B wie Bekömmlichkeit

Der Begriff „Vollwerternährung“ hat im Laufe der Zeit erstaunliche Umdeutungen erfahren. Den Charakter eines Kompasses, den er früher für viele gesundheitsbewusste Verbraucher bot, hat er unterwegs weitgehend verloren. Das hat viele Gründe: Der Mensch ist bequem, die Lebensmittelindustrie mächtig, auch Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln profitieren von der Verwirrung in Ernährungsfragen, Verlage, die mit „Superfood“-Büchern oder gleich mit dem Verkauf des vermeintlichen Superfoods Kasse machen.

Der Vollwert-Pionier Dr. med. Max Otto Bruker prägte dagegen den zentralen Rat: „Kauf nichts, wofür Werbung gemacht wird.“ Wow! Oder: Howgh! („Ich habe gesprochen.“) Nahrung aus frischen Lebensmitteln selbst zubereiten, das bleibt ein erstrebenswertes Ideal. Doch zum partiellen Misserfolg der Vollwertlehre hat auch beigetragen, dass diese Lehre recht einseitig auf Frischkornbrei, Vollkornbrot und viel Rohkost setzte (oder zumindest so wahrgenommen wurde) – und dies zu versuchen, das bekam eben nicht jedem und jeder gut.

Nahrung sollte naturbelassen sein. Je mehr verarbeitet ein Lebensmittel ist, desto mehr ging „unterwegs“ an Wert (Vitamine oder nicht näher bekannte Vitalstoffe) verloren – so die Idee der Vollwertlehre. Deshalb sollte die Ernährung einen großen Anteil an unverarbeiteten oder wenig verarbeiteten Lebensmitteln enthalten. So weit so gut, doch an dieser Stelle muss die Vollwertlehre um den Kerngedanken der Bekömmlichkeit ergänzt werden.

Oft wird in Ernährungsfragen gerade von gesundheitsbewussten Menschen das WAS (Lebensmittel) überbewertet und das WIE unterschätzt – es geht aber wesentlich auch darum ausreichend zu kauen, regelmäßig und mäßig zu essen, sich Ruhe lassen, heute würde man vielleicht sagen: um Achtsamkeit beim Essen. Einer der Pioniere der gesunden Ernährung, der nicht so viel von Vollwert, aber viel von Bekömmlichkeit hielt, war der Arzt F. X. Mayr. Er hat sich vor allem mit ganz einfachen Kriterien befasst, deren Missachtung bei der Nahrungsaufnahme so fatale Folgen haben kann. Dr. Mayr war der Meinung, dass es gar nicht so wichtig ist, was wir essen, sondern wie und wie viel wir essen. Nach seiner Erfahrung essen wir oft zu viel, zu schnell, zu oft, zu spät und zu schwerverdaulich.

Eine vollwertige, vegetarisch betonte Ernährung mit Getreide, verschiedenem Gemüse und Hülsenfrüchten liefert auch heute noch eine ausreichende Grundlage für die Erhaltung unserer Gesundheit. Wenn im Einzelfall Mangel an Mikronährstoffen auftritt, so hat das primär nichts mit der Landwirtschaft und ausgelaugten Böden etc. zu tun, obwohl in der konventionellen Landwirtschaft das durchaus vorkommen kann, sondern es beruht im Wesentlichen auf einseitiger Ernährung, also auf der mangelhaften Zusammenstellung der Nahrung durch den Verbraucher.

Es gibt nur wenige Mikronährstoffe, mit denen der Mensch hierzulande auch bei vollwertiger Ernährung zumindest in bestimmten Lebensphasen unterversorgt zu sein scheint:

  • Jod (dem wird durch Jodierung von Lebensmitteln begegnet, die aber nicht für alle Konsumenten unproblematisch ist)
  • Folsäure (betrifft vor allem Schwangere)
  • Vitamin D (der Mangel hat primär mit mangelnder Sonnenexposition zu tun, d.h. kann nicht durch Ernährung ausgeglichen werden)

Ansonsten ist Vollwertkost auch heute noch vollwertig. Allerdings, unser Organismus kann nur das wirklich verarbeiten, was ihm auch bekommt. Müsli (oder Frischkornbrei) und Vollkornbrot sind (individuell unterschiedlich) nur bedingt bekömmlich – jedenfalls kann oder sollte man davon nicht solche Mengen verzehren, wie sie für die Energiegewinnung nötig wären. Es empfiehlt sich also, in punkto Getreide, gerade bei Menschen mit weniger robustem Verdauungssystem, an gekochten Reis, gekochte Hirse oder ähnliche Zubereitungen zu denken. Ganz nebenbei handelt es sich da auch eher um „Pseudogetreide“, so dass man elegant die Gluten-Problematik umgeht.

Fazit: Vollwert – eine gute Sache, aber es kommt auch auf die individuelle Bekömmlichkeit an!

  • Dreimal täglich „richtig“ essen, also nicht nur Brot, Müsli, Snacks und Zwischenmahlzeiten.
  • Regelmäßig und mäßig, d.h. am besten zu regelmäßigen Zeiten und nicht zu viel.
  • Jeden Bissen 30-mal oder mehr kauen. Evtl. hilfreich dabei: Nicht ins Essen hinein trinken.
  • Nicht regelmäßig oder größere Mengen Kaffee oder Schwarztee.
  • Keine starken Gewürze (Pfeffer, Curry, Chili), zumindest nicht dauerhaft.
  • Nahrung möglichst selbst aus frischen Lebensmitteln zubereiten.
  • Für Menschen mit empfindlichen Verdauungssystem: Rohkost und Vollkorn reduzieren. Hülsenfrüchte bekömmlich zubereiten (z.B. einweichen, lange garen, evtl. Zusatz von Natron) und nur in kleinen Mengen verzehren.