R wie Ressourcen

Ohne ein Gefühl für die eigenen Kräfte und Potenziale ist es ziemlich schwer, Therapie zu machen, und tatsächlich wird der Anfang der Therapie manchmal als schwer erlebt (obwohl ich gerne behaupte, Therapie sei keine Strafe, sondern ein Geschenk). Mut, Gelassenheit, Geduld, Ausdauer, Kreativität, klares Denken usw. können dazugehören, aber auch Humor, Genussfähigkeit, die Gabe, sich zu entspannen, die Liebe zur Natur, positive Glaubenssätze bzw. Zuversicht, Spiritualität oder die Kunst, den ganz normalen Alltag zu managen. Apropos Alltag: Vieles ist uns so selbstverständlich, dass wir den Wert erst bewusst entdecken müssen. Meist haben wir sogar jene Ressourcen, die wir uns inständig wünschen und von denen wir glauben, wir hätten sie nicht, allerdings zunächst in geringer Ausprägung. Mit Training lassen sie sich ausbauen. Ja, es sind uns beileibe nicht alle Ressourcen voll ausgeprägt in die Wiege gelegt worden, sie müssen geübt werden, am besten in Zeiten, da es uns einigermaßen gut geht.

Zu den wichtigsten Ressourcen gehören auch solche, die irgendwie außerhalb von uns zu liegen scheinen: Partner, Freunde, Familie, Gemeinschaften – also Halt und Unterstützung, die wir erfahren oder abrufen können. Hilfe und Helfer für alle möglichen und unmöglichen Situationen: von „Wer hört mir zu?“ über „Wer hat für mich eine gute Lebensweisheit?“ bis zu „Wer kann mir Geld leihen?“ Wie steht es um Kontakte zu Verwandten und Freunden? Lebt man allein oder mit jemand zusammen? Mit wem können Sie offen reden? Haben Sie Halt in einer (z.B. religiösen, weltanschaulichen, lebenspraktischen) Gemeinschaft?

Es existiert eine Fülle und Bandbreite an ressourcenstärkenden therapeutischen Übungen, auch viele Elemente des Achtsamkeitstrainings gehören dazu. Was ist heute schon Gutes passiert? Was könnte ich mir heute noch Gutes tun? Wann habe ich eine ähnliche Aufgabe gut gelöst? Inwiefern könnte ich mir Ressourcen gerade jetzt zunutze machen? Je mehr es gelingt, Ressourcen zu entdecken und zu aktivieren, desto eher stellen wir uns Herausforderungen – und während wir diese Aufgaben lösen, entdecken wir noch mehr Gaben und Potenziale.

Eigentlich scheint es banal, dass Therapie nur erfolgreich sein kann, sofern Klient*innen selbst über die „not-wendigen“ Ressourcen verfügen, um ihre Probleme zu lösen. Dennoch ist es ab den 1960er Jahren als Provokation der traditionellen Therapie empfunden worden, einen konsequent „lösungsorientierten“ Ansatz zu fordern – und, wie gemein, die alte Psychotherapie „problemorientiert“ zu nennen. Doch nicht nur Therapeuten alter Schule lieben die tradierte Sicht, fast noch stärker hat sie sich in Bewusstsein und Unterbewusstsein von Patienten eingenistet: „Ich mag nicht diesen ganzen Ressourcenquatsch, nicht schon wieder all das, was ich kann und was mir gut tut, das ist doch Verhaltenstherapie. Das bringt mir nichts. Ich will endlich an meinem Trauma arbeiten!“

So etwas klingt zwar je nach Kasus nachvollziehbar, manchmal beruht das Kreisen um vergangene Ursachen für die aktuellen Lebensprobleme aber auch auf „Widerstand“: auf der Angst, sich den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Insofern scheint die Problemorientierung in der traditionellen Psychotherapie manchem Klienten entgegenzukommen. Letztlich geht es immer um die Frage, wie wir besser dasjenige Leben führen können, welches wir führen wollen. Dafür genügt der Blick zurück nicht, es müssen immer wieder Schritte nach vorne gewagt werden, und dafür braucht es Ressourcen und das nötige Bewusstsein.

Wenn der Klient durch die Ressourcenbrille nichts sieht oder sie gar nicht erst aufsetzen will, dann muss der Therapeut genauer hinschauen! Interessanterweise zeigt sich dieser Widerstand an entgegengesetzten Punkten der Therapie: Am Beginn der Therapie gibt es eine Abwehr gegen die Ressourcenperspektive, weil der Patient zunächst in seinem Leiden gesehen, verstanden und (mit)gefühlt werden muss. Wer da als Therapeut oder auch als „braver“ Patient zu schnell „positiv“ oder lösungsorientiert vorankommen will, erzielt keine nachhaltigen Erfolge.

Am Ende einer erfolglosen Langzeittherapie hat die Abwehr ganz andere Gründe, dies kann man z.B. bei Patienten beobachten, die schon etliche Klinikaufenthalte hinter sich haben, aber kaum noch davon profitieren. Sie haben wiederholt die Erfahrung gemacht, dass das, was sie sich in der Klinikzeit erarbeiten, zuhause keinen Bestand hat, oder dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis der therapeutisch angestrebten Lebensveränderung unterm Strich negativ ist (zumindest zieht das Unterbewusstsein diesen Schluss). Sie richten sich daher intuitiv in alten Glaubenssätzen wie „Ich kann nichts machen“, „Ich habe schon alles versucht“ usw. ein.

Das ist der Punkt, wo Therapeuten evtl. von „austherapiert“ sprechen, was oft den Opferstatus weiter zementiert. Dies ist tragisch, da die Patienten sich nicht „absichtlich hängen lassen“ (oder was eine ahnungslose Umwelt sonst so dazu sagt), aber es gibt auch kein einfaches Hilfsmittel, wenn die Ressourcenbrille partout nicht sitzen will. Ganz wertneutral: Eine Ablehnung der Ressourcenperspektive bedeutet meist eine schlechte Prognose. Dann müssen wir – Klient und Therapeut – auf jeden Fall kleinere Brötchen backen. Realismus ist auch eine Ressource, für Klienten und Therapeuten, sonst strampeln wir uns ab und radeln Richtung Burnout.