Was ist schlimm daran, wenn Menschen ohne Medizin- oder Psychologiestudium Patientinnen und Patienten behandeln? Es wird gern argumentiert, dass Patient*innen nicht wie normale mündige Bürger agierten, da ihre (Behandlungs-)Bedürftigkeit nicht mit Konsumbedürfnissen vergleichbar sei, vielmehr solche Dimensionen erreichen könne, dass die Betreffenden sich an jedes Strohhalm klammerten und demnach ihre Rationalität – auf die sich mündige Entscheidung gründet – aussetze und sie unseriösen Anbietern zum Opfern fallen. Das klingt zunächst sehr plausibel und ehrenwert: Patienten sind, je nach Erkrankung, tatsächlich in gewisser Weise in einer schwachen oder latent geschwächten Position. Aber sind Sie deshalb unzurechnungsfähig? In mehr als 25 Jahren habe ich im Bereich der Medizin alle Arten von Grenzüberschreitungen kennengelernt, manche Therapeuten versprechen eben gerne viel zu viel, und zwar, dies vorneweg, unabhängig davon, ob sie Ärzte, Heilpraktiker (HP) oder andere Heilkundler sind. Manchmal habe auch ich in der Tat in Anbetracht von ganzheitsmedizinischen Missionaren oder Verkaufstalenten schon gedacht: „Ein paar medizinische Grundkenntnisse oder eine Art medizinischer Führerschein hätten ihm nicht geschadet …!“ Oder mich eben gefragt, wie lange das zweite Staatsexamen bzw. die HP-Überprüfung wohl zurückliegen mögen. Allerdings sind heute, in Zeiten des Internets, auch die Empfänger solcher Heilsbotschaften nicht von Verantwortung freizusprechen. Jede(r) kann mit zwei, drei Klicks feststellen, ob eine Behauptung halbwegs plausibel oder einfach schwachsinnig ist oder zumindest von einschlägigen Stellen (etwa Verbraucherschutzverbänden) dafür gehalten wird. Wer gar keinen Verdacht schöpft, ist selber schuld! Mündigkeit heißt selbst denken. Brauchen wir also heute noch zum Schutz vor selbstverliebten, größenwahnsinnigen oder geldgierigen Therapeuten, die zweifellos eine kleine, aber öffentlich gerne beachtete Minderheit darstellen, so etwas wie ein Heilpraktikergesetz und den ihm nachgeordneten Berufsstand bzw. Titel Heilpraktiker?
Von der Kurierfreiheit zum Heilpraktikergesetz oder:
Was HP Hitler (nicht) zu verdanken haben
Vor 150 Jahren wurde die „Kurierfreiheit“ in der Schweiz bzw. im Kanton Appenzell Ausserrhoden absichtlich eingeführt: Jeder darf heilkundlich tätig werden. Im Deutschen Reich hat sie sich etwa zeitgleich, aber eher „aus Versehen“, mit der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes, die nach der Reichsgründung 1871 von den anderen deutschen Ländern übernommen wurde, etabliert. In der Schweiz leitet sich von der Kurierfreiheit der Begriff „Naturarzt“ für Laienheilkundige in einigen Kantonen ab. In Deutschland wurde die Bezeichnung „Arzt“ dagegen mit der erwähnten Gewerbeordnung für studierte Mediziner reserviert – dies kam offiziell zwar einer Einschränkung der Kurierfreiheit nah und es war auch genauso gedacht, hat aber den immensen Anstieg der Zahl an Laienheilkundigen und die ebenfalls wachsende Nachfrage von Patienten nicht verhindern können. Den Ärzten war diese Entwicklung verständlicherweise ein Dorn im Auge und ihre Verbände haben demnach einiges getan, um einen Riegel vorzuschieben, z.B. eine ständige Kommission gegen „Kurpfuscherei“ eingerichtet. Die Stimmung gegen die „Kurpfuscher“ wurde angeheizt mit Horrorgeschichten über Naturheilkunde, Impfgegner und Homöopathie – kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor?
Das Heilpraktikergesetz (HPG) von 1939 sollte die aufgebrachte Ärzteschaft beruhigen und sie noch etwas mehr ins Dritte Reich integrieren: mit der Abschaffung der Kurierfreiheit, indem auch Laienkundige der staatlichen Kontrolle und Überprüfung unterstellt wurden – und mit dem erklärten Ziel, dieses Milieu der Laienheilkundigen auszutrocknen bzw. zum Aussterben zu bringen. Irrigerweise wird das HPG, das zu Hochzeiten des Nazi-Reichs erlassen wurde, trotzdem oft kontrafaktisch so dargestellt, als hätten die Heilpraktiker ihre Existenzberechtigung Hitler zu verdanken. Ganz und gar nicht!
Ihre Existenzberechtigung haben HP ebenso wie zahlreiche Gesundheitsberater, Heiler etc. dem anhaltenden und irgendwie nicht totzukriegenden Interesse an ganzheitlicher Medizin zu verdanken, welches die studierten Ärztinnen und Ärzte früher nicht einmal ansatzweise und auch heute nicht hinreichend befriedigen können – was auch an den Zwängen des Gesundheitswesens liegt, d.h. es liegt natürlich nicht daran, dass Ärzte böse und HP gut wären, hier geht es nicht um Ärzte-Bashing, sondern um Kurierfreiheit! Dumm nur, dass viele Patientinnen und Patienten diese Ganzheitsmedizin wollten – und sich auch bei den Ärzten immer wieder Abtrünnige fanden, die ihr und der Patienten Heil nicht nur in der reinen Hochschulmedizin suchten. Bei manchen von diesen Paulusen hat dies zu einem Zweifrontenkrieg-Verhalten geführt: gegen die Schulmedizin wettern, aber nicht minder gegen die Heilpraktiker, von denen (oder deren kurierfreien Vorfahren ohne HP-Titel!) man ein Großteil der Verfahren übernommen hat, es aber jetzt besser als gut, also als die HP, zu machen gedenkt.
Apropos Qualität: Das HPG regelt nicht die Ausbildung von Heilpraktikern, es schreibt scheinbar keinen Wissens- und Kompetenzstandard, sondern gewissermaßen einen Sicherheitsstandard vor (es ist nicht mehr oder weniger als die Existenzberechtigung für eine wachsende Kontrollbürokratie), und dieser Mangel an Vorschriften wird heute sogar von einem Teil der Heilpraktikerschaft als das vermeintliche Hauptproblem gesehen. Das HPG im Ist-Zustand soll lediglich ein Schutzgesetz sein und ausschließen, dass Heilkundige mit dem Titel HP eine Gefahr für den einzelnen oder die Volksgesundheit darstellen. Bei „Volksgesundheit“ klingelt es vielleicht bei Ihnen…? In der Tat war dem HPG das Obrigkeitsdenken sozusagen mit Stahlfäden eingeflochten, nämlich dass man im Falle von Seuchen, oder nennen wir es Pandemie, dem HP klar sagen kann, an welche Weisungen er oder sie sich zu halten hat.
Kann man Gefahrenausschluss für Patienten oder Bevölkerung gewährleisten, indem man rein schulmedizinisches Grundwissen – es muss immerhin erheblich sein, um die Überprüfung zu bestehen – und das Bewusstsein der Kandidat*innen für die Grenzen der eigenen medizinischen Kompetenzen prüft? Ist diese HP-Überprüfung der erwähnte hilfreiche „Führerschein“? Besser als nichts scheint dies zu sein, solange man den Blick nur auf die gerichtet hält, die man damit kontrolliert – und großzügig übersieht, dass der Bereich der Laienheilkundigen längst jenseits des Gesetzes viel größer ist, worüber das reine Wachstum der HP-Zahlen hinwegtäuscht.
Tatsächlich hat das HPG in der Nachkriegszeit, obwohl zunächst de jure ganz unverändert, de fatco einen Wandel in der Bedeutung erlebt: Auf der Basis dieses Laienkundler-aussterben-lassen-Gesetzes hat sich nach und nach eine Szene von Heilpraktikern, Verbänden und HP-Schulen etabliert und ist wahrlich aufgeblüht, als wäre dieser Boden mit Dünger versetzt gewesen – was mit auch daran gelegen haben mag, dass die Schulmedizin der Nachkriegszeit besonders Naturheilkunde-feindlich war, zum einen aufgrund der eigenen braunen Vergangenheit, zum andern wegen der überwältigenden Erfolge der neueren medikamentösen Therapie (z.B. durch Antibiotika). So konnte „daneben“ eine Heilpraktikerschaft wachsen, die die Erlernung und Ausübung der Laienheilkunde irgendwie unter ihre Zuständigkeit fallend betrachtete, mit allem was an Gebietsansprüchen und Pfründe-Verwaltung inklusive heftigsten Streitigkeiten untereinander dazugehört. Dabei wurde teilweise die Ablehnung, die man seitens der Ärzteschaft selbst erlebt hat, weitergereicht und projiziert auf jene Heiler, die jenseits der Heilpraktikerschaft tätig waren und sind. Mit einigem Stolz haben HP immer wieder darauf hingewiesen, dass neben den Ärzten nur die Heilpraktiker berechtigt sind, eigenständig zu diagnostizieren und zu therapieren, alle anderen Heilberufe dürfen dies rein rechtlich nicht, sondern arbeiten im Delegationsverfahren, d.h. im Auftrag von Ärzten. Und mancher HP, der im Überprüfungsausschuss des Gesundheitsamts saß, hat sich vor seinem vorsitzenden Amtsarzt als „der schärfste Hund“ gegenüber Anwärter*innen profiliert.
Coronakrise und Impflicht: Die Selbstaufgabe eines
Berufsstandes bzw. seiner Verbände und Funktionäre
Jede gewachsene Landschaft und Institution hat wahrscheinlich mit Auswüchsen zu kämpfen. Manchmal muss man sich dabei fragen, ob die vermeintliche Lösung nicht eher das Problem ist. Zuletzt haben bei mir Erfahrungen in der Coronazeit die Zweifel am Sinn der alten Konstruktion in Gewissheit verwandelt: Die Eigeninteressen der HP-Verbände (die ihren Mitgliedern und den am Berufsfeld neu Interessierten oft und überschwenglich Perspektiven versprechen, die für die große Mehrheit komplett unrealistisch bleiben) und z.T. auch der Funktionäre selbst sind so stark – wie in vielen politischen Parteien, NGO und anderen gemeinnützigen Organisationen, wo man ähnliche Dynamiken beobachten kann –, dass sie im Falle des Falles die Interessen ihrer Mitglieder und ihres hochgelobten freien Berufs nolens volens verleugnen und verraten. Dies bitte ich nicht als moralische Verurteilung zu betrachten, sondern als Feststellung über Ergebnisse der kritisierten „Strategie“. Sie wollen vermutlich immer noch das vermeintlich Beste (Bestandsschutz als Gnade) und verschärfen dadurch die Krise.
Ich habe während der Coronazeit führende Verbände, aber auch einzelne Funktionäre, die mir persönlich bekannt waren, angeschrieben, Kollegen, auf die ich in der Vergangenheit große Stücke gehalten hatte, und deutlich gesagt: Ich fühle nicht nur mich von Euch im Stich gelassen, sondern auch zahlreiche Patientinnen und Patienten, die uns teilweise gerade deshalb vertraut haben, weil sie bei uns früher nicht die Standard-Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts nachgebetet bekamen, weil sie vielmehr darauf vertrauten, dass bei uns Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern das Selbstbestimmungsrecht in Fragen medizinischer Behandlung mehr wert ist als in einer Kassenarztpraxis. (Es geht mir nicht darum, Stimmung gegen Kassenärzte zu machen, ich hatte und habe gute Hausärzt*innen und andere Fachärzt*innen kennengelernt und gehe selbst regelmäßig zu ihnen. Aber sie sind den Zwängen des Gesundheitssystems und der Politik komplett unterworfen. Deshalb hat übrigens schon manche(r) von ihnen, der mit der Naturheilkunde liebäugelt und es sich leisten konnte, die Zulassung zurückgegeben.)
Können Sie sich gedanklich noch in Vor-Corona-Zeiten versetzen? Hätten Sie es 2019 für möglich gehalten, dass sich die HP-Verbände in Sachen Corona-Impfpflicht, die auch für HP gilt, komplett „bedeckt“ halten? Auf Nachfrage 2022 wurde überwiegend gar nicht reagiert oder hinter vorgehaltener Hand gewarnt: „Christoph, bitte jetzt bloß nicht Corona-impfkritisch an die Öffentlichkeit gehen! Wir sind doch sowieso auf der Abschussliste …“. Mancher Verband hat sogar dem Bundesgesundheitsminister angeboten, dass sich HP aktiv, also wirklich als kleine Impfzentren oder als Teilzeitbeschäftigte in größeren Impfzentren, an der Kampagne beteiligen könnten. In diesen Zeiten muss man für alles Verständnis haben. Aber wann und wo ist die Grenze erreicht? Meines Erachtens ist sie längst überschritten: Es gibt keine medizinisch-wissenschaftliche Begründung für irgendeine Corona-Impfpflicht. Das wissen mittlerweile auch viele Gesundheitspolitiker, Leiter von Gesundheitsämtern usw. Warum ist es Ärztinnen und Ärzten möglich, dies klar und deutlich zu bekunden – und HPs bzw. ihre Verbände hüllen sich in Schweigen?
Bin ich oder sind wir als ungeimpfte Kolleg*innen nun HP zweiter Klasse, Außenseiter, über die man nicht spricht? Einzelne Verbände haben die individuelle Fallberatung angeboten. Ich vermute, diese lautet, salopp gesagt: „Maul halten und abwarten, was die Obrigkeit macht.“ Möglicherweise wird es „hintenrum“ auch juristische Unterstützung geben, um nicht die ganzen ungeimpften Kolleginnen und Kollegen zu verprellen – aber vorneherum? Schweigen!
Was sollen wir unseren Patient*innen sagen? Wenn wir uns nicht klar zur berufsbedingten Corona-Impfpflicht äußern, wie glaubwürdig sind wir gegenüber Patienten, die eine differenzierte Sicht auch auf die allgemeine Corona-Impfpflicht und die verschiedenen Impfzwänge, die mit 2G, 3G usw. verbunden sind, wünschen? Bisher war ich impfskeptisch, auch öffentlich (d.h. nicht, dass ich jede Impfung ablehne, von mir aus darf es beliebig viele Impfstoffe geben, solange jeder selbst über eine Impfung entscheiden kann), aber jetzt soll ich, um weiterhin „gedulded“ zu werden, allen Unsinn aus Berlin unterschreiben und verbreiten, nur um nicht als Scharlatan dazustehen (?) Wer sind denn bitte schön die wirklichen Scharlatane: Die uns eine Impfung verkaufen und aufnötigen, die nichts davon leistet, was eine Impfpflicht rechtfertigen würde – nämlich den Schutz unserer Patient*innen vor einer Infektion! Gerne können Sie meine umfangreiche Ausarbeitung zu den Impfpflicht-Empfehlungen des Deutschen Ethikrates lesen: Was hochdekorierte Akademiker*innen verbocken (auch Ärzte, die das eigene Wissen verleugnen müssen), wenn sie im Auftrag des Obrigkeitsstaats agieren.
Unsere Vorbilder, ja: ich habe welche, Ärzte wie Hufeland oder Hahnemann, Laienheilkundler wie Prießnitz, Kneipp oder Felke, sie alle und viele andere mehr hatten nicht nur den Mut zum Irrtum, wenn man andere Wege beschreitet als die vorgeschriebenen, sondern vor allem den Mut, die Irrtümer, die die Schulmedizin begeht, inklusive der daraus sich ergebenden Gefahren klar zu benennen. Selbst wenn sich etwa die Homöopathie in weiten Teilen eines Tages als unhaltbar erweisen sollte, so hat ihr Begründer Hahnemann vielen Tausend Menschen das Leben gerettet, indem er sie vor den Gefahren der Schulmedizin seiner Zeit bewahrte! Zurück in die Gegenwart: Es ist nicht so, dass man Corona-Leugner oder „Querdenker“ sein müsste, um jegliche Corona-Impfpflicht öffentlich als Bullshit oder die Corona-Impfung für Kinder als unnötig und eher riskant abzulehnen, aber einen Hauch von Mut braucht es dafür, weil man gleich in die besagte Ecke gestellt wird.
Es ist die schwerste Existenzkrise der Heilpraktikerschaft, hier wurde und wird wahrlich die Existenzberechtigung des Berufsstandes in Frage stellt – im Grunde haben die schärfsten Verfechter der Schulmedizin die Gelegenheit ja genutzt, um klar zu machen, dass sie auch für die Naturheilkunde insgesamt keinerlei Existenzberechtigung mehr sehen: „Wozu brauchen wir Kräuterli und Co bei einer neuartigen Erkrankung?!“ (Da braucht es vielmehr neuartige Impfungen und hochmoderne Medikamente … Ich frage mich, wer sich da eigentlich mehr blamiert hat in den vergangenen beiden Jahren …?!) Vielleicht war diese Krise notwendig, um zu zeigen: Möglichst angepasst sein, jeden Propagandaquatsch der offiziellen Medizin mitmachen, immer wieder beweisen, welch nützliche Mitglieder des Gesundheitssystems da als HP am Werk sind – dies wird nie dazu führen, dass man wirklich von der Schulmedizin oder der Politik anerkannt würde. Wenn Hochschulmedizin und Ampel-Koalition uns den Hahn abdrehen könnten, hätten sie es längst getan und würden es jeden Tag wieder tun. Therapiefreiheit? Pah.
Die Alternative zur Anpassung bis zur Selbstaufgabe:
der konsequente Eintritt für Therapie- und Kurierfreiheit
Ja, es gibt etliche Ärztinnen und Ärzte, auch einige wenige Professorinnen und Professoren, die tolerant oder selbst leidenschaftlich in der Naturheilkunde unterwegs sind, aber gerade in den – auch naturheilkundlichen – Ärzteverbänden haben jahrelang HP-Hasser den Ton angegeben, und viele Ärzte halten sich insgeheim einfach für die seriöseren, weil, ja eben weil studierten Naturheilkundler. Ich könnte hierzu die tollsten Anekdoten beisteuern. Mich hat beispielsweise mal ein Arzt, mit dem ich 15 Jahre als Redakteur konstruktiv und produktiv zusammengearbeitet hatte und der mich zurecht für einen HP hielt, irgendwann erstaunt bis empört angepflaumt: „Warum haben Sie mir nicht früher schon gesagt, dass Sie studiert haben?!“ Ich habe ein abgeschlossenes Philosophiestudium, das hätte ihm offenbar für eine Begegnung auf Augenhöhe gereicht. Aber was tut das zur Sache Naturheilkunde und medizinische Kompetenz? Vermutlich nichts. Und: Das ist alles andere als ein Einzelfall. Ich kenne umgekehrt auch prominente und gestandene HP, denen es wichtig ist, ständig zu betonen, sie hätten Naturheilkunde „studiert“ (was allermeistens Unfug ist, es sei denn man hat an dem mittlerweile abgeschafften Lehrstuhl für Komplementärmedizin der Universität Frankfurt/Oder versucht einen akademischen Titel zu erwerben, der aber medizinisch bedeutlungslos ist).
Wir HP müssen in die Offensive gehen, und zwar mit allen anderen Heilkundlern guten Willens, und statt Erhalt des HP-Berufs die Abschaffung des HPG und die Rückkehr zur Kurierfreiheit fordern, oder wenn „Rückkehr“ irgendwie doof klingt, ein modernes Äquivalent erfinden. Das könnte der Schlag durch den gordischen Knoten sein – auch weil wir uns auf diese Weise mit anderen Vertreter*innen der Therapiefreiheit verbünden können, natürlich mit Ärzt*innen, denen es ernst ist mit Ganzheitsmedizin, aber auch mit „der anderen Seite“: Neben den HP gibt es eine mehr oder weniger große Zahl von Heilerinnen und Heilern, die sich wenig oder gar nicht darum scheren, dass sie in der Grauzone arbeiten (ein riesiges Paralleluniversum, allein im Web) und den Standesdünkel der HP bestenfalls sehr begrenzt nachvollziehen können. Diese graue Szene erscheint nicht nur den HP-Verbänden bisweilen unheimlich, sondern auch vielen Ärztefunktionären und Politiker*innen irgendwie so schmuddelig oder „esoterisch“, dass sie sie einfach ignorieren und im Zweifelsfall lieber mal wieder stellvertretend auf HP einprügeln.
Mir ist wichtig zu betonen, dass ich niemand moralisch bewerten möchte – und mich auch über niemand lustig mache, selbst wenn man über die ein oder andere Kuriosität besser lacht als zu weinen. Aus mancher meiner Zeilen klingt vermutlich Wut heraus, es satt zu haben, und Sorge oder Angst, dass es noch lange so, also ständig sich verschlimmernd, weitergehen könnte: Der skizzierte Weg der Anpassung zeigt sich für mich immer mehr als Sackgasse. Mein Vorschlag, den Spieß umzudrehen, mag überheblich wirken für jene, die sich tagtäglich mit der Sicherung des Status Quo beschäftigen.
Sicher hat der rechtliche Status Quo ein paar Vorteile, vor allem für den Staat: dass man die HP kontrollieren, einschüchtern und kleinhalten kann. Und ja, Vorteil für uns, wir HP können mit dem Titel werben – eine Zeitlang war er je nach Milieu oder Subkultur recht angesehen – und uns mit einer Berufshaftpflicht für kleines Geld absichern. An anderer Stelle habe ich darauf hingewiesen, wieviel Schaden durch Behandlungsfehler seitens HP jährlich wirklich entsteht – nämlich laut Versicherungen und den von ihnen in HP-Haftpflichtverträgen vorgesehenen Versicherungsprämien fast gar keiner; deutlich im Kontrast zu den anerkannten gravierenden ärztlichen Behandlungsfehlern mit schlimmen Folgen.
Ein ganz eigenes, den Rahmen sprengendes Thema wäre der sektorale Heilpraktiker, also die Erteilung der HP-Heilerlaubnis für ein Teilgebiet, ganz prominent ist hier der „HP Psych“, früher auch „kleiner HP“ genannt, also die Ausübung ausschließlich von psychologischer Beratung auf der Basis des HPG. Durch ein Schlupfloch des Gesetzes ist hier ein Riesenmarkt entstanden, auch deshalb, aber nicht nur, weil die Psychotherapie bei approbierten Psychologen die Nachfrage bei weitem nicht abdecken kann. Je nach regionaler Versorgungslage können daher Patient*innen von HP Psych im Einzelfall die Kosten sogar über die Krankenkassen abwickeln. Im Grunde handelt es sich, rechtlich gesehen, um eine abenteuerliche Notlösung, die aber bei einigen Therapeuten und Verbänden zum Festhalten am Status Quo beiträgt. (Hatte die traditionelle Heilpraktikerschaft die Ausbreitung des „kleinen HP“ lange mit Skepsis betrachtet, scheint sich heute teilweise die Ahnung durchzusetzen, dass man den Massen an HP Psych irgendwie einen Teil des gegenwärtigen Bestandsschutzes verdankt.)
Ich möchte gar nicht behaupten, dass mit der „Rückkehr“ zur Kurierfreiheit alle Probleme beseitigt wären, aber wir müssen anfangen in andere Richtungen zu denken, wenn die Richtung, die seit Jahren verfolgt wird – man möge den Berufsstand bitte, bitte, bitteschön erhalten, weil wir uns doch so schön anpassen und gaaanz brav sind – das Gegenteil von dem bewirkt, was zukunftsfähig ist: Therapiefreiheit für Patienten und Behandler. Es ist absurd, dass sich Menschen immer mehr für eine Selbstverständlichkeit rechtfertigen müssen: Dass sie über ihre Gesundheit selbst entscheiden wollen und aktiv Eigenverantwortung übernehmen!
Schutz des Bürgers – wer’s glaubt, wird selig,
wer’s nicht glaubt, wird verfolgt (?)
Scharlatane und Betrüger lassen sich weder durch eine Approbationsordnung bei Ärzten oder Psychologen noch durch das HPG und die HP-Überprüfung bei den Heilpraktikern aussieben. Umgekehrt bieten das Heilmittelwerbegesetz, das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb sowie zahlreiche Verbraucherschutzgesetze und nicht zuletzt das Strafgesetzbuch eigentlich reichlich Handhabe, Betrügern das Handwerk zu legen; und es gäbe sicherlich einfache Möglichkeiten, im Voraus das Eröffnen eines gesundheitlichen Gewerbes für Straftäter zu unterbinden. Es ist beileibe nicht so, dass mit Eintritt der Kurierfreiheit im 21. Jahrhundert hierzulande plötzlich Friseure oder Barbiere wie im Mittelalter wieder Amputationen anbieten würden.
Apropos Schutz vor Missbrauch: Wer sich ein bisschen im Internet umschaut, der erkennt schnell, wie selbst auf scheinbar seriösen Seiten (z.B. des sog. Qualitätsjournalismus) – mit Anzeigen z.B. für minderwertige Nahrungsergänzungsmittel mit trickreich ergaunerten „Health Claims“, für diverse Entgiftungsmethoden und anderen Volkssport, für zweifelhafte Diäten, für Promi- bzw. Influencer-Tipps, die Mediziner angeblich „neiderfüllt erblassen“ lassen usw. – die Hoffnung von Hilfesuchenden missbraucht wird. Dagegen wirkt der oder die HP bzw. jeder x-beliebige Heiler vor Ort, der immerhin unter einer Art Aufsicht und Kontrolle des informellen lokalen Informationsnetzes und im Zweifelsfalle auch des zuständigen Gesundheitsamtes steht, ziemlich bodenständig im wahrsten Sinn des Wortes und extrem harmlos. In Wahrheit atmet das HPG natürlich den Geist der obrigkeitsstaatlichen Kontrollsucht wie eben auch das alte und neue Infektionsschutzgesetz (dem aus den Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen kein(e) einzige(r) Abgeordnete(r) widersprochen hat!) – es ist doch eindeutig, wer und was hier von unguten deutschen Traditionen zehrt, das ist die Neue Deutsche Medizin anno 2022, in der sich obrigkeitsstaatliche Kontrollsucht mit (pseudo-)naturwissenschaftlichem Größenwahn im Dienst der Pharmaindustrie paart und jede Menge Duckmäusertum gebiert.
Der sog. Qualitätsjournalismus, der es immer weniger wagt, sich mit Big Pharma oder Klinikkonzernen und ihnen hörigen Gesundheitspolitikern anzulegen oder auch nur kritisch den wirklich machtvollen und profitsüchtigen Hasardeuren im Gesundheitswesen oder dem an falscher Stelle übermütigen Staat auf die Finger zu schauen, stürzt sich regelmäßig und kampagnenartig als scheinbarer Advokat des mündigen Bürgers mit Begeisterung auf die angeblichen Risiken durch Heilpraktiker, aber auch auf Homöopathen, Anthroposophen, Impfskeptiker und andere Ganzheitsmediziner unter den Ärzten. Das ist schlechtester BILD-Stil, praktiziert von sich seriös gebenden Medien. Wir reden im Übrigen bei „Kurierfreiheit“ über einen Bereich, der größtenteils privat finanziert wird, also im Prinzip liegt hier niemand der Solidargemeinschaft auf der Tasche (mit der Ausnahme, dass die Beihilfe ausgerechnet ohnehin Privilegierten immer noch einige HP-Kosten erstattet). Umso künstlicher die geschürte mediale Aufregung.
Ich kann insofern zwar das Gebaren von HPs und Verbänden zwischen „Kuschen“ und gar freiwilligem Mitmachen unsinniger Vorgaben einerseits nachvollziehen. Andererseits, sorry, liebe Kolleginnen und Kollegen, so wird das nichts! Wagen wir es, uns und unser Denken nicht weiter einschüchtern zu lassen, weder von der Staatsmacht noch dem Mainstream-Journalismus – und schlussendlich auch nicht mehr von den sog. eigenen Verbänden. Ich bin mir völlig bewusst, dass viele Kolleginnen und Kollegen dies zunächst als „Verrat“ empfinden könnten. Ich denke aber, für einen Teil derer, die in den vergangenen beiden Jahren wirklich verraten wurden, die sich zurecht existentiell bedroht gefühlt haben oder fühlen, könnte diese Idee der Kurierfreiheit einen Denkprozess in Gang setzen, der herausführt aus ständiger Zukunftsangst und aus der Defensive der Rechtfertigung. Eine gesetzliche oder politische Aufwertung des Berufsstandes ist völlig unwahrscheinlich, egal wie viel einzelne Funktionäre in Hinterzimmern bei Politikern vorsprechen oder Verbündete in der Pharmaindustrie suchen (natürlich mit Verkaufsargumenten: der HP als wichtiger, weil glaubhafter ganzheitlicher Multiplikator von Pharmabotschaften). Hören wir auf, einen nachhaltigen Bestandsschutz oder gar wirkliche Anerkennung auf diesem Weg zu erwarten, und zeigen wir, was wir uns selbst und unseren Klienten wert sind. Vertreten wir das, was sich ganzheitsmedizinisch orientierte Menschen wünschen und was unsere Vorbilder uns vorgelebt haben: die Freiheit, die es in der Therapie – und nicht zuletzt dafür auch in der Gesellschaft – braucht.
PS. In den Naturheilvereinen, deren Geschichte zum Teil weiter zurückreicht als 150 Jahre, und in ihrem Dachverband Deutscher Naturheilbund arbeiten seit vielen Jahren Angehörige verschiedenster naturheilkundlich orientierter Berufsgruppen – Ärzte, HP, Gesundheitstrainer, Psychologen, Naturheilkundeberater etc. – und noch viel mehr Laien „ohne irgendeinen Titel“ friedlich, freundschaftlich und produktiv zusammen zum Wohle der Naturheilkunde und der Menschen, die ihre Veranstaltungen besuchen. Es geht also, wenn mensch will. Und vielleicht nicht ganz zufällig ist es dem Naturheilbund, im Unterschied etwa zu den HP-Verbänden gelungen, sich klar und deutlich gegen Corona-Impfzwang und Corona-Impfpflicht in jeder Form zu positionieren. Auch das geht also, wenn mensch will und mutig genug ist. Vielleicht möchten Sie sich ja einmal bei dem auf meine Initiative hin gegründeten Naturheilverein Taunus umsehen (oder sogar engagieren).