G wie Globuli

„Sind das nicht die Zuckerkügelchen, die gar nichts an Medizin enthalten?“ Globuli werden oft als Synonym und Inbegriff für Homöopathie verwendet, vor allem, wenn sich Kritiker darüber lustig machen wollen. Und ich habe es immer wieder erlebt, dass Patienten gewisse Präparate (nicht nur Globuli!) von vorneherein zurückgewiesen haben, nur weil „homöopathisch“ darauf stand: „Daran glaube ich nicht, da ist doch gar nichts drin.“ Schade, wenn man diesem Irrglauben anhängt. Dazu später mehr. Dabei soll hier gar nicht verschwiegen werden, dass viele homöopathischen Mittel tatsächlich nach üblichen naturwissenschaftlichen Vorstellungen nichts mehr vom Ausgangsstoff enthalten, aber eben bei weitem nicht alle.

Samuel Hahnemann war ursprünglich von der Giftmischerei der Medizin seiner Zeit so abgeschreckt, dass er nach dem Studium gar nicht als Arzt arbeiten wollte. Und Jahre später, nach der Entdeckung der Homöopathie, die am Anfang noch nichts mit Verdünnung zu tun hatte (!), trieb ihn die Angst um, seine Patienten erheblichen Gefahren auszusetzen: Was nützt die bestgewählte Arznei, wenn ich dabei den Patienten zu schädigen oder gar umzubringen drohe? Daher begann er mit verschiedenen Verdünnungen zu experimentieren und stellte bald fest, dass auch mit starken Verdünnungen Heilwirkung zu erzielen war, sogar bessere und nachhaltigere, bei wesentlich geringeren Risiken.

Zum Zwecke der Verdünnung wurde der Ausgangsstoff entweder mit Milchzucker verrieben oder mit Alkohol (und/oder Wasser) verdünnt und verschüttelt, so entstanden zunächst die bekannten C-Potenzen: Bei einer Verdünnung von einem Teil Ausgangsstoff mit 99 Teilen Milchzucker/Alkohol entsteht die C1 (1:100). Wenn davon wieder 1 Teil mit 99 Teilen Milchzucker oder Alkohol verdünnt wird, entsteht die C2 (1:10.000 in Bezug auf den ursprünglichen Ausgangsstoff) usw. Nach einigen Jahren war Hahnemann bei der C30 angekommen und hat an ihr für Jahrzehnte als Standardpotenz festgehalten. Übrigens hat er rund 20 Jahre von Verdünnung gesprochen, und die Angst, dass vielleicht doch noch zu große Giftwirkung von einzelnen giftigen Ausgangstoffen (z.B. bei Arsen) enthalten sein könnte, beschäftigte ihn immer wieder. Erst ab 1810 wehrte er sich, und dann zunehmend vehementer, gegen den Begriff „Verdünnung“ und sprach von Potenzierung und Dynamisierung.

Warum C30 und nicht C28, C29 oder C31? Niemand weiß es. Hahnemann jedenfalls war es sehr wichtig, dass seine Schüler alle einheitlich die gleiche Potenz verwenden, damit man auch über die Ergebnisse und Wirksamkeiten der Mittel einheitlich urteilen konnte. Die Nachfolger haben sich daran aber nicht gehalten: Da gab es zum einen jene, die in die Bereiche C200 und C1000 vorstießen. Zum andern gingen auch viele Homöopathen wieder zu niedrigen Potenzen zurück. Übrigens wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals in der Physik festgestellt, dass ab einer Verdünnung von C12 nichts Stoffliches mehr von der Ausgangssubstanz vorhanden sein kann.

In Deutschland (D wie Deutschland) sind die D-Potenzen besonders beliebt: Hier wird der Ausgangsstoff mit neun Teilen Trägerstoff verdünnt: D1 (1:10), D2 (1:100), D3 (1:1000) usw. D24 entspricht von der Verdünnung her der C12, ab da ist also klassisch-physikalisch gesehen, nichts mehr drin. Laien muss möchte ich jedoch zunächst einmal darauf hinweisen, dass 1:10.000 oder 1:100.000 nicht gleichbedeutend mit „nichts“ ist. Viele Stoffe im Organismus wirken in diesen Konzentrationen, und wer z.B. Thyroxin oder Vitamin D einnimmt, sollte da mal auf die Verpackung schauen und nachrechnen, wie „hoch“ konzentriert das ist – und wirkt! Um die Plausibilität für Verdünnungen zu stärken, lasse ich skeptische Patienten auch gerne an Tiefpotenzen (Tropfen) riechen und schmecken: viele Ausgangsstoffe lassen sich in D2, D3 und auch noch in D4 (z.B. Bitterstoffe) herausschmecken. Außerdem gebe ich zu bedenken, dass einige Einzelmittel erst ab Potenzen von D4 oder D5 erhältlich sind, weil die Giftwirkung des Ausgangstoffes ausgeschlossen werden soll.

Achtung: Jetzt folgt ein Exkurs über die Komplexität des Potenzierungsthemas in der „klassischen“ Homöopathie, also der Verordnung von hochverdünnten Einzelmitteln. Falls es Ihnen zu anstrengend wird, springen Sie ans Ende zum Homöopathischen Arzneibuch! Die Frage der besten oder richtigen Potenzen wurde nämlich im 20. Jahrhundert noch dadurch verkompliziert, dass irgendwann die sechste und letzte Auflage von Hahnemanns „Organon“ auftauchte: Offensichtlich war der Meister in den letzten Jahren seines langen Lebens (1755-1843) von seiner eigenen strengen Vorgabe C30 abgerückt und hatte eine völlig neue Potenzierungsmethode entwickelt, die die Verreibung und die Verschüttelung bei jeder Potenzstufe kombinierte. Das Ergebnis waren sog. LM-Potenzen: LM 1 (1:50.000), LM 2 (1: 2.500.000.000) usw. Synonym wird auch der Begriff Q-Potenzen gebraucht, allerdings entstehen sie nicht wirklich identisch zu LM-Potenzen – da Hahnemann sich doch nicht so eindeutig äußerte, wie LM-Potenzen herzustellen seien, ergaben sich de facto nochmals zwei Varianten.

Ja, was gilt denn nun? Das letzte oder das vorletzte Wort des Meisters – oder gar keines? Geht man vielleicht besser zurück zur Ursprungsidee, durch maßvolle Verdünnung sehr wohl noch pharmakologische Effekte, aber bei deutlich geringerem Risiko zu erzielen? Darauf muss jede/r, der/die irgendwie mit Homöopathie zu tun hat, seine eigene Antwort finden. Erstaunlich viele Anhänger der Homöopathie halten diese Fragen für gar nicht so wesentlich, das Wichtigste sei doch die „Information“ oder „Energie“, die in einem homöopathischen Mittel steckt. (Ich möchte diese Vorstellung hier nicht disqualifizieren, aber sie ließ sich bisher nicht wissenschaftlich untermauern, googeln Sie mal Grundlagenforschung und Homöopathie.) Ein Teil von ihnen hat auch wenig Bedenken, wenn diese „Information“ oder „Energie“ von einem Röhrchen mit Globuli mittels irgendwelcher Maschinen oder Rituale auf andere Globuli übertragen wird (diese Idee der „Ansteckung“ kam schon zu Hanemanns Zeiten auf). Für wieder andere reicht es, wenn man an das richtige Mittel denkt …, ohne Witz. Naja, mit Witz hieße es: Das vereinfacht doch die Herstellung erheblich 🙂

Wenn man über den deutschen Tellerrand hinausblickt, gibt es noch eine Reihe von Herstellungsverfahren, ganz prominent die Korsakow-Methode (Einglasmethode), die scheinbar nur vereinfacht, de facto gänzlich andere Verdünnungsverhältnisse erzeugt. Das macht die internationale Zusammenschau (Review) von Studien ein bisschen zum Vergleich von Äpfeln und Birnen, wenn man streng naturwissenschaftlich denkt. Aber die Verordnung bzw. Mittelwahl ist ohnehin so individuell, nicht in Bezug auf die Patientensymptome, sondern in der Art der Arbeitsweise der Homöopathen, dass wissenschaftliche Vergleichbarkeit kaum gegeben ist. Aber das ist ein anderes komplexes Thema. Bitte beachten Sie: „kaum“, d.h. nicht „gar nicht“. Merken können wir uns jedenfalls: Es gibt sie nicht, „die“ eine Homöopathie. (Puuh, geschafft, Ende des Exkurses!)

Oder gibt es sie doch? Rechtlich schon, zumindest hierzulande in Bezug auf das, was sich homöopathisches Präparat nennen darf: Das Homöopathische Arzneibuch (HAB) regelt für jene Arzneimittel, die offiziell oder offizinell (d.h. via Apotheken) in den Handel kommen, die Herstellung von Potenzen bzw. Verdünnungen – und ihren aufbereiteten Ausgangsstoffen, den Urtinkturen (bei pflanzlichen Ausgangsstoffen). Es gibt neben Globuli und Tropfen homöopathische Salben, Tabletten, Ampullen, Augen- und Nasentropfen, sogar Zäpfchen. Oft handelt es sich um Tiefpotenzen oder bei zahlreichen Komplexmitteln um Kombinationen aus Urtinkturen und Tiefpotenzen. Und in den tiefen Potenzen ist meist noch einiges „drin“. Wie gesagt: Schrauben Sie mal homöopathische Tropfen mit Tiefpotenzen auf, riechen und schmecken daran. Ich bin ein Fan von Tropfen, und das nicht wegen des Alkohols 🙂

Erinnern Sie sich noch an den bedauerlichen Irrglauben, nur weil Homöopathie darauf steht, sei nichts mehr darin? Bei Verletzungen empfehle ich seit Jahren mit Erfolg eine homöopathische Salbe, die sechs (!) Urtinkturen und sieben Tiefpotenzen enthält. Und wenn mir die Prüfungsangst bei gewissen Projekten ans Herz geht und dort meine nervöse Unruhe artikuliert, nehme ich manchmal selbst homöopathische Tropfen, die drei (!) Urtinkturen und zwei Tiefpotenzen enthalten (dabei handelt es sich um Cactus und Oleander, zwei Mittel, die auch klassische Homöopathen meist in Tiefpotenz verwenden). Wer diese und viele weitere Schätze aus seinem potenziellen Arznei-Repertoire ausschließt, nur weil es homöopathische Präparate sind, der ist m.E. zu bedauern.

In der Homöopathie haben Teile der Phytotherapie (Kräutermedizin) überlebt – oft als Urtinkturen und Tiefpotenzen, und das ist umso wichtiger, weil die „Vernaturwissenschaftlichung“ der Phytotherapie dort dazu geführt hat, dass viele nützliche Heilpflanzen aussortiert wurden. In der Homöopathie wird außerdem mit verdünnten Edel- und Schwermetallen behandelt, die wie viele andere, oft giftige Ausgangstoffe nur durch Verdünnung überhaupt nutzbar werden. Hahnemann und seine Nachfolger hatten z.B. mehrfach beeindruckende Erfolge mit Quecksilber (Mercurius) erzielt, bei Diphterie-Epidemien. Auch heute noch ist Mercurius, sorgfältig verdünnt, in etlichen Homöopathika gegen Halsentzündungen (vielleicht schauen Sie mal auf das Präparat, welches Sie verwenden), nur dass Hersteller mittlerweile häufig ein Synonym (Hydragyrum) verwenden – damit der Patient alias Verbraucher nicht vor dem Quecksilber erschrickt? „Die Dosis macht das Gift“, stammt zwar von Paracelsus, aber Hahnemann war diesbezüglich bekanntlich noch viel vorsichtiger!

Und wie ist das jetzt mit den Zuckerkügelchen. Die Globuli werden gewissermaßen zu recht „verdächtigt“, am wenigsten zu enthalten: In Tropfen (z.B.) mit D4 ist D4 enthalten, genauso in Tabletten und Salben – bei der Herstellung von Globuli (z.B.) in D4 dagegen werden die Zuckerkügelchen mit Tropfen in der Potenz D4 besprüht, tatsächlich ergibt das einen „Gehalt“ an Ausgangsstoff, der (die übliche Kügelchengröße vorausgesetzt) nochmals um ca. 1:100 verdünnt ist, also eher einer D6. Aus diesem Grund können einige Mittel, die bis zur D4 wegen der Giftigkeit des Ausgangsstoffes verboten oder rezeptpflichtig sind, als Globuli in D4 abgegeben werden. Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie es bis hierher geschafft haben und noch nicht völlig verwirrt sind!

Summa summarum, mir gefällt das Wort „feinstofflich“, denn häufig ist noch mehr oder weniger etwas Stoffliches vorhanden – Tiefpotenzen werden, auch durch die Popularität der Komplexmittel, de facto viel häufiger angewendet. Es geht nach meinem Verständnis also nicht primär um „spirituelle Energien“, ich verstehe aber, wenn andere Homöopathen das anders sehen. Es gibt ja nicht die eine Wahrheit über Homöopathie, wer Ihnen das zu erzählen versucht, hat nichts begriffen oder will nicht, dass Sie es begreifen.

(Siehe ergänzend auch meine Blog-Beiträge zu Homöopathie und zu Hahnemann.)