G wie Giraffensprache

Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) wird manchmal liebevoll als Giraffensprache bezeichnet. Denn neben dem Schema – Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte – kommt es wohl auch auf die richtige Haltung an. Das hat die Giraffe drauf! Die GFK hat viele Fans (weltweit), aber es gibt sicher genauso viele Menschen, die von ihr enttäuscht sind. Darauf möchte ich heute einen Blick werfen.

„Das klappt bei mir nicht!“ Am häufigsten ist wohl mit Misserfolg gemeint, dass die abschließende Bitte abgelehnt wurde. Es kommt jedoch manchmal noch schlimmer: Da geht der GFK-Versuch komplett nach hinten los und führt zu höherer Konfliktspannung: „Jetzt hält mich mein Chef außerdem für total bescheuert.“

In vielen Fällen von Misserfolg können wir von Fehlern im Umgang mit Methode oder einer ungeeigneten Grundhaltung ausgehen, in der Regel fehlt es einfach an Übung, war der Kontakt zu den GFK-Grundlagen zu flüchtig. Es geht vor allem um Übung darin, wirklich über die eigenen (!) Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Daher rate ich immer, die GFK nicht gleich mit dem schwierigsten Gesprächspartner (z.B. dem eigenen Lebenspartner!) auszuprobieren.

Häufig besteht auch ein Missverständnis gegenüber zeitlichen Prozessen. Die GFK ist kein „Sesam-öffne-Dich“ für völlig eingefahrene Konflikte. Jeder einzelne Dialog benötigt wesentlich mehr Zeit, als allgemein angenommen wird, um überhaupt eine konstruktive Wende hinzubekommen, erst recht gilt dies für die übergeordnete Konfliktlösung. Da lohnt es sich, die Bücher von Marshall Rosenberg mit vielen Fallbeispielen zu lesen: Oh Gott, geht das manchmal zäh voran! Rosenberg hat zwar öfter, wohl mehr als Animationstrick, ein Paarseminar mit den Worten eröffnet: „Egal wie lange Ihre Probleme miteinander bestehen, wir lösen sie innerhalb von 20 Minuten …“ Allerdings ging der Satz noch weiter: „… sobald Sie in der Lage sind, wirklich von Ihren Gefühlen und Bedürfnissen zu sprechen und die Gefühle und Bedürfnisse Ihres Partners zu hören.“ Und dieses „sobald“ wird eben häufig übersehen.

Bedenken Sie, dass generell in einem Konflikt die wahrscheinlichste erste Reaktion auf Ihre Bitte so etwas wie Abwehr beim andern ist – eine andere mögliche Erstreaktion ist, „der Klügere gibt nach“, aus falsch verstandener Kompromissbereitschaft oder taktischen Gründen. Das wollen wir nicht, schon gar nicht in der GFK. Diese dient, überspitzt gesagt, gar nicht dazu, dass Sie häufiger bekommen, was Sie sich wünschen! Sie trägt allerdings dazu bei, dass, wenn Sie einen Wunsch oder eine Bitte erfüllt bekommen, dies auch freiwillig geschieht – und dass sich unabhängig davon, ob sich Ihr Konfliktpartner auf den Wunsch einlässt oder nicht, Ihre Beziehung zueinander tendenziell so verbessert, dass mittelfristig Konfliktlösungen wahrscheinlicher sind.

Die Wahrscheinlichkeiten für die Erstreaktion jedenfalls ändern sich in den meisten Beziehungen nicht automatisch, sobald Sie „GFK sprechen“ und „GFK hören“, also mit Giraffenohren übersetzen. Es geht nur mit Geduld. Und mit der Erkenntnis, dass wir eigentlich immer profitieren, auch wenn der andere nicht mitgeht, weil es gut tut, sich über seine Gefühle und Bedürfnisse Klarheit zu verschaffen und sie klar zu kommunizieren.

Sicher gibt es Konfliktsituationen, wo es nicht angebracht ist, offen von Gefühlen und Bedürfnissen zu reden (mit manchen Chefs z.B.) – aber es wäre immer hilfreich, sich über Gefühle und Bedürfnisse klar zu werden. Und das ist wirklich nicht einfach: seine wahren Gefühle und Bedürfnisse kennen zu lernen. Noch schwieriger wird es oft, dafür einzustehen. Viele Klienten benötigen dafür langfristiges Coaching oder auch Therapie. Da diesen beiden Kernschritten der GFK – Gefühlen (Schritt 2) und Bedürfnisse (Schritt 3) – in Texten und Coachings zurecht so viel Gewicht beigelegt wird, möchte ich hier noch einige Hinweise zu den anderen beiden Schritten geben: der Beobachtung (Schritt 1) und dem Wunsch bzw. der Bitte (Schritt 4).

Eine Beobachtung im Sinne der GFK hilft mir, meine Situation und meine Gefühle besser zu verstehen, indem ich etwas Abstand nehme. Etwas übertrieben könnte man sagen: Was sind eigentlich die „Fakten“? Das ist aber ziemlich heikel, da der vermeintliche Zugriff auf die Fakten schnell so verstanden werden kann, dass die Objektivität auf der Seite eines Konfliktpartners sei. Angenommen wir sitzen im Auto und ich bin Beifahrer, mir geht es deutlich zu schnell. Weiter angenommen, ich hätte zufällig das Glück, auf den Tachometer „130“ km/h zu sehen – und gleichzeitig würden wir an einem Straßenschild vorbeifahren, dass ein Höchsttempo von „80“ vorgibt.

Nun erscheint es vielleicht naheliegend, dass mir die neutrale Beobachtung einen Vorteil verschafft: „Hallo, Du fährst 130, hier darf man aber nur maximal 80 fahren.“ Das klingt wie GFK, ist es aber nicht ganz und wird sehr wahrscheinlich nicht gelingen. Warum nicht? Weil der andere in eine kommunikative Situation gebracht wird, in der er nur noch sein Unrecht zugeben kann. Vielleicht beinhaltet seine eigene neutrale Beobachtung, dass die Straße völlig frei und breit angelegt ist, dass eine Reihe von Straßenschildern relativ sinnfrei sind und überhaupt nichts gegen ein bisschen flottes Fahren spricht …

Die neutrale Beobachtung ist wertlos, solange ich nicht von meinen Gefühlen und Bedürfnissen spreche, also z.B.: „Bei 130 auf der Landstraße fühle ich mich unwohl und unsicher.“ So kommen wir also doch immer wieder zu den Kernschritten Gefühle und Bedürfnisse. Manch ein*e Einsteiger*in versucht das zu umgehen mit dem Hinweis: „Aber man hält sich doch an die Verkehrsregeln.“ Oder ähnliche Berufung auf allgemeingültige Normen. Wenn Menschen in Konflikten von Regeln, Normen und vom „man“ reden, bedeutet dies häufig, dass sie noch nicht genug gelernt haben, für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse einzustehen. Dann könnte es eventuell einige Zeit dauern, bis die berüchtigten letzten 20 Minuten von Rosenberg beginnen. (Übrigens bedeutet dies nicht, dass man Regeln und Normen schlecht finden muss, ganz und gar nicht, aber die Berufung darauf ist in einem persönlichen Konflikt nicht hilfreich.)

Kommen wir zum vierten Schritt: Wünsche und Bitten müssen nicht erfüllt werden. Punkt. Doch damit sie überhaupt eine Chance auf Erfüllung haben, müssen sie konkret sein! „Ich wünsche mir mehr Verständnis von Dir.“ Das ist kein Wunsch im Sinne der GFK, sondern so pauschal, dass der/die andere höchstwahrscheinlich überfordert reagiert. Ein konkreter Wunsch könnte sein: „Wäre es möglich, dass Du mir ein paar Sätze Feedback gibst, was Du von meinen Ausführungen verstanden hast?“

Gleiches gilt für Sätze wie: „Ich wünsche mir, dass Du meine Privatsphäre respektierst!“ Das ist dermaßen fundamental, dass unser Gegenüber sich leicht angegriffen fühlen kann. (Er liest schnell zwischen den Zeilen den Vorwurf heraus, er sei übergriffig.) Ein konkreter Wunsch dagegen könnte lauten: „Kannst Du anklopfen, bevor Du eintrittst?“ Zu oft gehen wir davon aus, dass der andere doch eigentlich wissen könnte, wie es gemeint ist, auch wenn wir es pauschal sagen – und ärgern uns über schlechte „Ergebnisse“. Tatsächlich kann es durchaus mal sein, dass es klappt mit einer pauschalen Bitte. Dann liegt es aber daran, dass nicht ich, sondern der (die) andere GFK praktiziert und mit Giraffenohren übersetzt: „Ach so, Du möchtest …“ Wie schön, wenn wir solche Konfliktpartner haben!

Hinweis: Am Mittwoch kommender Woche (9. Juni 2021, 19 Uhr) gebe ich eine online-Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation, Veranstalter ist der Naturheilverein Taunus. Ich freue mich, wenn auch Sie dabei sein möchten. Außerdem habe ich schon den ein oder anderen Text zur GFK verfasst, aufzufinden z.B. im Blog, oder im Downloadbereich der Rubrik Gesundheitsratgeber.