Unser Körper ist irgendwie immer da und immer mit dabei, doch häufig sind wir uns in der Psychotherapie dessen nicht bewusst. Sicher hat sich seit den Zeiten von Freuds „Redekur“ und auch der klassischen (ebenfalls körperignoranten) Verhaltenstherapie schon viel verändert: Körperorientierte Therapien sind heute weit verbreitet und gehören z.B. in jeder Klinik zum Standard. Allerdings gibt es da z.T. große Unterschiede. Etwa mit welcher Zielsetzung oder mit welcher Methodik der Körper einbezogen wird. Und nicht zuletzt auch in punkto Wertschätzung dieser Therapien. Da ich mich zuletzt im Blog mit dem Einfluss von Seele auf den Körper im Sinne von „Psychosomatik“ befasst habe, möchte ich heute einmal mehr auf den umgekehrten Weg schauen: Wie wir therapeutisch über den Körper auf die Seele einwirken.
Erstens kann man das Körperbewusstsein über Achtsamkeitspraxis „trainieren“. Das geht auch mit Patient*innen, bei denen anderen körperorientierte Verfahren nicht oder noch nicht angewandt werden können. Achtsamkeitspraxis kann hier die buddhistisch inspirierten Formen und Übungen beinhalten (Atembeobachtung, Gehmeditation usw.). Es geht aber auch spielerisch-therapeutisch, indem die Patienten angeleitet werden, bestimmte Emotionen körperlich-pantomimisch auszudrücken. Wie zeigt sich eine „ordentliche“ Depression? Wie stellt sich Angst dar, oder unterdrückte Wut? Wer fühlt sich oft „nicht gut genug“ – und wie zeigen Sie das? Welches Tier steht für welche psychische Qualität – und wer kann es darstellen? Die wachsende Achtsamkeit wird direkt auch in der Gesprächspsychotherapie genutzt: „Ah, Sie fühlen Unruhe. Wo im Körper spüren Sie das genau? … Und wenn Sie nochmals zu sich sagen „Ich spüre Unruhe“, was taucht dann noch auf? …“ usw.
Zweitens können Patient*innen angeleitet werden, den Körper zu bewegen. Das klingt erstmal gar nicht so nach Psychotherapie, und tatsächlich halten viele Patient*innen entsprechende „Programmpunkte“ auf ihrem Therapieplan für „Beiwerk“. Doch Bewegung ist eine Basistherapie bei Depressionen, bestimmte positiv wirkende Botenstoffe werden nur bei Bewegung produziert – weshalb es ja oft keine so gute Idee ist, wenn sich Betroffene ins Bett legen, die Decke über den Kopf ziehen und darauf warten, dass „es“ besser wird. Und der psychosomatische Zusammenhang von „den Kopf hängen lassen“ oder aber „sich aufrichten“, den gibt es wirklich und er wirkt effektiv: Wenn ich mich 20 Minuten in aufrichtenden Haltungen bewege, sichtet sich oft etwas auf, auch in unserem Nervensystem.
Wer nicht walken oder gymnastizieren mag, kann tanzen! Selbst sehr bewegungseingeschränkte Menschen tanzen gern (weil das Kind ins uns gern tanzt), nicht die körperlichen Einschränkungen sind da begrenzend, sondern die seelischen: Erst müssen Patienten lernen, die Scham, die mit dem sich zeigen verbunden ist, zulassen zu können.
Drittens kann der Körper selbst berührt werden – von den Betroffenen als Form der Selbsthilfe (z.B. sich eincremen oder massieren); von Mitpatient*innen im Rahmen der Therapie als partnerschaftliche Körpererfahrung und als „Nährung“ oder Nahrung für den Körper; und von Therapeut*innen. Auch dafür müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt bzw. Schritte bereits gegangen sein. Der Patient muss gelernt haben, Ja und Nein sagen zu können, was sehr banal klingt, aber höchst schwierig sein kann.
Wir sollten uns um diesen wichtigen Teil der Psychotherapie nicht herumdrücken, denn vielen Patient*innen fehlt körperliche Berührung und Nähe, und sie wissen noch nicht, wie sie es selbst hinbekommen. Nach meiner Wahrnehmung sind wir Therapeuten da derzeit sehr zurückhaltend und unsicher, was geht und gut ist. Das hat nicht nur mit Missbrauchsdebatten – und realem Missbrauch, wenn schon nicht körperlich, so doch emotional – zu tun, sondern auch damit, dass viele Patient*innen in der Vergangenheit nicht von den „nährenden“ körperlichen Kontakten profitiert haben: Dies hat nicht der Weiterentwicklung, dem Erwachsenwerden gedient, sondern hat die Betreffenden teilweise anhaltend in die Regression gelockt. Insgesamt scheint das Pendel jedenfalls derzeit eher in die Richtung „körperignorantes“ bis „körperfeindliches“ Verhalten der Therapeuten im Rahmen der Richtlinientherapie auszuschlagen. Man möchte das Körperliche dann lieber den Bewegungs- und Tanztherapeuten überlassen.
„Aufdeckend oder stabilisierend?“ Alle (körper-)psychotherapeutischen Verfahren und Übungen lassen sich nach diesem Kriterium unterscheiden, allerdings nicht feinsäuberlich trennen. Wenn der Klient in der körperorientierten Therapie, etwa Tanztherapie oder Aggressionsarbeit, etwas über seine Seele erfährt, was ihm in der Gesprächstherapie noch nicht klar geworden ist, so ist das „aufdeckend“. Ein Aha-Erlebnis, welches vielleicht mit sehr viel Emotion verbunden ist (die der Patient bisher nicht zulassen konnte, aber der Körper hat gewissermaßen die psychischen Barrieren überlistet). Wenn wir dagegen über den Körper der Seele Gutes tun, z.B. durch Bewegung oder Massage, könnte das „stabilisierend“ sein. Aber Sie können sich vorstellen, wie „aufdeckend“ Massage erlebt werden kann.
Die zwei Aspekte kann man also nicht einfach ohne Weiteres auseinanderhalten, oft treten beide auf oder können unvermittelt wechseln: Ich kann mir als Therapeut eine sehr stabilisierende Stunde ausgedacht haben, die jedoch einzelne Patient*innen als aufdeckend erleben, z.B. weil sie schon sehr lange nicht mehr etwas so Schönes in der Begegnung mit dem Körper erfahren hatten. Oder ich arbeite sehr aufdeckend an der Wut von Patient*innen, lasse die unterdrückte Aggression in den Ausdruck kommen – und einige der Patienten fühlen sich hinterher sehr viel stabiler, vielleicht nur, weil sie gemerkt haben, wieviel Stabilität sie bereits haben (eine solche Arbeit hätten sie sich nämlich Wochen zuvor „nie“ zugetraut), d.h. die Stunde war aufdeckend, wirkte aber stabilisierend und ressourcenstärkend.
Ein Teil der Patienten (naja, auch ein Teil der Therapeuten) überschätzt die aufdeckende und unterschätzt die stabilisierende Therapie. Manchmal hört man sie enttäuscht sagen: „Ich will aber richtige Therapie machen…“ Doch viele von ihnen können von stabilisierenden Verfahren wie konzentrative Atem– und Bewegungstherapie (Tai Chi, Qigong, Yoga u.a.) unglaublich profitieren: achtsam angeleitet, den eigenen Körper neu kennen und schätzen lernen, die eigenen (vermuteten, befürchteten) Grenzen step by step erweitern und überschreiten, die mentalen Auswirkungen erfahren, das kann durchaus einiges für den Alltag verändern und das Gefühl von Selbstwirksamkeit und nicht zuletzt die Selbstliebe – als Wahrnehmung und als gelebte Praxis – fördern.
Psychotherapie bedeutet Hilfe zur Selbsthilfe! Der Patient lernt, sich selbst an die Hand zu nehmen, sich selbst zu steuern, sich selbst Gutes zu tun. Das gilt gerade auch für die Körperpsychotherapie: Patienten müssen schrittweise ihr Repertoire an körperlicher Zuwendung und seelischer Stabilisierung über den Körperbezug ausbauen. Auf jedem „Notfallzettel“ (Wie helfe ich mir, wenn es mir schlecht geht) sollten einige gut funktionierende körperbezogene Maßnahmen stehen: wie man Anspannung abbaut und wie man eine freudige Grundspannung aufbaut.
Auf meinem eigenen Notfallzettel stehen z.B. als körperliche „Maßnahmen“ Laufen (Joggen), Sauna, Tanzen, seit einiger Zeit auch Yoga (macht mir oft gute Laune), mich Einkuscheln ins Bett am helllichten Tag bei Lieblingsmusik (Bach- oder Jazztrompete), Kochen, Backen und … ins Café gehen für Cappuccino und Kuchen (bevorzugt Nusszopf oder Linzertorte). Ja, es funktioniert wenig so gut als seelische Nahrung wie Essen. „Leider!“ werden jetzt manche von Ihnen denken. Menschen mit Essstörungen können ein Lied davon singen und haben Schwierigkeiten, ähnliche effektive Selbsthilfemittel zu entdecken und zu etablieren. Aber es gibt immer Hoffnung.
Was meist genauso gut funktioniert als seelisch-körperlich nährende „Maßnahme“ (wie Essen), ist allerdings mit Schwierigkeiten und Schwellenängsten verbunden: soziale Kontakte! Zuwendung von andern, auch körperlich. Unser Notfallzettel darf daher nicht unter dem Motto stehen: „Ich schaffe alles alleine und brauche niemand anders.“ Auf jedem Notfallzettel sollten soziale Kontakte (z.B. Namen, Telefonnummern) und soziale Aktionen stehen. Wir müssen es lernen, etwas zu riskieren, auf andere zuzugehen, um uns z.B. mit Komplimenten, Verständnis, aber auch mit notwendigen (!) Umarmungen zu versorgen. (Darüber und auch über Angebote wie Kuschelpartys habe ich hier schon eigene Texte veröffentlicht.)