„Miss den Hass, den du jetzt fühlst, und die Scham. Ihre Größe entspricht deiner Fähigkeit,
zu lieben, Freude zu empfinden und Mitleid zu haben.“
(Aus: Hannah Green, Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen)
Hass? Huch! Darf es sowas überhaupt geben, kann ich das als „echtes“ Gefühl gelten lassen oder sollte ich es nicht schnell als „Pseudogefühl“ wegerklären? Verschwiegen und verdrängt, das gehört dazu beim Hass, meistens. Ja, es kommt so viel Schreckliches durch Hass in die Welt – von privaten Dramen mit gewalttätigem Ausgang bis zu Terroranschlägen – , dass ich verrückt sein müsste, diese Emotion hochleben zu lassen. Keine Frage, Hass vergiftet die Seele. Doch gerade deshalb sollten wir ihn aufspüren, auch bei uns.
Vermutlich kennen Sie Redensart wie „Ich hasse es, wenn …“ Da geht es um extremes Genervtsein, etwa wenn man in einer Telefon-Warteschleife bei Laune gehalten werden soll, ohne dass die voraussichtliche Restwartezeit angesagt wird. Das ist einfach nur frech und total unnötig, verdammte Sch…, ich hasse es! Vermutlich haben die meisten von uns auch kein Problem damit, wenn jemand Institutionen „hasst“ – eine bestimmte Partei, ein Unternehmen, das nachweislich mit unlauteren Methoden abzockt (z.B. Schlüsseldienste), vielleicht gleich die ganze gesellschaftliche Elite oder den Kapitalismus. Aber drücken wir uns nicht davor: Wie ist es damit, Menschen zu hassen?
Über Autofahrer, die gerne rasen, kann man diskutieren. Aber nicht über solche, die andere Verkehrsteilnehmer belästigen, bedrängen oder mutwillig gefährden, ihren Weg schneiden, von hinten drängeln (obwohl weit und breit keine Lücke zum Vorbeilassen existiert), sie abdrängen oder ohne Rücksicht auf Verluste die Fahrbahn kreuzen. Wenn ich davon betroffen bin, taucht bei mir regelmäßig eine Art James-Bond-Phantasie auf: Ich drücke auf einen 007-Knopf, es öffnet sich an meiner Autofront eine Luke, ein MG fährt hoch und ich jage eine volle Salve auf den Täter. Ja, wirklich, ich bin Pazifist. Phantasien haben und sie umsetzen, dass sind glücklicherweise sehr verschiedenen Dinge – ich würde mir kein MG ins Auto bauen lassen 🙂 – und das macht einen wesentlichen Unterschied, ob Hass pathologisch ist.
In Corona-Zeiten haben mich die teilweise mehr als dummdreisten Behauptungen von Herrn Lauterbach maßlos geärgert, z.B. zum Thema Impfungen: als diese gerade eingeführt wurden und er angeblich mehr über deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit wusste als jeder neutrale Wissenschaftler. Das hat sich noch gesteigert, als er völlig zu meiner Überraschung Bundesgesundheitsminister wurde und ich mich diesem Verrückten und seinem Wahnsinn gewissermaßen ausgeliefert fühlte. Ich gebe zu: Ich habe diesen Mann gehasst. Vielleicht bin ich Ihnen jetzt nicht mehr so sympathisch … (?) Verstehen könnte ich das: Hass zu erleben oder auch nur sich vorzustellen ist abstoßend, es löst Angst und Ekel aus.
Hass drückt einen extremen Wunsch aus oder ist es eine Begierde: dem andern zu schaden – oder die Sehnsucht, dem anderen möge Schaden widerfahren. Psychologen sagen: Hass beinhaltetet eine Art Vernichtungswillen. Vielleicht ist das ein Grund, warum wir solche Angst vor Hass haben und ihn am liebsten gar nicht gelten lassen.
Interessant ist die Verbindung von Hass und Hässlichkeit: Hass macht zum einen die Akteure hässlich, zum andern projizieren diese oft ihren Hass auf Äußerlichkeiten, ziehen in giftiger Weise die möglichen Hässlichkeiten von Menschen in Lächerliche und ignorieren dabei jegliche Schamgrenze. Hass zeigt hier den Aspekt von “Rache“: Es spricht viel dafür, dass die Akteure sich selbst extrem gedemütigt fühlen – was sie dann verbal und in der Phantasie „zurückgeben“. Wobei „sich gedemütigt fühlen“ nicht zwingend heißt, dass man gedemütigt wurde! Das ist vielmehr ein Pseudogefühl, eine Phantasie, ein Komplex, ein Gemisch aus unreflektierten Gefühlen und falschen Ideen oder Spekulationen.
Echte Gefühle verraten, wie es um unsere Bedürfnisse steht. Hass zeigt m.E. meistens an, dass es um unser Bedürfnis nach Selbstbestimmung schlecht bestellt ist, dass wir uns extrem ohnmächtig erleben – im Raserbeispiel oder im Fall von Karl Lauterbach und auch in dem immer wieder gern angeführten Rosenkrieg. Ja, auch Hass nach großer Liebe ist oft eine Reaktion auf Ohnmachtsgefühle. Wenn man dann noch den Hass von Missbrauchsopfern hinzunimmt, lässt sich zusammenfassen: Hass ist (zumindest auch) eine Reaktion auf extreme Verletzungen. Hierher gehört auch der in der Therapie bekannte Selbsthass von Opfern, den man als verdrehte Form der Selbstbehauptung verstehen könnte: sich schuldig fühlen, obwohl man nichts dafür konnte, sich hassen wie einen (Mit)täter, um irgendwie der totalen Ohnmacht zu entfliehen.
Der politische Hass, wie er uns oft in Medien vorgeführt wird, beruht vermutlich ebenfalls zum größten Teil auf einer Art Ohnmacht, auf dem Gefühl der Unterlegenheit. Dies kann mit tiefsitzenden psychischen Minderwertigkeitskomplexen zu tun haben, aber auch mit ganz realen Machtverhältnissen, mit Ausgeliefert- und Ohnmächtigsein. Es kann sich um das aktuelle Gefühl einer Unterschicht, aber auch um einen „alten“ Hass aus der Kindheit oder sogar der Vorläufergeneration handeln.
Vielen Humanisten scheint Hass ein so minderwertiges Gefühl, dass sie schnell auch die Menschen, die Hass erleben und zeigen, zumindest insgeheim abwerten. Ist das nicht ein seltsamer Humanismus?! Ich bin nicht der Meinung, dass wer Hass zeigt, automatisch unter mangelndem Selbstbewusstsein oder Persönlichkeitsstörungen leidet. Richtig ist allerdings, dass wir in der Psychotherapie nur dann von intensiven Gefühlen profitieren können, wenn gleichzeitig auch noch unser Verstand arbeiten kann. Jemand, der sich zu 100% in Rage befindet (egal um welches Gefühl es geht), kann in diesen Momenten nicht therapeutisch weiterkommen. Bei Hass zeigt sich dies besonders deutlich: Wenn ich das Gefühl des totalen Vernichtungswillens auslebe, bin ich ganz beim andern und nicht mehr bei mir (und das würde vielleicht die Einschätzung als „Pseudogefühl“ begründen), und kann nicht erforschen oder verarbeiten, was mir wirklich helfen würde und wie ich mir selbst helfen könnte.
Oft fließt in den Hass auf eine konkrete Person noch viel Hassenergie hinein, die mit der Person ziemlich wenig zu tun hat. Dafür noch ein letztes Beispiel: der Hass auf Hunde und Hundebesitzer. Zunächst einmal handelt es sich dabei meist und zum größten Teil um eine Reaktion auf Angst oder Ekel. Wer sich vor Hunden ängstigt oder ekelt, wird viele Begegnungen mit ihnen, als Übergriff erleben, sich dabei ohnmächtig fühlen. Hass ist hier wieder einmal die billigste Form der Selbstermächtigung. Soweit kann man das verstehen. Aber was ist mit jenen Betroffenen, die aus Hass zur Tat schreiten und Hunde vergiften? Verständliche Rache? Zweifellos handelt es sich dabei nicht nur um irgendein Vergehen, sondern um eine pathologische Persönlichkeitsstörung: ein fühlendes Lebewesen zu vernichten und anderen Menschen ihren liebsten Begleiter zu nehmen, das ist eben keine Phantasie, sondern krankhafter Wahnsinn. Verstehen kann man es, krankhaft ist es allemal. Hass verzerrt den Menschen zum „Irresein“, und tatsächlich scheint er, wie sich auch dem Klassiker „Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen“ entnehmen lässt, bei Schizophrenie häufig eine große Rolle zu spielen: Die (im günstigen Fall vorübergehende) Unfähigkeit, „normal“ zu leben und zu lieben, kann sich in manchmal mörderischem Hass auf das Leben, in Zerstörungswut und Raserei äußern.
Als Therapeuten sollten wir niemals einem Klienten den Hass scheinbar unbemerkt durchgehen lassen, so tun, als wäre nichts gewesen. Heilung verlangt Authentizität. Wir müssen ihn also spiegeln und den Betreffenden damit konfrontieren, und zwar nicht: „Sie sind aber ganz schön wütend …“ Wir müssen dorthin gehen, wo die Angst hindeutet – zum Vernichtungswillen, auf den sich der Hass bezieht. Oft landen wir dann relativ bald bei der Ohnmacht des Patienten, nicht selten auch bei Ohnmachtsgefühlen die größer sind, als es der reale Bezug begründet. Viele Betroffene sind froh, wenn sie ihren Hass mal ehrlich aussprechen konnten – und fühlen sich nicht selten später davon befreit, wenn man sie damit nicht in der Scham-Ecke alleine lässt, etwas Unmoralisches gezeigt zu haben, oder gar hineindrängt. Moral ist in der Therapie ein schlechter Ratgeber, obwohl erfolgreiche Therapie in der Regel zu einem eher moralisch zu nennenden Verhalten führt.
Kennen Sie den Spruch: „Liebe ist stärker als Hass“? Ich bin mir noch nicht ganz sicher, welche konkrete Bedeutung er in der Therapie haben könnte. An dieser Stelle passt es vielleicht: dass unsere Liebe größer und stärker sein muss als der Hass des Klienten. Mit Hilfe meiner Liebe oder meines Mitgefühls kann er oder sie den Hass überwinden und mehr zu sich selbst finden, statt sich an der (fantasierten) Vernichtung anderer abzuarbeiten. Auf jeden Fall kann die Liebe uns davon abhalten, vor dem Hass zurückzuweichen – und die Selbstliebe im Patienten wecken, so dass der Selbsthass überwunden wird.