K wie Konfrontation

Konfrontation, das Wort hat einen abschreckenden Klang, auch in der Therapie. Doch, richtig eingesetzt, ist die Konfrontation der beste Therapiebeschleuniger, ein Türöffner für Schritte in neue Räume – und überrascherweise ein Mittel, die Therapie mit mehr Leichtigkeit zu gestalten. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich während einer so gestalteten Gruppentherapie mit dem Gedanken auf die Uhr geschaut hätte: „wann ist es endlich rum?“, die Frage lautet eher „wieviel Zeit bleibt uns noch?“. Die Stunden verlaufen dynamisch, ziehen die Teilnehmer in den Bann (oder ich helfe auch hier konfrontativ nach) und werden nie als zäh oder langweilig erlebt. Um dies zu verstehen, müssen wir uns zunächst anschauen, wie die Rolle des Therapeuten klassischerweise von vielen (Patienten wie Therapeuten) verstanden wurde und noch wird.

Lange Zeit galt das „Spiegeln“ als der Königsweg der Gesprächstherapie. Nun kann man unter dieser Bezeichnung sehr verschiedene Techniken verstehen – so wie man einen Handspiegel ganz unterschiedlich halten kann: von der bloßen Wiedergabe dessen, was man als Therapeut vom Patienten gehört hat bis zur geschickt verwinkelten neuen Perspektive auf das geschilderte Problem. Also, zunächst einmal nichts gegen das Spiegeln an sich!

Ich habe es allerdings schon vielfach erlebt, wie durch empathisches Spiegeln alles noch depressiver, schwieriger und aussichtsloser empfunden wird, als es der Patient eben gerade geschildert hat. Spiegelt der Therapeut die oft in der Rede des Patienten transportierte Ohnmacht, verstärkt er diese – und weil er dies merkt, setzt er dann mehr oder weniger geschickt ein „Aber“ an, selbstverständlich wird dieses Aber, damit es niemand merkt, als „Und gleichzeitig“ etikettiert – und dann werden Argumente, Beobachtungen oder Ressourcen des Patienten aufgeführt, die für eine Selbstwirksamkeit stehen, die leider er und alle andern im Raum gerade überhaupt nicht spüren können.

Ebenso oft habe ich bei Therapeuten oder sogar therapeutischen Lehrern erlebt, wie deren Spiegeln den therapeutischen Prozess zum Stolpern oder Stillstand brachte, da entweder zu wenig Eigenes vom Therapeuten darin war – wenn der Therapeut den Papagei spielt, denkt der Patient: „werde ich jetzt für doof verkauft?“ – oder aber zu viel an Interpretation, besonders schlimm, wenn es verbunden ist mit eigenen tiefen Emotionen des Therapeuten; da dreht sich der Prozess um, weil der Patient auf einmal denkt, er müsste den Therapeuten (in seiner Not) verstehen.

Sicher, das kann man alles üben, und die Erfahrung hilft, intuitiv angemessen zu spiegeln. Für mich ist das Hauptargument „gegen“ das Spiegeln (ich bin wie gesagt nicht dagegen) sowieso ein anderer: Den Patienten mit seiner Erzählung zu spiegeln beinhaltet das Risiko, sein Vermeidungsverhalten in Bezug auf die anstehenden Lebensaufgaben und Konflikte mit der Bestätigung seiner Version zu bestärken. Einerseits wünscht sich ein Teil des Patienten solche Art von Gesehen- und Verstandenwerden (sagen wir es mal konfrontativ: Gesehenwerden in der Opferrolle), aber es gibt auch einen versteckten Anteil, der sich nichts sehnlicher wünscht, als dass ihm der Therapeut hilft, den Schleier, den diese Version der Geschichte vor die Lebensaufgaben hängt, zu lüften. Es braucht den Mut des Therapeuten (auch mal daneben zu liegen), denn der Patient kann allein noch nicht auf diese Aufgaben, Konflikte, akuten psychischen Schmerzen schauen.

Nehmen wir an, eine Patientin schildert in der Gruppentherapie, wie sie sich von ihrem Mann seit geraumer Zeit „unterbuttern“ lässt. Dann kann ich ihr unter bestimmten Voraussetzungen konfrontativ meine Wahrnehmung anbieten, dass sie sich auch in der Klinikzeit am laufenden Band unterbuttern lässt und aus Aversion gegen diese Erfahrung anspruchsvolle Kontakte prophylaktisch ganz vermeidet. Wir gehen weg von der Perspektive „Täter“ (Mann) und „Opfer“ (Patientin) und wechseln zu einer neuen Sichtweise, etwa unter der Frage „Welche Ängste führen hier dazu, dass ich mich unterbuttern lasse und welche resultieren daraus?“ Vielleicht können wir direkt anfangen mit einer Gegenüberstellung, wo die Patientin ihren Selbstwert testet und gleichzeitig lernt, ihn durch neue Haltung, Glaubenssätze und Feedback von andern zu verbessern, vielleicht sogar ihre unterdrückte Wut ansatzweise zeigt und feststellt, es passiert nichts Schlimmes, sondern der Adressat (hier: Mitpatient) freut sich, endlich ein Gegenüber auf Augenhöhe zu bekommen.

(Halten wir es zwischendurch nochmal fest, um Missverständnisse zu vermeiden: Es gibt keinen prinzipiellen Gegensatz zwischen Spiegeln und Konfrontieren. Therapie besteht daher auch nicht aus entweder … oder … Die Bereitschaft zu spiegeln ist vielmehr eine Grundvoraussetzung des Therapeutenjobs. Im Verlauf der Therapie hat das Spiegeln einen relativ hohen Anteil oder ist so etwas wie der Grundrhythmus oder „Groove“. Beim Konfrontieren handelt es sich um not-wendende Momente, in denen das rein empathische Spiegeln das nicht leisten kann, was es braucht, und eher dem Therapiefortschritt entgegenwirken würde. Und auch sonst kann der „Groove“ ganz schön nerven, es gibt doch Hunderte oder Tausende therapeutische Interventionen, warum also so viel Spiegeln?)

Konfrontation bedeutet, dem Patienten zu helfen, der Realität ins Auge zu sehen. Und dazu muss ich als Therapeut auf der Basis meiner Kenntnisse des Patienten, aber auch meiner Gefühle und Phantasien, immer wieder Spekulation riskieren, muss ihm „spiegeln“, wie ich ihn im Hier und Jetzt erlebe und was ich daher für das Leben außerhalb der Therapie vermute: „Was Ihnen hier passiert und wie ich Sie wahrnehme, das passiert Ihnen auch draußen im Leben.“ Es handelt sich um eine Art ungeschminkte Ehrlichkeit, ein unzensiertes Denken – welches wir dem Patienten ja so dringend beibringen wollen: unzensiert denken und fühlen. Daher sollten wir Vorbild sein. Dies kann Schock und Schmerzen beim Patienten auslösen, häufig ist dies im ersten Moment der Fall, aber mindestens ebenso häufig eine Erleichterung: endlich gesehen zu werden in der großen Not der Gegenwart – und schon fängt diese an sich zu ändern. Viele Patienten, die im ersten Moment entsetzt sind, sagen häufig noch in der gleichen Stunde, dass ihnen schlagartig manches klar geworden sei.

Was sind die Voraussetzungen für ein konfrontatives Vorgehen? Die Patientin muss einen gewissen Halt in der Gruppe bereits haben: Sie ist sich des Mitgefühls aus der Gruppe einigermaßen sicher. Auch meiner Empathie als Therapeut vertraut sie prinzipiell, wir müssen eine zumindest halbwegs vertrauensvolle Beziehung haben. Nur dann kann ich es wagen, Fehler zu machen.

Wenn ich dagegen Patienten nicht mag, sollte ich die Finger von der Konfrontation lassen (!!!) und lieber mit „braver“ Spiegeltechnik arbeiten: „Ja, da höre ich bei Ihnen viel Verzweiflung …“ Der Ruf der therapeutischen Konfrontation ist unter anderem deshalb so schlecht, weil Therapeuten die Intervention gerade dann anwenden, wenn sie gerade nicht passt, nämlich bei Patienten, die sie insgeheim gerne „los“ wären. Wenn ich mich über einen Patienten ärgere, kann ich zwar konfrontieren, aber es muss unter dem Ärger eine funktionierende therapeutische Beziehung geben und einen Wunsch, gemeinsam weiterzukommen. Oder noch deutlicher: Ich muss den Patienten irgendwie lieben können.

Wichtig ist, den Fokus aufs Hier und Jetzt zu lenken: den Rahmen, in dem die Patientin ihre Selbstwirksamkeit und den Selbstwert steigern kann. Patienten merken es, wenn sie auf diese Weise in die Eigenverantwortung kommen. Das fühlt sich mal gut an und mal beängstigend. Ich habe es oft erlebt, dass Patienten während der Stunde gut arbeiten und gefühlt auch ein ganzes Stück vorankommen, aber am Ende wieder in die Opferrolle zurückfallen: „Naja, das war ja ganz nett. Aber das bringt doch alles nichts. Wenn Sie meinen Mann (Chef, Vater, Sohn, Bruder, XY, NN) kennen würden …“ Bei Menschen mit längerer Therapieerfahrung antworte ich dann schon direkt: „Warum machen Sie dann eigentlich noch Therapie?“ Wenn wir nur die Erzählung des „draußen“ Erlebten (der schlimme Mann, Chef, die mobbenden Kollegen, der abwesende Vater, undankbare Sohn, Bruder, XY, NN) als Referenz haben, sind wir häufig in der Opferlogik gefangen. Es geht nicht darum, diese Erzählung besserwisserisch in Frage zu stellen, sondern uns gemeinsam daran zu erinnern, dass wir an „den andern“ da draußen nicht arbeiten können, nur an uns selbst.

Es ist es immer sehr hilfreich, den Patienten nicht nur zu mögen, sondern seine Geschichte, auch seine „Akte“ zu kennen und ihn oder sie idealerweise sogar außerhalb der unmittelbaren Therapie zu erleben, etwa auf dem Klinikflur, im Speisesaal, in der Raucherecke usw. Wie oft habe ich schon beim Blick aus dem Fenster Patienten hervorragend Tischtennis spielen sehen (das kann ich einigermaßen beurteilen) und eine Menge Spaß haben, lachen, sich mit anderen Patienten umarmen usw. – aber eine halbe Stunde später in der Therapie erzählen sie, dass es ihnen noch nie so schlecht ging, ja, dass jetzt alles sogar noch schlimmer sei als vor der Klinik. Oder eine Patientin möchte ständig von bestimmten Gruppentherapien befreit werden wegen körperlicher Gebrechen, aber per Zufall erzählen Mitpatienten, dass sie in der Patientendisko „abgehe wie die Lucy“. Das ist schön für diese Lucy, und da darf die „konfrontative“ Frage erlaubt sein, was Therapie so schrecklich macht, dass es ihr dort immer hundselend gehen muss. Oder ein Patient klagt wiederholt darüber, dass er „alles“ verloren habe und niemand zu ihm hält, aber ich weiß, dass er nicht nur ein Haus besitzt, sondern auch drei Kinder hat, von denen zwei am Wochenende zu Besuch kamen. Warum ist es für ihn so wichtig, immer wieder in den Klagemodus und ins Schwarzweißdenken (alles, niemand) zu gehen – und wovon lenkt dies ab?

Konfrontieren bedeutet nicht „überführen“. Ein Therapeut ist kein Kommissar. Bei Menschen z.B. mit ausgeprägten Essstörungen fühlt es sich manchmal so an, als hätten wir Therapeuten eine Kommissaren- oder Detektiv-Rolle, da diese Patientinnen sich und damit auch andere ständig „belügen“ bzw. ihren Fehlwahrnehmungen erliegen, aber es ist kontraproduktiv, diese Kommissaren-Rolle anzunehmen. Nein, wir müssen das Erwachsenen-Ich des Patienten erreichen, selbst und gerade wenn sich dieser kindisch verhält. Sie müssen selbst ihr Detektiv werden, sich auf die Schliche kommen. Wichtig: In der Therapie spielen dabei Schuld und Moral (ob es um „Betrug“ geht) eine untergeordnete Rolle.

Im Grunde könnte man die „Technik“ der Konfrontation auch als konfrontierendes Spiegeln bezeichnen, denn ich beziehe Aspekte ins Spiegeln ein, die der Patient gerade nicht sehen kann: Etwa wenn ich der Patientin sage, dass ich sie gerade eher wie 14 als wie 40 Jahre alt erlebe; es ist etwas Offensichtliches, also würde man es in einem „Spiegel“ auch sehen, aber sie sieht es gerade nicht. Oder wenn ich einen Patienten darauf hinweise, dass er zum wiederholten Male der Gruppe die traurige Geschichte erzählt, wie ihn seine Mutter zu früh in der Krippe abgegeben hat – aber immer noch nicht daran arbeitet, dass seine Frau sich gerade jetzt, wo er in der Klinik ist, von ihm trennen will.

Natürlich sollten Therapeuten keine gehüteten Geheimnisse vor der Gruppe offenbaren. Wir dürfen unser Mehrwissen nicht dazu nutzen, Patienten bloßzustellen – d.h. (in diesem Beispiel) die reine Information der Trennung muss schon bekannt sein. Oder ich muss den Patienten um Erlaubnis bitten, das halbe Geheimnis mit ihm zu lüften. Dann kann ich sagen: „Ich an ihrer Stelle … Mir würde ja der Hintern brennen und der Kopf rauchen, wenn ich mir vorstelle, dass ich in zwei Wochen nach Hause komme und meine Frau ist weg. Stattdessen reden Sie gefühlt zum x-ten Male von ihrer Mutter vor 50 Jahren …“

Der Schwenk von der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft ist eine der wichtigsten Konfrontationen: Patienten neigen dazu, die Vergangenheit mehr oder weniger breit und wiederholt darzustellen und daraus die Begründung für ihr gegenwärtiges Verhalten oder das Erklärungsmodell für all ihre Probleme abzuleiten (ein Modell, welches ihnen bisher nicht geholfen hat!). Es scheint immer noch das vorherrschende Verständnis zu sein, dies sei Psychotherapie: Das Teilen der (verzerrten) Wahrnehmung der Vergangenheit und das Praktizieren von Mitgefühl dafür.

Ja, Patienten wollen gesehen werden. Doch unsere Leitfrage sollte immer lauten: „Was muss anders werden in Ihrem Leben?“ Um welche Schwierigkeiten geht es gerade jetzt im Leben – und ist es für die Lösung dieser Schwierigkeit von Nutzen, eine Geschichte, die 20, 30 oder 40 Jahre zurückliegt, immer wieder durchzukauen? Oft klingen diese Geschichten so plausibel, dass die Frage nach Empathie fast rhetorisch ist: Natürlich war und ist es schlimm, dass er (z.B.) von seiner Mutter nicht genug Liebe bekam, und das soll der Therapeut auch bezeugen, aber jetzt geht es doch darum, dass der Patient unter einem ganz aktuellen Beziehungsabbruch leidet, dass er längst erwachsen und gegenüber seiner scheidungswilligen Frau eben kein hilfloses Baby mehr ist! Und dass er im Übrigen mehr oder weniger gut durch 40 oder 50 Lebensjahre gesteuert ist, mit Höhen und Tiefen, jedenfalls nicht als Baby.

Eine elegante Form der Konfrontation ist die des „Angebots“: „Ich kenne Sie noch zu wenig, aber in mir taucht die Phantasie auf, dass … Darf ich …“ und dann rede ich darüber, was der Patient in seinen Erzählungen ausspart und tabuisiert. Dadurch, dass ich es als Spekulation kennzeichne, könnte ich es gleich wieder verwerfen, wenn es nicht zuträfe oder sich der Patient noch ganz im Widerstand gegen diese Erkenntnis befindet. Allerdings bedeutet Konfrontation manchmal auch, auf etwas zu bestehen, d.h. den Patienten mit seinen Schutzmechanismen zu konfrontieren, die eben längst dysfunktional sind: wenn er etwa immer noch und wieder die Beziehung zu seiner Frau idealisiert und das Potenzial betont, während die Frau schon die Koffer gepackt oder einen neuen Partner hat.

So oder so, das konfrontative Spiegeln erfordert sicher mehr Mut als das rein mitfühlende Wiedergeben. Diese traditionelle Art von therapeutischer Empathie macht jedoch Therapie für den Therapeuten oft sehr anstrengend, erstens verbal und kognitiv, ich muss ja immer sehr aufmerksam sein, was und wie gerade etwas detailliert erzählt wird, zweitens emotional: Ich lade mir auf diese Weise die Sicht des Patienten in meinen Speicher – und seine erlernte Hilflosigkeit gleich mit.

Spiegeln in meinem Verständnis heißt dagegen, alles zurückzugeben, was nach einem Antrag auf „Mach Du mal!“ oder „Helfen Sie mir doch!“ riecht. Selbstverständlich will ich dem Patienten helfen, doch diese Hilfe ist begrenzt, ich bin kein Retter (denn dann mache ich den Patienten zum Opfer bzw. lasse ihn in dieser Rolle) – und daher muss ich auch solche Retter-Anträge aus der Opfer-Perspektive begrenzen.

Ja, Therapie besteht zu 51 % aus Empathie. Daher bedeutet Konfrontation selten, dass ich mit dem Patienten wirklich einen Konflikt austrage, wenn es um die unterschiedliche Wahrnehmung des Problems geht. Bei der Konfrontation geht es darum, den Patienten zu einer unerwarteten Perspektive auf das Problem zu verleiten und ihm bei dieser „Enthüllung“ beizustehen. Durch den Überraschungseffekt führt dies häufig zu besonders berührenden Momenten, als würde sich eine Tür öffnen. Und manchmal öffnen sich auch Schleusen.

Konfrontation bringt für den Patienten im Idealfall eine unerwartete und große Erleichterung: gesehen zu werden nicht nur mit dem, was er erzählt, sondern mit etwas, dass er sogar vor sich selbst verheimlicht hat. Etwa das Geheimnis, dass hinter dem in jeder Hinsicht stark wirkendenden Mann, der gerade den Gruppenanführer spielt, ein ganz ängstlicher, verschämter Junge steckt. Dazu muss ich den Mut haben zu sagen: „Ich sehe seltsamerweise gerade einen kleinen Jungen …“ Oder das Tabu, dass es in der Partnerschaft der Patientin, die ständig betont, welche Unterstützung ihr Mann für sie sei, doch große Probleme gibt. Dazu muss ich die Steilvorlage liefern: „Andere in Ihrem Alter wünschen sich Kinder, wollen eine Familie gründen.“

Selbstverständlich ist es heikel, z.B. einen unerfüllten Kinderwunsch zu thematisieren (wie überhaupt meist alles, was mit Sexualität zu tun hat). Doch Konfrontieren beinhaltet, dass wir die versteckten und verdrängten Sehnsüchte, Bedürfnisse und Wünsche der Patienten und die damit verbundenen Ängste probeweise benennen, nicht als Enthüllung (im Stil von „ich weiß etwas“ oder gar „ich bin mir sicher“), sondern als Angebot, es doch mal anders zu sehen.

Okay, ich gebe es zu: Manchmal ist Konfrontation das, wonach es klingt – knallhart. Wenn Patient*innen sich nach Wochen in der Klinik immer noch nur vor allem in Projektionen aufhalten (ständig sind die anderen schuld), sich von jedem Windhauch „triggern“ lassen, um schnell in die Opferhaltung zu kommen, sich aus dem Gruppengeschehen heraushalten oder auf ihren Pseudogefühlen herumreiten („das hat mich verletzt“) statt von Angst, Wut, Trauer und Scham zu sprechen, dann kann es durchaus erlaubt und nötig sein, dies deutlich zu benennen. Es wäre fraglos viel besser, wenn diese Art von Spiegeln aus der Therapiegruppe heraus geschähe („wie ich Dich erlebe“) und der Therapeut Moderator und Übersetzer bleiben könnte, aber manchmal dürfen wir uns nicht davor drücken, selbst den „Drecksjob“ zu machen und den Elefanten im Raum zu benennen.

Und ja, bei der Konfrontation kann man Fehler machen, das betrifft den Zeitpunkt, die Art und Weise oder auch die (Fehl-)Wahrnehmung dessen, was man für konfrontationswürdig hält.  Ich mache Fehler, immer wieder, mal mehr, mal weniger gravierend. Manchmal musste oder durfte ich mich schon dafür entschuldigen, wobei die Entschuldigung selten der wichtigste Part einer Aufarbeitung von Fehlern ist, sondern die schonungslose Darlegung von Wahrnehmungen und Gefühlen, auch echtem Bedauern und eigener Scham. Es wäre allerdings gefährlich, aus Angst vor Fehlern, also vor der Scham sich fehlerhaft zu zeigen, generelle Abstriche bei der Konfrontation zu machen. Vielleicht ist das sogar eine unsere wichtigsten Vorbild-Funktionen: sich mit der eigenen Scham zu zeigen.

Echt: Gefährlich! Die größten Fehler als Therapeut habe ich nicht beim Konfrontieren gemacht, sondern beim Nicht-Konfrontieren. Ich denke da u.a. an Patientinnen mit Essstörungen, die wiederholt therapeutische Vereinbarungen brachen und denen ich es unter welchen Pseudoargumenten auch immer nachgesehen habe. (Sehr beliebt ist in diesem Zusammenhang unter Therapeuten der entlastende Spruch, die Patientin sei trotz allem „aber gut im Prozess …“, was auch immer das bedeuten mag.) Die Angst vor der Konfrontation hat viel mit der Übertragungssituation und dem typischen Pseudogefühl zu tun: „Papi ist doch schon streng genug“. Es ist jedoch überhaupt nicht streng, sondern therapeutisch-liebevoll, die Realität zu benennen und die Patientin als Erwachsene zu behandeln, die der Realität durchaus ins Auge schauen kann.

Last not least: Ich bin immer wieder erleichtert, wenn ich sehe, wie Patientinnen mir meine Fehler in der Retrospektive auf ihre Therapiezeit nachsehen – die Fehler beim Konfrontieren und die beim Nicht-Konfrontieren. Letztlich ist es vermutlich so: Das Wesentliche ist die Beziehung als Basis. Wenn Du Deinen Job liebst, also die Menschen, wird am Ende meist alles gut.