A wie Analfissur

Ich bin, aus Überzeugung, nicht der große Tabubrecher. Denen, die solches für sich reklamieren: einen Tabubruch zu wagen, traue ich zunächst einmal nicht über den Weg, zumal wenn es mehr oder weniger lautstark geschieht. Oft ist es gar keiner, sondern nur ein Marketing- oder Propagandatrick. Und ich finde, die meisten echten Tabus haben es verdient, dass man ihre Auflösung, so sie denn nötig ist, achtsam betreibt.

Es ist sicher zu begrüßen, dass wir heute über manche medizinischen oder psychischen Probleme leichter reden oder schreiben können als noch vor Jahrzehnten. Und das darf m.E. noch lockerer werden. Zum einen wissen wir ja, wie viel Infos über Tabuthemen aus dem Internet gezogen werden (statt jemand zu fragen). Zum andern stelle ich in der Praxis, etwa bei Sichtung des Anamnesebogens, häufig fest, dass um bestimmte Themen wie z.B. Stuhlgang weiter ein Bogen gemacht wird – und, ganz ehrlich, auch mir fällt es nicht leicht, diesbezüglich im Anamnesegespräch konsequent abzufragen. Wie schnell gibt man sich an dieser Stelle mit „alles okay soweit“ oder „ich denke, das ist normal“ zufrieden? Das kann natürlich vor allem dann nicht funktionieren, wenn das zu behandelnde Problem in Tabuzonen sitzt.

Analfissuren haben wohl die meisten Menschen hierzulande einmal, selbst wenn sie sich dessen nicht bewusst sind und die Beschwerden und Symptome (Schmerzen, hellrote Blutspur auf dem Toilettenpapier) fälschlich auf eine Hämorrhoide zurückführen. Bei vielen Betroffenen verschwindet das Problem ohnehin nach ein paar Tagen: ein meist eher kleiner Hautriss im After bzw. im Analkanal – andere müssen sich länger damit herumschlagen.

Die Ursache ist meist Verstopfung. Da sich ein Hautriss entzünden kann und entzündete Haut leichter einreißt und da der Riss beim Stuhlgang Schmerzen verursacht, verleitet dies Betroffene, die häufig ohnehin an Verstopfung leiden, den Stuhlgang zu vermeiden bzw. hinauszuzögern, was wiederum Verstopfung begünstigt und die ganze Problematik noch verschärft.

Wichtig: Die Diagnose muss stimmen, d.h. Schmerzen und Blut im Stuhl sind definitiv nicht auf andere Ursachen zurückzuführen! Die einfachste und wichtigste Maßnahme, die Heilung zu ermöglichen, ist die Unterstützung des Stuhlgangs von außen mit den Fingern: Der Mittelfinger liegt über dem Steißbein in der Gesäßfalte möglichst nah am Anus, Zeige- und Ringfinger können sich links und rechts daneben an den Gesäßhälften abstützen. Mit ein wenig Übung bekommen Betroffene leicht heraus, wie zu Beginn des Stuhlgangs von außen eine notwendige Analdehnung durch Drücken mit den Fingern (seltener auch Ziehen) so erleichtert wird, dass sich der harte Stuhl nicht länger seinen Weg einreißt, sondern einen leichteren Abgang findet. Diese „passive“ Absicherung des Afters (mit den Fingern) kann durch eine vorsichtige „aktive“ Verformung des Analkanals ergänzt werden, das muss nicht in Pressen ausarten.

Während der Behandlung können klassische Heilsalben (z. B. Hamamelis oder Calendula) unterstützend zum Einsatz kommen. Ich habe bisher mit Erfolg Johanniskrautöl (Rotöl) empfohlen. Bei stärker ausgeprägten Symptomen werden üblicherweise Salben mit schmerzbetäubender und durchblutungsfördernder Wirkung verordnet, da eine verbesserte Durchblutung die Wundheilung begünstigt, zu beachten sind dabei allerdings evtl. auftretende Nebenwirkungen (z.B. Kopfschmerzen).

Was alles nicht hilft bzw. gut überlegt sein will:

  • Zur Standardtherapie gehörte lange Zeit die Analdehnung. Mittlerweile wird der Nutzen angezweifelt. Im akuten Stadium jedenfalls raten einige Fachleute davon ab und sehen eher in der Vorbeugung gegen Rückfälle eine sinnvolle Verwendung. 
  • Umstritten ist die Einspritzung von Botox, was für ein paar Monate den Schließmuskel erschlaffen lässt und damit zur Abheilung der Fissur beiträgt – eventuell aber bei langfristig hohem Preis: dauerhaft eingeschränkte Stuhlkontrolle.
  • Als „obsolet“ gilt heute die früher gängige Praxis der Verödung des Bereichs, da langfristig möglicherweise durch Vernarbung die Problematik verschärft wird.
  • Auf operative Eingriffe sollte man sich nicht voreilig einlassen, denn die gängigen Verfahren haben ihre Tücken: Langfristig ist bei der Sphinkterotomie vor allem die Stuhlinkontinenz befürchtet, während die Fissurektomie mit langer Abheilungsdauer und eventuellem Wiederauftreten (Rezidiv) abschreckt.

Obwohl eine ständig einreißende Fissur zweifellos sehr schmerzhaft sein kann, sollte die Dauer des Leidens allein kein Grund für die Diagnose „chronisch“ bzw. für die Indikation OP sein.  Erst Komplikationen wie etwa Fibrome (Knötchen), Abszesse, Fistelbildung oder sehr starke anhaltende Schmerzen rechtfertigen eine eventuelle Operation. Ansonsten gilt: Bevor man sich auf eine zwei-, dreimonatige Abheilung nach Operation einstellen muss, kann man auch zwei, drei Monate konservativ behandeln.

Da Verstopfung die Hauptursache darstellt, gehören die bekannten, scheinbar (!) banalen Maßnahmen zum Repertoire der Behandlung: ballaststoffreiche Ernährung, Trinkmenge, Bewegung, Entspannung, regelmäßige Stuhlzeiten mit genug Zeit. Abführmittel (wie Schwedenbitter) schädigen auf Dauer die Selbstregulation in puncto Stuhlgang. Verstopfung kann im Übrigen auf manchmal übersehenen Faktoren beruhen, etwa auf einer veränderten Anatomie im Afterbereich, z. B. durch Beckenbodensenkung (hiervon sind vor allem Frauen betroffen). Dadurch wird der Stuhl nicht direkt zum Ausgang hinausbefördert, sondern drückt gegen die Enddarmwand. Das übliche „Pressen“ verschärft diese anatomischen Verziehungen eher. Allerdings ist das oft gehörte Gebot „auf keinen Fall Pressen“ für viele Betroffene ungefähr so hilfreich wird der 1001-te Ballaststoff-Tipp. Ganz ohne Pressen geht es manchmal nicht. Dabei kommt es auf die Dosierung und die Technik an: Entscheidend ist, wie oben beschrieben, dem Stuhl von außen mit den Fingern zu helfen, sich den Weg zu bahnen. Der maßgebliche Baustein der naturheilkundlichen Therapie ist also das, was Betroffene selbst dafür tun können, und das kostet keinen oder (bei Erwerb von Rotöl) kaum einen Cent.              

Haftungsausschluss: Blut im Stuhl, zumal bei dauerhaftem Auftreten, kann ein Hinweis auf ganz verschiedene Ursachen sein, die ärztlich abgeklärt werden müssen. Die allgemeinen Ratschläge in diesem Beitrag ermuntern nicht zur Selbstdiagnose und dienen nicht dazu, den Besuch bei Arzt oder HP zu ersetzen. Weitere Haftungsausschlüsse siehe Impressum.