M wie Meditation

Als ich vor 30 Jahren, um meine Perspektiven als Journalist zu verbessern, ein Zeitungsvolontariat in Frankfurt (Oder) absolvierte, stellten sich recht bald mehr oder weniger beängstigende Symptome ein, u.a. Juckreiz und häufiger Durchfall. Ich war einigermaßen verzweifelt darüber, da ich mich zu der Zeit schon zwei Jahre ziemlich gesund ernährte und dachte, damit müsste ich alle Probleme im Griff haben. Ein Arzt, dem ich mehr oder weniger zufällig begegnete, sagte mir: „Sie müssen nur meditieren, dann werden ihre Beschwerden verschwinden.“ Er hätte für mein Empfinden genauso gut sagen können: „Sie müssten nur auf den Mond fliegen …“ Ganz ehrlich habe ich geantwortet: „Das kann ich mir nicht vorstellen. Diese Ruhe, das macht mich wahnsinnig.“

Abgesehen davon, dass es nicht nur die stille Meditation gibt, sondern eine Fülle an Möglichkeiten zu meditieren, stimmt es allerdings, dass wir in der Ruhe oft erst die große Unruhe verspüren, die in uns oder in unserem Leben ist – und dass in dieser Wahrnehmung das Meditieren zunächst alles schlimmer machen kann oder zu machen scheint. Auf der anderen Seite gibt es wenig, was uns so nachhaltig zur Gelassenheit verhelfen kann und damit den großen Lebensstress reduziert, wie das Meditieren. Da sind wir auch schon bei einem meiner Lieblingszitate: „Meditation ist die gelassene Begegnung mit dem, was ist.“ (Thich Nhat Hahn)

Man kann sich ja nicht zwingen, ruhig und gelassen zu sein. Aber man kann lernen, sich so zu lassen, wie man gerade da ist: eben auch unruhig und aufgewühlt. „Vieles kann, nichts muss, alles darf sein …“ ist auch ein schönes Motto, „… und ich identifiziere mich nicht damit.“ Das ist das (nennen wir es mal) buddhistische Freiheitsverständnis: Nichts verdrängen, aber auch nicht sich überrollen oder mitreißen zu lassen, sondern beobachten. Statt meine scheinbar unerträglichen Gedanken und Empfindungen zu verdrängen, lasse ich sie zu – und lasse sie dabei auch ein bisschen los. Statt die Störungen und Ablenkungen von dem, was ich als Ziel der Meditation mir vorgestellt habe, zu bewerten (und mich selbst abzuwerten), begrüße ich dies alles: „Aha, ihr störenden Gedanken seid auch wieder da …“ Ich kann sogar die Bewertung, wenn sie nicht verschwinden mag, begrüßen: „Grüß Gott, ohne Bewertung scheint es auch heute mal wieder nicht zu gehen; Du darfst auch dabei sein.“

Zugegeben, auch mir erscheint immer noch das wie erleuchtete stille Meditieren auf dem Kissen, das „Sitzen“ die höchste Kunst der Meditation. Doch warum soll ich mir den Reichtum der Meditation(en) entgehen lassen, nur weil ich mich mit der hohen Kunst oft noch schwer tue? Meditation ist sicher mehr als „Technik“, aber warum Techniken ausschließen, wenn es mir hilft? Die einfachste „Technik“ ist die Atembeobachtung, und da die reine Beobachtung dann doch gar nicht so einfach ist, da schnell störende Gedanken oder Empfindungen sich melden oder dem Geist langweilig wird und er in mein Leben und in die Welt hinausspaziert, gibt es Hilfstechniken rund um den Atem: z.B. Atemzüge oder Atemlängen zählen oder auch sich Schlüsselbegriffe mit den Atemzügen innerlich vorsagen oder ganze Mantren. Ich mag sehr das Mantra: „Mit dem Einatmen schenke ich mir ein Lächeln, mit dem Ausatmen erlaube ich mir Ruhe, es gibt nichts zu tun.“

Tatsächlich kann man sich mit solchen und vielen anderen, gerne auch selbst zusammengestellten Mantren regelrecht „programmieren“. Was ich mir häufig mit Überzeugung vorspreche, das werde ich irgendwann fester glauben und leben. Vielleicht führt das ein bisschen weg vom „eigentlichen“ Meditieren, obwohl ich der Meinung bin, da gibt es kein richtig oder falsch. Das ist ja auch ein schöner Spruch, den wir vom Heilsamen Singen kennen: „Es gibt keine Fehler nur Variationen.“ Sich immer mehr von Bewertung und Leistungsdenken lösen und mehr der Erfahrung überlassen.

Beim Heilsamen Singen verwende ich in der Anmoderation noch häufiger das afrikanische Sprichwort „Wer reden kann, kann auch singen, wer gehen kann, kann auch tanzen.“ Warum das immer stimmt: Es handelt sich um die gleichen „Instrumente“. Vor einiger Zeit habe ich gelesen, dass es eine Variante dieses Spruchs auch für die Meditation gibt: „Wer atmen kann, kann auch meditieren.“ Und da wir alle atmen, können wir alle meditieren.

Wie kommt es, dass viele von uns mit dem Meditieren so etwas wie Erleuchtung verbinden – und es genau deshalb für sich ausschließen? Meditieren ist Erleuchtung, zunächst einmal ganz pragmatisch: Während mir quasi aller Scheiß begegnet (und vielleicht auch manches Schöne bewusst wird), habe ich manchmal für Sekunden oder Minuten mehr oder weniger gewaltige Aha-Erlebnisse: Mir geht ein Licht. Ach, echt, so ist das. „Zehn bewusste Atemzüge können Dein Leben verändern.“ Das klingt vielleicht ziemlich bescheuert oder übertrieben, aber in der Meditation wirkt es auf einmal ganz real.

Es gibt aber noch einige andere Aspekte der Erleuchtung. Wahrscheinlich ist allen spirituellen Traditionen und Kulturen die Überzeugung oder Idee gemeinsam, dass wir alle in uns so etwas wie einen göttlichen Kern haben, mit dem immer alles in Ordnung ist. In der Meditation, oder wie auch immer derartige Praktiken aus traditioneller Sicht genannt werden, können wir diesem göttlichen Kern begegnen und damit unserem unendlichen Mitgefühl und unserer großen Dankbarkeit. Und wir können Kontakt aufnehmen zum göttlichen Kern anderer Lebewesen, wir können sie mit unserem Mitgefühl segnen – selbst wenn wir mit dem betreffenden Menschen außerhalb des „Meditationsraums“ ziemlich heftige Konflikte haben und in für unausstehlich halten. Hier kommen wir in Bereiche der sog. transpersonalen Psychologie. Tatsächlich ist die Praxis der Meditation eine hervorragende Ergänzung der Psychotherapie (in der es häufig um Problem und Konflikte geht) für Psychotherapeut*innen und für Klient*innen.

Meditation, das ist ein unerschöpfliches Thema, und glücklich- bzw. paradoxerweise bin ich auch nach vielen Jahren klitzekleiner Schritte auf diesem Terrain noch so unwissend, dass ich halbwegs unbefangen darüber schreiben kann 🙂 Einen Gedanken möchte ich noch vorstellen: „Meditieren bedeutet Ordnung in sein Leben bringen.“ Nun, das klingt wieder sehr zweckgebunden, während wir doch manchmal denken, Meditation sollte zweckfrei sein. Oh, es gibt so viele Widersprüche und Paradoxien in diesem Feld, da lohnt es sich, ab und zu einen Text von Lao-Tse (Laozi) zu lesen, um zu ahnen, dass dies offenbar dazu gehört. Zurück zur Ordnung: Meditieren ist wie ein Regal aufräumen oder kann so „genutzt“ werden. Wenn wir uns dem inneren Wirrwarr aus Gefühlen, Gedanken und Empfindungen stellen, mit Gelassenheit und Mitgefühl, kann sich – wie in Erleuchtung – eine neue Ordnung herauskristallisieren.

Vor einiger Zeit hatte ich das Glück, freitags in der Frühe eine Meditation anzuleiten. Zuerst haben wir uns meist ausgetauscht über die unterschiedlichen Erfahrungen mit Meditation und Fragen, die sich daraus ergaben. Eine Teilnehmerin erzählte, dass sie einige Wochen zuvor erstmals eine stille Meditation mitgemacht habe – und es schrecklich fand (vielleicht war es die oben erwähnte „Erstverschlimmerung“, das Bewusstein vom inneren Chaos). Schnell habe sie sich aus diesem Angebot ausbuchen lassen, aber nichtsdestoweniger noch nicht ganz aufgegeben und andere Formen der Meditation besucht: Tanzmeditation, Schüttelmeditationen, Klang- und Tonmeditationen, geführte Chakrenmeditationen und anderes mehr. Nach und nach hätte sie wieder mehr Neugier verspürt, es noch einmal wissen zu wollen, wie das nun wohl mit der stillen Meditation ist, dem „Sitzen“. Sie kennen sicher die Pointe: Auf einmal fand sie es großartig.

Ich wünsche Ihnen viel Freude auf dieser Entdeckungsreise ins Mediland. Nicht vergessen: Begrüßen statt Bewerten!

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