H wie Humor

Manchmal lachen wir, weil wir nicht weinen können oder wollen. Wer schon Gruppentherapie gemacht hat, weiß, wie nervig es sein kann, wenn Patienten – häufig mit wenig Therapieerfahrung und entsprechend großer Abwehr gegen emotionale Tiefe – versuchen, die ganze Anspannung durch einen (oft noch „blöden“) Witz wie heiße Luft entweichen zu lassen. Auf der anderen Seite kann das gemeinsame Lachen in der Gruppentherapie etwas sehr Befreiendes und Verbindendes haben. Insofern könnte man sagen: Keine Angst vor Humor! Therapie muss nicht immer schwer(mütig) sein, um effektiv zu wirken.

Wir lachen nicht über andere Menschen, sondern mit ihnen, das wäre ja auch außerhalb der Therapie der Maßstab für gute Witze. Mit Menschen Witze machen bedeutet im günstigsten Fall, dass wir uns auf Augenhöhe erleben. Selbst schwer depressive und traumatisierte Patienten lassen sich mit Humor mitunter in eine aktive und motivierte Haltung bewegen – manchmal mit ein wenig ungläubigem Staunen, dass ich es wage, sie auf diese Weise herauszufordern; aber es bedeutet eben (auch), dass ich sie nicht als Opfer sehe.

Gleichzeitig unterstreicht die Lockerheit, mit der ich schwierige Themen angehen kann, die Souveränität meiner Leitung. Voraussetzung ist, dass ich mich auch als Therapeut durch Witze (scheinbar) in Frage stellen lasse bzw. problemlos selbst auf den Arm nehme. Patienten lieben es Witze über den Therapeuten zu machen, da er ja doch eine besondere Position hat und trotz allem Bemühen, nur „Moderator“ zu sein, auch über Macht verfügt. Es wäre fatal, wenn ich mich durch Witze, die etwa meinen Leitungsstil oder meine Lieblingssprüche in der Therapie aufs Korn nehmen, angegriffen fühlen würde. Meine Devise: Es handelt sich zu 99% um Komplimente 😉. Oder: Was sich neckt, das liebt sich.

Hinter dem Spiel mit meiner Autorität steckt Ernst, auch bei mir. Wenn ich die Patienten mit einer „Hausaufgabe“ aus der Stunde entlasse, kann ich ihnen mit der spaßhaften Betonung einer Lehrerrolle bewusst machen, dass sie nicht für mich, sondern für sich Therapie machen: „Beim nächsten Mal sammele ich übrigens Ihre therapeutischen Tagebücher zur Benotung ein …“ Tatsächlich denken Patient:innen gelegentlich, ich sei ziemlich autoritär, aber wenn man ergründet, was sie machen würden, wenn ich weniger „autoritär“ bzw. „konfrontativ“ wäre, stellt sich heraus: Sie würden sich vor notwendigen therapeutischen Herausforderungen drücken. Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass. Das ist bei vielen ja eher eine unbewusste Devise: sie wollen, dass die Therapie wirkt, sie wollen sich aber auch während der Therapie vor allem in der Komfortzone aufhalten – und diese Spannung kann man tragisch oder dramatisch verstehen, aber auch komisch!

Eine bedeutende Intervention der Systemischen Therapie ist das Reframing: Altbekannten „Fakten“ und Zusammenhängen wird eine neue Bedeutung gegeben. Wir bieten dem Patienten einen anderen Denkrahmen (Rahmen = Frame) an, ohne dass dieser als „richtiger“ oder „besserer“ erscheinen muss. Er mag absurd erscheinen, Hauptsache, er erschüttert die Gültigkeit des alten Denkrahmens. Durch den damit verbundenen Überraschungseffekt entsteht oft automatisch eine Art Witz, und das kann man je nach Situation auch verstärken.

Wenn ein Patient innerhalb von drei Jahren zum vierten Mal in die Klinik kommt und ich mich frage, worin nun diesmal der Nutzen bestehen könnte, kann ich das – bei einer prinzipiell funktionierenden Beziehung zwischen uns – an ihn weitergeben mit der These: „Grüß Gott, Sie schon wieder, Sie sind ja ein geradezu verbohrter Optimist!“ Kennt der Patient mich, so weiß er, dass in der Psychotherapie der Patient, also er, den „Drecksjob“ hat, d.h. er kann es als Erweisung von Respekt erleben. Ich behaupte hier nicht, dass dies die Standardintervention bei „Wiederholern“ werden sollte (!), aber Humor in der Therapie ist sowieso nie Standard, solche Momente können vielmehr nur aus der Situation heraus geboren werden, es sind Ausnahmen, keine Dauerbrenner.

Im Grunde ist jede Therapie wesentlich Reframing, denn die Patienten kommen zu uns mit einer Geschichte, die sie zumindest sich selbst schon viele Male erzählt, deren Logik sie selbst gebastelt und mit Glaubensbeton stabilisiert haben. Und dann sage ich: „Moment mal!“ und rüttele an dem (psycho)logischen Gebilde oder wirbele die Geschichte richtig durcheinander. Erzählt mir etwa eine Patientin im Brustton der Empörung, was für ein echter Pechvogel sie sei, dass alle ihre vier langjährigen Partner ziemliche Narzissten waren, dann provoziere ich mit: „Holla, das muss man ja erstmal hinbekommen, wie haben Sie’s geschafft?“

Sicher muss man dabei aufpassen: Verwirrung ist oft produktiv für den Therapieprozess, noch häufiger braucht es allerdings Klarheit und Eindeutigkeit. Vergessen wir nicht, dass ein Großteil von Ironie unverstanden bleibt, daher bemühe ich mich, wenig mit Ironie zu arbeiten, aber Reframen heißt oft Übertreiben, d.h. es hat etwas von Ironie. Wichtig ist, und da sind wir wieder beim Anfang, ich lache nicht über den Patienten und ich bin nie zynisch.

Wenn wir auf der sprachlichen Ebene besonders „frech“ agieren, sollten wir auf der Ebene des Körper- und Gesichtsausdrucks umso liebevoller und zugewandter wirken. Dieser Rat stammt von Frank Farrelly, der den sogenannten Provokativen Stil in der Therapie zwar nicht erfunden, aber berühmt gemacht hat. Ihm war aber auch klar, dass wir diese andere, nonverbale Ebene nicht so ohne Weiteres bewusst steuern können: Es kann eben auch mal passieren, dass der therapeutische Witz von unserem ganz eigenen Bedürfnis befeuert wird, Frust abzulassen. Oder dass wir damit die eigene Ambivalenz im Kopf zu verdrängen suchen. Daher wäre es ideal, den Prozess zu reflektieren: mit einem Co-Therapeuten, in der Supervision oder auch mit dem Patienten selbst – und im Zweifelsfall Selbstkritik zu üben.

Manche Patientenaussagen schreien regelrecht nach einem Witz: „Sie sind meine letzte Hoffnung!“ – „Oha. Wie viele Therapeuten haben Sie denn schon verschlissen?“ Es ist durchaus zulässig, dass wir auf diese Weise den Erwartungsdruck, der sich gelegentlich auf uns konzentriert, mit Humor wie einen Ball zurückspielen. Das heißt aber auch, ich darf mich selbst wirklich nicht so wichtig nehmen, als könnte ich den Patienten „retten“. Dann kann ich mich über alle Arten von Symptomen freuen, weil sie unser „Forschungsprojekt“ (die Therapie) vorantreiben. Egal, ob mir die bulimische Patientin erzählt, dass sie jetzt wieder zweimal täglich erbricht, oder ein Patient sich trotzig wie ein kleines Kind aufführt, ich kann halb im Ernst und halb im Spaß mit Begeisterung statt mit Frust darauf reagieren: „Super, dass das Symptom so präsent ist – wie machen Sie das?“ Das Gegenteil dessen zu tun, was der Patient erwartet (kontraintuitiv reagieren oder auch etwas Gegenteiliges zu „verordnen“), diese sog. paradoxe Intervention ist auch ein Tool aus der systemischen Therapie, welches manchmal wirkt, wenn gar nichts mehr zu gehen scheint, und auch mehr Leichtigkeit in die therapeutische Beziehung bringt.  

Leichtigkeit ist verlockend, sie sollte jedoch nicht dazu dienen, dass wir die Ohnmacht und Verzweiflung, die etwa bei psychischen Erkrankungen auftreten, verdrängen. Vielleicht kann man diese Regel auch auf das wahre Leben in 2024 anwenden. Wer nicht weinen kann, sollte mit dem Lachen vorsichtig sein. Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr und durchaus mehr Optimismus!