P wie Paarberatung

Ich sag’s nicht, um an Ihnen zu verdienen, sondern weil ich es immer wieder so erlebe: Die meisten Paare kommen sehr spät, um nicht zu sagen: (fast) zu spät zur Beratung. Sicher, egal zu welchem Zeitpunkt Sie kommen – den Job, die Beziehung zu stabilisieren, zu verbessern oder zu retten, haben mit oder ohne externe Hilfe sowieso Sie beide. Aber, mit mancher Art von Selbsthilfe könnte alles noch unnötig schlimmer werden; was allerdings auch für manche Paarberatung gilt 😉. Hm.

Ein Klassiker unter den schädlichen Selbsthilfeversuchen besteht m.E. darin, dass die Frau (meistens ist es so herum, immer noch) dem Mann mehr oder weniger dezent Bücher oder Artikel zum Lesen hinlegt, in der Annahme, der Partner würde daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Viele Männer können aber (auch hier: immer noch) ihre Ängste nicht wahrnehmen, daher löst die innere Abwehr Ärger und Wut aus – weil sie irgendwie nicht einmal unberechtigt spüren, dass sie anscheinend das Problem sind und sich ändern sollen.

Eine solche ungute Dynamik kann noch verstärkt werden, wenn die Frau auf zwei oder drei Wochenendseminare zur Gewaltfreien Kommunikation geht (glauben Sie mir, es ist fast immer die Frau). Ich kann nur davor warnen! Nicht vor der GFK, ganz und gar nicht, aber vor der Illusion, damit die Beziehung zu verbessern. Sie können nicht gleichzeitig Konfliktpartner und in der übergeordneten Rolle der Vermittlerin agieren, zumal Sie oft noch Gefühle und Pseudogefühle verwechseln (Das hat mich verletzt; Ich bin enttäuscht etc.), ebenso Bedürfnisse mit Strategien (Du hast nie einen Tanzkurs mit mir gemacht, obwohl ich so gerne tanze; Du hast mir XY versprochen).

Marshall Rosenberg, der Erfinder der GFK, hat viele Paarseminare gegeben, und so funktioniert es auch: mit neutralem Begleiter, der Ihnen hilft, Gefühle und Bedürfnisse zu spüren und angemessen auszudrücken. Wenn Sie dagegen Ihrem Partner mit der einstudierten „GFK-Tour“ kommen: „Fühlst Du gerade…?“ (Noch schlimmer: „Ich fühle gerade … bei Dir.“) „Brauchst Du …?“ „Wünschst Du Dir …?“ werden Sie massiv dessen Widerstände, seine nicht-spürbaren Ängste und auch seinen irgendwie berechtigten Ärger fördern. Und Sie selbst werden noch viel ärgerlicher, weil frustrierter, da Sie sich so abmühen! Das ist schade.

Wenn ich Paarberatung beginne, verpflichte ich die Partner zunächst auf Punkt 1 meiner „Geschäftsgrundlage“: die 50-50-Regel. Das bedeutet praktisch, das beide in der Zeit bei mir etwa genau so viel Redezeit haben. Vor allem aber bedeutet es „theoretisch“, dass wir uns auf eine Arbeitshypothese einigen: Jede(r) hat 50 Prozent Anteil sowohl an den Dingen, die gut laufen, als auch an den Dingen, die nicht funktionieren in der Beziehung.

Die Regel hatte ich nicht aus der Literatur oder von einer Fortbildung, sondern sie entstand aus der Praxis: Bei allen Paaren, die zur Beratung kamen, kannte ich eine(n) der beiden schon als Patient oder Klient. Dem jeweils anderen wollte ich garantieren, dass ich nicht Partei ergreife. Natürlich glauben oft einer oder gar beide Partner im Stillen, dass es sich in Wahrheit anders verhielte als Fifty-Fifty (d.h. meist, aber nicht immer: dass doch der andere mehr schuld ist als man selbst), aber sie stellen schnell fest, wie unglaublich entlastend für den Kommunikations- und Beratungsprozess es ist, wenn NIEMAND schuld sein KANN. Niemand kommt als Täter oder Opfer und niemand wird als Gewinner oder Verlierer vom Platz gehen. So entsteht umgehend (wieder) Augenhöhe.

Das ist, wie ich erst später entdeckte, eine Basis-Annahme von Psychotherapie wie von Paar- oder Angehörigenberatung: Es geht nicht um Schuld! Es gibt in diesem Rahmen von Behandlung oder Beratung keine besseren und schlechteren Menschen. Die Vermischung der Hilfe mit (pseudo)moralischen Annahmen ist dagegen der Tod von Therapie und Beratung.

Es gibt sicherlich Situationen, wo Schuld eine Rolle spielt. Die Frage ist dann, ob diese gut in einer solchen Beratung aufgehoben sind. Viel häufiger handelt es sich allerdings eher um eine ungünstige Perspektive auf eine Paardynamik, wo sich eine(r) von beiden zum Opfer und den andern zum Täter macht. Von da aus ist es ziemlich schwer, wieder auf Augenhöhe zu kommen – selbst wenn der andere reumütig seine „Täterschaft“ anerkennt. Glauben Sie bloß nicht, dass eine Entschuldigung des Partners und das Versprechen, es werde nicht wieder dazu kommen, eine Garantie für irgendetwas sind!

Ähnlich verhält es sich mit „Verletzungen“. Ich setze sie schon deshalb in Anführungszeichen, weil es sich meist nicht um entsprechende Fakten, auch nicht um echte Gefühle handelt, sondern um Pseudogefühle (ein Begriff aus der GFK). Wer noch nicht gelernt hat, von seinen wahren Gefühlen und Bedürfnissen zu sprechen, der spricht von Verletzungen, manchmal in drastischen Formulierungen wie: „Du hast mir das Messer in den Rücken gerammt.“ (Hier geht es etwa darum, dass der Partner im Streit mit der Schwiegermutter zu dieser gehalten hat. Oder dem Sohn etwas erlaubte, was die Mutter zuvor verbot.)

„Verletzungen“ in der Vergangenheit werden unglaublich oft überbewertet, selbst wenn es so dramatische Dinge wie Fremdgehen betrifft. Paare kommen ganz oft damit zur Beratung: Der Mann (meist der Mann) ist es leid, kann es nicht mehr hören, dass ihm die alte Geschichte immer wieder vorgehalten wird, daher ist er bereit, zur Paarberatung mitzugehen, damit das endlich aufgelöst wird. Häufig zeigt sich, dass diese „Verletzung“, wie schlimm auch immer sie damals empfunden wurde, längst zur Projektionsfläche, zum Symbol für gegenwärtige Ängste wurde (manchmal auch zum „Pfand“ für irgendwas). Daher muss die Frage immer zunächst darauf zielen, wie es jetzt gerade in der Beziehung ist, welche Herausforderungen jetzt anstehen, welche Befürchtungen und Hoffnungen die beiden jetzt bewegen – und dann kann man schauen, was von damals heute noch realen oder fantasierten Bezug zur Gegenwart hat.

Die wichtigste Frage ist m.E. ohnehin immer: „Was darf, soll oder muss ab sofort anders werden in unserer Beziehung?“ Und nicht: Was ist anno tobac schief gelaufen? Sicher wird man im Laufe eines Beratungsprozesses auch immer wieder auf die Vergangenheit schauen. Und was besch… war, darf besch… genannt werden. Aber wie relevant ist es heute? Meine Erfahrung ist, dass die Verletzungen und Schuld(en) der Vergangenheit von einem Partner häufig (unbewusst) manipulativ eingesetzt werden.

Erstaunlich häufig dient die Schuld der Vergangenheit auch (unbewusst) als Schutzmechanismus, um eigene Trennungsphantasien zu legitimieren. Ich erlebe immer wieder Paare, die scheinbar beide guten Willens sind, aber mindestens eine(r) von beiden innerlich wie getrennt wirkt, also wohl mehr unbewusst von Trennung träumt, es sich „nur“ nicht bewusst vorstellen kann, vielleicht weil dagegen die kleinen Kinder, das gemeinsame Haus, finanzielle Abhängigkeiten oder die gesellschaftlichen Ansprüche, die eigenen Werte oder der Druck aus den Herkunftsfamilien stehen.

Hier kommt der zweite Punkt meiner Geschäftsgrundlage für Paarberatung ins Spiel: Ich lasse mir von beiden zu Beginn des Prozesses versichern, dass es selbst unter Partnern Geheimnisse geben darf. Natürlich, es sollte keine geheime Nebenbeziehung geben, das nicht, aber Phantasien in diese Richtung können erstmal geheim bleiben. Warum? Wenn ein Klient schon weiß, dass der Partner alles, wirklich alles erfahren muss, was ihn (oder sie) innerlich beschäftigt, wird er vieles in die Verdrängung verbannen – dann kann ich keine Therapie machen und oft auch nur sehr schwer Beratung.

(Das ist ein wichtiger Grund, warum während einer klinischen Psychotherapie der Patient nicht täglich und ausführlich mit seiner Partnerin telefonieren sollte: da dies die vorauseilende Verdrängung fördert, d.h. viele Dinge kommen in der Therapie gar nicht erst zur Sprache. Es ist aber, so sehr es die Partner verunsichert, elementar für die Therapie, dass der Klient dem Therapeuten auch Dinge anvertrauen darf, sofern er dies wünscht, die im Moment nicht einmal seine Partnerin weiß. Das macht Therapie noch lange nicht zur Beichte, die für alles und jedes eine Absolution erteilt!)

Ehrlich zu sich selbst zu werden, das ist in der Therapie, aber auch im Beratungsprozess für ein Paar fundamental wichtig. Daher lasse ich die beiden Partner relativ in einer Art Selbstbesinnung viel aufschreiben, nur für sich, der Zettel ist ihr Geheimnis, lediglich punktuell wird darüber gesprochen. Natürlich können die Partner hinterher bei gegenseitigem Einverständnis die Geheimnisse lüften, aber sie müssen das nicht. Geheimnisse bestehen sowieso (im Unbewussten) – indem wir sie unter die Erlaubnis nehmen, befreien wir die Beziehung von unnötigem Druck.

(Ich weiß, dass es ganz andere Auffassungen von Partnerschaft und Paarberatung gibt. Da wird das Bild einer idealen Beziehung bei schonungsloser und 100%iger Offenheit propagiert. Doch diese ideale Beziehung ist mir noch bei keinem Klienten im Einzel- oder Paarsetting begegnet, obwohl darunter etliche mit gut funktionierender bis ausgezeichneter Beziehung waren.)

Der dritte Punkt meiner „Geschäftsgrundlage“ ist die Einsicht, dass die Paarberatung nur ein Tor oder eine Brücke auf dem Weg ist, aber nicht der Weg selbst. Entscheidend ist nicht meine „rettende“ Tat als Berater, erscheine sie noch so spektakulär, sondern das, was die Partner im Alltag anders machen, und sei es noch so unscheinbar. Daher stelle ich immer systemisch-lösungsorientierte Fragen wie: „Angenommen, wir würden heute und die nächsten Male super Arbeit leisten, woran genau würden Sie es im Alltag merken?“ Manchmal lege ich nach: „…Und was davon könnten Sie bereits jetzt in den Alltag bringen, auch wenn wir hier und heute gar nicht so viel erreichen, wie Sie sich erhofft haben?“

Ich gebe auch fast immer „Hausaufgaben“ mit auf den Weg. Das kann ein konkreter Wochenplan sein, wo die Partnerzeiten, aber auch die „heiligen“ Zeiten des jeweils einzelnen verankert sind. Das kann eine Art „Vertrag“ sein: wozu sich beide verpflichten. Manchmal reicht eine kombinierte Beobachtungs- und Kommunikationsaufgabe: Jede(r) beobachtet für eine Woche, wann er sich am andern erfreut, vielleicht auch was er selbst in dem Moment dazu beiträgt – verbunden mit dem Auftrag, sich an einem Tag der Woche dazu auszutauschen.

Mir gefällt in der Therapie wie in der Beratung die einfach merkbare systemische Dreierformel:

  • Von was wünsche ich mir mehr?
  • Von was wünsche ich mir weniger?
  • Was fehlt mir noch in unserer Beziehung?

Am Schluss möchte ich nochmals die 50-50-Regel ins Gedächtnis rufen. Sie ist für mich mehr als eine Arbeitshypothese oder mehr als eine „regulative Idee“. Erstaunlich häufig zeigt sich mit dieser „Brille“, was als Realität in der Beziehung lange verborgen blieb. So scheint es z.B., wenn einer der beiden Partner unter einer psychischen Störung leidet (Depression, Borderline, Abhängigkeit von Beziehung oder Substanzen, Bipolarität u.a.m.), naheliegend anzunehmen, dass nur dieser richtig therapiert, geheilt oder gebessert werden müsste, damit auch die Partnerschaft (wieder) funktioniere. Eine gefährliche Illusion! Gehen Sie lieber von Fifty-Fifty aus …

PS. Ich rede hier von Mann und Frau, da ich noch keine schwulen und lesbischen Paare beraten habe, vermutlich weil es dafür spezialisierte Berater und Anlaufstellen gibt.