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Teil 1: Was der Ethikrat mit Ethik zu tun hat und wie er sich dabei bis zur Corona-Impfpflicht durchgeschlagen hat
Der 15. März ist Stichtag für die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Und ab 17. März diskutiert der Bundestag konkrete Gesetzesvorlagen zur allgemeinen Impfpflicht. Selbstverständlich haben wir allen Anlass, die an den Entscheidungen zur Impfpflicht beteiligten Politiker zu kritisieren und sie aufzufordern, sich zu korrigieren: Die Corona-Impfung schützt weder mich noch andere. Ich kann vollständig geimpft mich selbst anstecken und kann andere anstecken. Das wichtigste Argument für eine Impfpflicht: der Schutz vulnerabler Patienten durch die Kontaktpersonen, entfällt somit ersatzlos. Übrigens damit auch jegliches medizinische Argument für 2g- oder 3G-Regeln. Aber auch das nachgeschobene zweite Argument: Entlastung des Gesundheitssystems durch weniger schwere Verläufe, ist weit weniger zugkräftig als lange behauptet – denn die Corona-Impfung schützt gerade die besonders vulnerablen Patienten keinesfalls sicher vor schweren Verläufen, wahrscheinlich nicht mehr, also eher wenig, wie eine Grippeimpfung.
Nur sollten wir bei aller Kritik an den Politikern nicht die außen vor lassen, die diesen riesigen Stein ins Rollen gebracht haben – im Auftrag der Ministerpräsidenten und der Bundesregierung – , eine Tür nicht aufgeschlossen, sondern aufgebrochen haben, die in Deutschland aus guten Gründen als fest verriegelt galt: die Damen und Herren des Deutschen Ethikrats! Immerhin hatte die alte Bundesregierung quasi gelobt, es werde keine Impfpflicht geben. Und die Mainstreammedien taten es als fast banal und selbstverständlich ab, wer anderes befürchtete, galt als Verschwörungstheoretiker.
Ohne ein Votum pro Impfpflicht des DER wäre diese Tür zweifellos zugeblieben. Daher liegt eine Hauptverantwortung beim Ethikrat. Es wäre viel zu wenig zu sagen, er habe die Politik nur unterstützt oder abgesegnet, er hat sie an wesentlicher Stelle eingeleitet. Wenn man genauer hinschaut, wie er die Arhgumentation zurecht gebogen hat, und as werden wir hier machen, dann zeigt sich: „Ethik“ auf Bestellung der Impfindustrie. Tiefer kann man als Gremium mit derartigen Ansprüchen im Titel nicht stürzen: Innerhalb von zwei Jahren Coronazeit hat das Gremium seinen Charakter vollständig gewandelt, und diesen Weg möchte ich hier in zwei Teilbeiträgen nachzeichnen.
Ethik ist ein anderes Wort für Moralphilosophie. Es geht um Fragen nach dem richtigen Handeln, nach gut oder schlecht oder sogar gut und böse. Ein riesiges Feld. Nun haben wir seit rund 21 Jahren diesen Deutschen Ethikrat, die ersten Jahre hieß er Nationaler Ethikrat, der sich interessanterweise fast ausschließlich mit ethischen Fragen der Medizin befasst. Seine Mitglieder werden zur Hälfte von der Bundesregierung, zur Hälfte vom Bundestag bestellt, sein Status gilt als „unabhängig“, was auch immer das sein soll. Böse Zungen argwöhnten von Beginn an, dass das Gremium dazu da sei, den unstillbaren Hunger des medizinisch-pharmazeutischen Komplexes nach neuen Geschäftsfeldern vor allem in der Biotechnologie in ein sozialverträgliches Licht zu tauchen, es also im Sinne des Gemeinwohls erscheinen zu lassen, wenn Deutschland nicht vom internationalen marktgetriebenen Biotech-Fortschritt abgehängt wird.
Dabei geht es nicht um unverbindliche ethische „Diskussionen“, sozusagen im Elfenbeinturm, sondern um das jeweils sehr konkrete Ausloten, nicht nur philosophisch, sondern auch juristisch, welche Grenze, die bisher bestand, eingerissen oder umgangen werden könnte. Insofern ist auch die aktuelle Aufgabenstellung nicht prinzipiell von anderer Art. Und insofern ist es Unfug, wenn der Ethikrat quasi unschuldig formuliert, es möge dies oder das „geprüft“ werden (z.B. die Einführung einer Impfpflicht), denn genau diese Prüfung hat er vollzogen. Allerdings, ganz so schlimm schien es über viele Jahre doch nicht, was der DER ablieferte, das Themenspektrum war breiter und die Empfehlungen oft differenzierter als von Kritikern befürchtet. Erst mit den Empfehlungen zur Corona-Impfpflicht hat der DER seine Unschuld verloren und ist einer Funktion angekommen, die mit Ethik nichts zu tun hat: Handlanger der Entmündigung. Schauen wir uns das genauer an!
— Covid-19: Als mit viel moralischem Getöse die ethische Welt aus den Fugen geriet – erste Impressionen einer Verschiebung der Kriterien
Ende März 2020, also zu Beginn des ersten Lockdowns, ging der Ethikrat davon aus, dass in Deutschland jetzt „große Anstrengungen unternommen“ würden, die Kapazitäten der Intensivmedizin auszubauen und aufzustocken. Bei den von ihm favorisierten Maßnahmen stand an erster Stelle die „Stabilisierung der Kapazitäten des Gesundheitswesens, insbesondere der Pflege“. Der massive Abbau dieser Kapazitäten in Intensivmedizin und Pflege während der Corona-Zeit war danach dem DER aber niemals Anlass zur Kritik. Darf der denn das überhaupt? Eine berechtigte Frage.
Im Rückblick interessant erscheint auch die Empfehlung vom März 2020, gerade in einer Krise wie dieser auf die „Vielfalt gesellschaftlicher und namentlich wissenschaftlicher Stimmen zu setzen“. Etwas mehr als anderthalb Jahre später fokussiert der Rat dagegen ganz auf die um jeden Preis zu unterstützende Impfkampagne, sie sei von „Desinformationskampagnen“ bedroht. Das ist eigentlich unterste Schublade: abweichende Positionen derart zu diffamieren. Dass der Rat selbst fleißig mitgeholfen hat, einiges an falschen Prognosen und Schreckensszenarien mitzuverbreiten, das wird kurzerhand der unberechenbaren Dynamik der Pandemie angelastet, mit anderen Worten: Man habe es halt nicht besser wissen können. Dafür weiß man es jetzt wieder umso genauer, z.B. dass seit der Deltavariante Impfquoten von über 85% oder 90% (bei den Senioren) nötig seien für die Herdenimmunität – und dass Omikron noch höhere Quoten erfordern werde. Man wird ja nicht später zur Verantwortung gezogen, wenn man für die Kampagne gearbeitet hat. Soviel zum ethischen Umgang mit Wissen und Nichtwissen.
Wie rasant Corona die ethischen Kriterien zumindest beim Ethikrat verändert hat, zeigt dieses Beispiel: Anfang Februar 2021 hat sich der DER in einer gesonderten Empfehlung mit Überlegungen beschäftigt, den Geimpften Privilegien im öffentlichen Leben einzuräumen, also Ausnahmen von den Lockdown-Regeln. Dazu stellte der Ethikrat unmissverständlich fest, dass eine Aufhebung von Corona-Beschränkungen nur für Geimpfte solange NICHT in Frage kommt, bis die Ansteckungsfähigkeit von Geimpften geklärt ist. Sollten sie sich als deutlich weniger ansteckend erweisen, könnten zwar private Anbieter sich Privilegien für Geimpfte erlauben, für den Staat müssten aber für solche Privilegien bessere Gründe vorliegen.
Nun wissen wir seit längerem genug, wie ansteckungsfähig Geimpfte sind. Statt endlich die maßlose und völlig ungerechtfertigte Diskriminierung Ungeimpfter als solche zu benennen, erlaubt sich das Gremium bei der Empfehlung zur allgemeinen Impfpflicht, von einem „Saldo“ zwischen der Freiheit der ungeimpft bleiben wollenden Minderheit und der Freiheit der Mehrheit bzw. Gesamtgesellschaft, die wegen Corona eingeschränkt werde, zu sprechen – dieser Saldo drohe negativ zu werden. So gering wird mittlerweile diese Minderheit geschätzt, nicht zahlenmäßig, sondern moralisch geringgeschätzt, dass der Ethikrat sie nicht nur beim Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben im Stich lässt, sie vielmehr zum öffentlichen Schämen auffordern darf, und ihr auch noch mit irgendwelchen pseudophilosophischen Freiheitssalden ins Gesicht schlägt. Dahinter steht das längst widerlegte Märchen, wenn wir alle geimpft wären, hätten wir unser altes freies Leben wieder. Die Aufhebung der Freiheitsbeschränkungen kann die Politik jederzeit beschließen, mit dem Stand der Impfkampagne haben sie in Deutschland und auch weltweit medizinisch-wissenschaftlich nichts zu tun.
Es folgt ein Exkurs zur Masernimpfpflicht, die der Ethikrat 2019 vorbereitet hatte. In der Empfehlung zur berufsbezogenen Corona-Impfpflicht beruft sich der Ethikrat im November 2021 auf die Stellungnahme zur Masernimpfung 2019. Dazu braucht es schon Wagemut, um mit einem Schnellschuss im Umfang von netto einer Seite (2021) an ein mühsam erarbeitetes Dokument von mehr als 100 Seiten (2019) anzuschließen. Meines Erachtens ist es daher sehr wichtig, sich die Stellungnahme zur Masernimpflicht nicht als Fundament, sondern als Kontrastfolie genauer anzuschauen. Falls Sie dieser Umweg nicht interessiert, wechseln Sie hier zum zweiten Teil des Beitrags.
— Mit der Masern-Impfpflicht scheinbar einiges gut vorbereitet
Masernimpfungen gibt es seit Jahrzehnten, sie haben eine Impfwirksamkeit von etwa 94%. In diesem Kontext macht auch die Rede von Herdenimmunität oder Gemeinschaftsschutz Sinn. Obwohl selbst bei Masern keinesfalls alles so klar ist, wie man es gerne hätte, denn auch in Ländern mit langjähriger Impfpflicht gibt es Masernausbrüche, traute sich der Ethikrat die folgende Aussage zu: „Wer es unterlässt, sich … einer Masernimpfung zu unterziehen, fügt mit hoher Wahrscheinlichkeit (gegebenenfalls anonymen) anderen einen Schaden zu.“ Starke Worte. Allerdings: Nichts, gar nichts davon lässt sich auf Corona und die Corona-Impfung übertragen. Denken wir etwa daran, dass eine zweifache Masernimpfung lebenslange Immunität gewährleistet – bei der dreifachen Corona-Impfung wissen wir dagegen nicht einmal, ob sie sich nicht schon bei der nächsten Corona-Variante, spätestens aber bei der übernächsten als wirkungslos erweist. Relevant für Corona und die Impfkampagne könnte allerdings eine Erkenntnis aus der Masern-Betrachtung sein:
Der Prozentsatz an vorbehaltlosen Impfbefürwortern ist unter Beschäftigten im Gesundheitswesen keinen Deut höher als in der Gesamtbevölkerung. Das fand der DER schon 2019 sehr beunruhigend und forderte „Aufklärung“ dieser Mitarbeiter, denn schließlich haben diese Vorbildfunktion. „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen sollten deshalb bei Impfungen mit positivem Beispiel vorangehen und hierfür wegen ihrer berufsbedingten besonderen Verantwortung in die Pflicht genommen werden. Letztlich stellt sich mit jeder Impfentscheidung nichts weniger als die Frage des Vertrauens in die wissenschaftliche Medizin.“ Das ist in der Tat brandaktuell. Vielleicht geht es bei der berufsbezogenen Impfpflicht gar nicht nur um die Schutzfunktion für Mitarbeiter auf Intensivstationen, sondern um erzwungene Vorbilder in der moralischen Mobilmachung. Es soll ja eine Reihe von Ärztinnen und Ätzen geben, die beim Impfen nicht alles mitmachen – allein über 500 von ihnen haben sich geoutet und einen Aufruf an die Politik veröffentlicht.
„Die sollten sich was schämen!“ Dem Ethikrat ist zu allen Zeiten klar gewesen, dass es sich bei einer Rechtspflicht zum Impfen um eine äußerst heikle, nach bisherigem liberalen Rechtsverständnis der Bundesrepublik nahezu aussichtslose Angelegenheit handelt. Daher wäre es in seinen Augen viel besser, so der Tenor 2019 betr. Masern, das Ziel würde über Mechanismen der sozialen Kontrolle erreicht, im philosophischen Jargon hat man das „Tugendpflicht“ genannt: Wer nicht mitmacht, soll sich rechtfertigen müssen oder schämen. Dieses moraltheologische Verständnis von „Aufklärung“ kam in Corona-Zeiten reichlich zur praktischen Anwendung: Die, die nicht mitmachen wollen, als Egoisten abstempeln.
Das wesentliche philosophische, politische und juristische Problem an der Impfpflicht ist die Ausschaltung der Selbstbestimmung des Individuums und damit die zumindest erhebliche Beschneidung der Menschenwürde. In der Stellungnahme zum Patientenwohl von 2016, das waren noch ruhige Zeiten, heißt es klipp und klar: „Keine medizinische Behandlung darf unter Verletzung der Selbstbestimmung erfolgen.“ Und auch anlässlich einer gruppenspezifischen Masernimpflicht 2019 stellt der Rat unmissverständlich klar, „dass ein liberaler Rechtsstaat eine einsichts- und urteilsfähige Person nicht allein zu ihrem individuellen Nutzen zu einer Behandlungs- oder Präventionsmaßnahme zwingen darf.“ Niemand kann zu seinem Gesundheitsglück, oder was der zuständige Minister dafürhält, gezwungen werden! Schon damals hatte man daher einen bekannten und schönen Gedanken zu Hilfe genommen:
Die Freiheit des einzelnen endet dort, wo sie die Freiheit anderer beeinträchtigt. Das klingt nach Rosa Luxemburg, ist aber eher á la Robert Koch-Institut gestrickt und seinen willkürlichen Definitionen von Solidarität und Gemeinschaftsschutz (Herdenimmunität). Dennoch wurde manchem im Gremium angst und bange bei der Frage der Rechtspflicht, und daher hat man sich trotz der lang und breit ausgewalzten Gewissheiten über die moralisch bestehende doch sehr vorsichtig zur rechtlichen Impfpflicht bei Masern geäußert: „Insoweit könnte erwogen werden … Eine derartige Impfpflicht erscheint nicht von vorneherein verfassungsrechtlich unzulässig.“ Im abweichenden Minderheitenvotum kam dann noch zum Ausdruck, dass eine Rechtspflicht nur dann eine Chance auf Verfassungskonformität haben könnte, wenn die Sterblichkeit bei der entsprechenden Erkrankung beträchtlich ist. Nicht umsonst wurde uns für Corona eine unrealistisch überhöhte Corona-Sterblichkeit zwei Jahre vorgerechnet wurde, ergibt so einen tieferen Sinn, diese Darstellung könnte der vermeintlichen Verfassungskonformität der Impfpflicht dienen.
In Teil II des Beitrags geht es um die berufs- oder einrichtungsbezogene und die allgemeine Corona-Impfpflicht – und wie der Ethikrat der Politik die Vorlage bastelte.