S wie Siesta

Montags stehe ich zwischen 4:30 und 4:45 Uhr auf. Wenn ich es dann nicht schaffe, mich irgendwann im Laufe des Tages hinzulegen, fühle ich mich abends, als hätte ich leichtes Fieber. Da ist es schon vernünftiger, mal ein Nickerchen einzulegen. Aber was ist an den anderen Tagen: Lohnt es sich, „Siesta“ zu machen, wenn eigentlich der Becher Kaffee nach dem Mittagessen reicht, um durchzuhalten?

Mit dem Mittagsschlaf verhält es sich wie mit vielen anderen Dingen, die uns gut täten und die unseren Vorfahren teilweise selbstverständlich waren: Wir benötigen heute erst handfeste wissenschaftliche Beweise und möglichst englische Begriffe oder medizinisches Vokabular, wie Powernapping und Chronobiologie, damit wir der Sache wieder trauen. Die Wissenschaft hat festgestellt: Der Organismus kann nicht den ganzen Tag unter Hochspannung arbeiten. Im Mittagstief passieren die häufigsten Fehler im Arbeitsprozess und wesentlich mehr Verkehrsunfälle als morgens. Übrigens tritt das Mittagstief auch unabhängig vom Essen auf.

Der Mensch ist keine Maschine – das wissen wir von schlafgestörten Schichtarbeiter*innen und ihren fulminant höheren Erkrankungsraten. Gesünder lebt, wer seine natürlichen Rhythmen nicht ständig übergeht, dies trifft auch auf den Leistungsknick am frühen Nachmittag zu. Unsere „innere Uhr“, das Zusammenspiel vieler Rhythmen im Organismus, hat um die Mittagszeit eine zweite Ruhephase eingebaut. Der Mittagsschlaf fördert daher die Gesamttagesleistung!

Und er wirkt offenbar auch lebensverlängernd: Wer zumindest dreimal wöchentlich mittags ein Nickerchen hält, hat ein um fast 40 Prozent geringeres Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu versterben. Entspannungsphasen führen dazu, dass Blutdruck, Herzfrequenz und Muskelspannung heruntergefahren werden, die Atmung wird gleichmäßiger, die Körpertemperatur sinkt, die Hormonausschüttung wird ebenfalls auf „Erholung“ programmiert. Mittagsschläfer werden daher auch seltener von Infektionskrankheiten erwischt und leiden weniger häufig an Depressionen. Wusst ich’s doch 🙂

Mittagsruhe ist ein natürliches Bedürfnis. Wir dürfen ihm nachgeben. Sicher gibt es noch andere Varianten von Auszeit, die uns kurzfristig erfrischen und langfristig gut tun, mit ebenso gesundheitsfördernden Effekten, z. B. der Spaziergang an der frischen Luft. Warum nicht erst ein Nickerchen und dann der Spaziergang? Ja, die Mittagspause sollte insgesamt länger sein, aber mit einer Stunde käme man im Homeoffice hin: jeweils 15 Minuten für Kochen, Essen, Schlafen und Walken. Wer im Betrieb gekocht bekommt, könnte mehr Zeit dem Essen und dem Spaziergang widmen. Nicht dem Mittagsschlaf, denn bei dem sollte es sich um ein Nickerchen handeln. Dabei geht es darum, der inneren Uhr zu helfen – und nicht sie zu verstellen. Genau dies droht aber, wenn man den Mittagsschlaf zu lange ausdehnt. Daher rät die Mehrheit der Experten zu einer Maximaldauer von 20 oder 30 Minuten (je nach Forscher variiert dies). Zwar gibt es auch Studien, denen zufolge die Merk- und Leistungsfähigkeit durch einen 60- oder gar 90-minütigen Schlaf noch weiter gesteigert wird, doch zum einen ist die „Aufwärmphase“ danach meist deutlich erhöht, zum andern wächst das Risiko schlagartig, den Nachtschlaf zu stören.

Aus der Sorge um die nötige Abendmüdigkeit wird Menschen mit Schlafstörungen oft geraten, den Mittagsschlaf ganz zu streichen. So pauschal kann man die Empfehlung allerdings nicht stehen lassen. Denn gerade Schlafgestörte und ihr sensibles vegetatives Nervensystem profitieren vom mittäglichen Stressabbau. Ebenso depressive Patienten, denen oft ebenfalls pauschal vom Mittagsschlaf abgeraten wird. Besser als ein generelles Nein ist der dringende Hinweis, den Wecker zu stellen, also das Nickerchen zu begrenzen und nicht als Ersatz für Nachtschlaf zu missbrauchen.

PS. Jaja, mir ist schon klar, dass eine Siesta eigentlich stundelang dauert – weil in der südlichen Mittagshitze zu arbeiten, das wäre verrückt. Aber vielleicht ist es auch ein bisschen verrückt, im Norden gar keine Pause mehr zu machen.