit Karrierebibeln. Börne, der sich in seinem Leben durchaus auch manches Mal aus Vernunft angepasst hat, hatte erkannt, wie obrigkeitsstaatliche Regimes funktionieren: „Das Geheimnis der Macht besteht darin, zu wissen, dass andere noch feiger sind als wir.“

Was folgt daraus? … i frag mi warum i no‘ da bin … Die Freunde der Freiheit im 19. Jahrhundert sind ja bisweilen aus Preußen und anderen deutschen Landen geflohen. Aber wohin sollen wir heute denn? (Und dazu noch ohne internationalen Impfausweis!) Bleiben wir also hier, sagen unsere Meinung – lassen uns das Singen nicht verbieten und den Humor nicht nehmen: Venceremos!