Wer sucht, der findet. Das trifft nicht nur auf verloren gegangene Dinge zu, sondern auch auf das, was man im Leben sucht, z.B. einen Traumjob: Leider oder zum Glück werden wir – die allermeisten von uns – nicht von irgendwem „entdeckt“, der unsere Talente erkennt und das dazu passende Leben vermittelt. Wir müssen selbst suchen und uns bewerben. Das ist auch eine Art der Selbst(er)findung. Sich selbst finden … Wir kommen darauf zurück.
Das ganze Leben ist eine Suche. Zumindest lässt es sich so beschreiben. Was suchen wir außer dem Traumjob? Freunde, Partner, eine wunderbare Familie oder die Heimat, die wir nicht hatten. Erfolg, Geld? Träumen Sie noch oder leben Sie schon? Geht es mal wieder um grundlegende Bedürfnisse wie Liebe und Sicherheit, Selbstbestimmung und Freiheit? Was ist mit Anerkennung und Selbstwert? Und was mit Wahrheit, Weisheit und Sinn?
Bemerkenswert scheint mir auch, bevor wir uns in diesen Höhen verlieren oder abzustürzen drohen, dass wir nicht zwingend immer Besonderes suchen. Ich habe „alle Jahre wieder“ einmal jene Selbstverständlichkeit gesucht, die ich bei anderen meinte zu erkennen: Haus und Hof und Kinder, der Sonntag frei, man geht vielleicht auf den Sportplatz (nein, nicht zum Frühschoppen, ich sicher nicht). Na, so richtig wollte ich das nicht, aber die Selbstverständlichkeit war schon attraktiv, dieses Ja zum Alltäglichen. Und es gab immer wieder Phasen, wo ich einen Hauch davon gefunden zu haben glaubte (nicht Fuß0ball, aber Tischtennis) und nicht recht wusste, ob mich dahinein entspannen dürfte – oder ob ich weiter Entwicklung und Wachstum suchen müsste. Man darf ja nicht stehenbleiben, sonst, ja, was sonst – hört man die innere Unruhe.
Patienten antworten auf die Frage nach Zielen am Beginn der Therapie nicht selten: „Ich bin auf der Suche nach mir selbst.“ Oder auch: „Ich bin hier, um mich selbst wieder zu finden.“ Die Suche nach sich selbst „verrät“ oft etwas, das die Betreffenden gerade nicht meinen, um was es aber bei näherem Hinsehen bzw. im Fortgang der Therapie geht: durch die verschiedenen Schalen und Schichten der Verdrängung suchen wir zum Kern an Bedürfnissen, Wünschen und Träumen zu gelangen. Da dabei große innere und äußere Konflikte auf uns warten, schrecken wir vor dieser „Selbstfindung“ im Alltag zurück. Die bisweilen ziemlich nebulös wirkende Suche nach sich selbst verweist auf massive emotionale Belastungen (Trauer, Angst, Ohnmacht), die aus verschiedenen Gründen nicht als solche wahrgenommen werden können oder zumindest von der Suche abgespalten sind. Die Angst vor psychologischer Tiefe verpuppt sich in eine Liebe zu philosophischem Tiefgang, ähnlich wie bei der Suche nach dem Sinn des Lebens. Eine derartige Suche nach sich selbst kann dann sogar die Flucht vor sich selbst meinen – das ist das, was viele von uns jahre- oder jahrzehntelang praktizieren: sich suchen, aber dabei bloß nicht auf die schmerzhaften, schwierigen Anteile stoßen wollen.
Unter den speziellen Bedingungen einer Auszeit (verkürzt gesagt: Kloster oder Klinik) ist die Wendung hin zum Kern der Probleme zwar möglich.Wir dürfen aber gerne am Anfang etwas philosophischer sein, solange wir uns mit Patienten im Beziehungsaufbau befinden und diese sich noch sehr wenig zutrauen an psychologischer Innenschau. Ich füge allerdings meist früh hinzu, dass man auf diesem Weg nicht zum Kern des Problems kommt, und der Patient komme ja wegen Problemen und nicht, um die Frage nach dem Sinn des Lebens auf theoretischer Ebene mit mir zu klären! (Es gibt durchaus besonders harte „Nüsse“, die es gerne so behandelt wissen möchten, als ob sie es theroretisch gelöst haben wollen, da kann der psychologische Vorstoß des Therapeuten dann zu regelrechten Aggressionen führen – siehe dazu das immer wieder empfehlenswerte Buch „Die Schopenhauer-Kur“ von Irvin Yalom!) Vielleicht können wir beide auf diesem Weg schon einmal erkennen, dass manches nicht in unserer Hand liegt und so zu einem freundlicheren Bild von unserem Leben gelangen.
„Du hast schon alles, was Du suchst, Du musst dies nur erkennen – oder Du musst nur in Kontakt mit Dir selbst kommen.“ Solche spirituellen Weisheiten fühlen sich an manchen Tagen „wahr“ an, an anderen sind sie mit ziemlich schalem Geschmack verbunden. Gerade im spirituellen Bereich besteht eine lebenslange Suche, weil wir keine Erkenntnis oder Erleuchtung als ewige Wahrheit fixieren können, etwas vom Gegenteil stimmt meist auch. Und jene Lehrer, denen wir die schönsten Weisheiten am ehesten „abkaufen“ haben oft wahrlich einen weiten Weg hinter sich. Hier geht es also darum, eine Balance zwischen Suche und Gelassenheit hinzubekommen.
Bloß nicht „anhaften“, lautet die Devise (nicht nur in der Meditation). Wahrscheinlich haben die meisten von uns die Erfahrung gemacht, was passiert, wenn man etwas zu verbissen sucht: vom verlegten Schlüssel bis zum Beziehungspartner, man findet es, sie oder ihn gerade dann nicht, sondern das ergibt sich eher anders als erwartet. Allerdings, es muss eine Offenheit da sein, wir müssen gefunden werden können! Und dann ist es mehr als nur eine originelle Achtsamkeitsübung, mal nicht zu suchen, sondern sich finden zu lassen, gerade wenn man sonst ein(e) eifrig Suchende(r) ist, also immer sehr aktiv Ausschau hält. Hier zunächst die Übung: z.B. einen Waldspaziergang machen „wie ein Anfänger“, also mit ganz wachen, wie neuen Sinnen, und schauen, was uns begegnet, was wir mitnehmen können, ohne dass wir es gesucht haben. Und so durchs Leben gehen, nicht ständig, aber immer mal wieder? Wer sucht, der findet, wer nicht sucht (aber offen ist), der wird gefunden.
Bei der lebenslangen Suche agieren wir nicht selten betriebsblind: Wie übersehen, was wir bereits haben, geschweige denn, dass wir es wertschätzen, wir übersehen oft auch, dass wir immer nur in eine Richtung suchen. Wenn dabei nichts rauskommt, sollten wir es mal in der anderen Richtung versuchen.
Vielleicht ist unsere vermeintlich so aktive Suche, wie oben schon angedeutet, in Wahrheit häufig nichts anderes als Flucht. Wir suchen Glück, indem wir vor dem (vermeintlichen) Unglück davonlaufen. Wir suchen das bessere Leben in der Gegenrichtung von Angst. Wonach wir nicht suchen, das hat oft damit zu tun, was wir zu vermeiden suchen. Oder wir trauen uns erst gar nicht zu suchen, an eine ganz entschiedene Suche zu denken, weil Angst uns zurückhält. Der Mut zur Neugier fehlt. Dann lieber rationalisieren: „Ja, ja, ich bin zufrieden. Das passt schon …“ Das klingt schon fast nach Depression und bedeutet es häufig auch, vielleicht nicht mittelschwer im Sinne der amtlichen Diagnostik, aber schwer genug. Eine echte Suche hat dagegen etwas von Versuchen, Probieren, Riskieren.
Die existentielle Suche wird von Sehnsucht angetrieben, sie hat vielleicht mehr mit Melancholie und Nostalgie als mit Hoffnung zu tun. Auch wenn wir (ich zumindest) um keinen Preis in unsere Vergangenheit zurückwollen, so suchen wir doch nicht selten das Leben, wie es damals hätte sein können.
Diese Suche scheint also rückwärts und vorwärts zu pendeln. Ich finde die Vorstellung plausibel und manchmal geradezu attraktiv, dass wir ein Leben lang auf der Suche nach einer Art Reich Gottes sind, nach Einklang und Frieden, wie sie auf Erden unmöglich sind, wie es der schöne Spruch auf – wer hätte das gedacht – Beileidspostkarten formuliert: „Wir sind wie Zugvögel, die, an einem fremden Ort geboren, doch eine geheimnisvolle Unruhe empfinden, wenn der Winter naht, einen Ruf des Blutes, eine Sehnsucht nach der frühlingshaften Heimat, die sie nie gesehen haben und zu der sie aufbrechen, ohne zu wissen wohin.“ (Ernesto Cardenal)
Das klingt zwar eher nach transzendentalem Trostpflaster als nach Glück, im Grunde kann man sowohl die theistischen Religionen als auch den Buddhismus so verstehen: das als „Glück“ Bezeichnete überzeugt uns nicht jeden Tag als pralles Leben. Man muss es aber nicht so verstehen, vielmehr kann die Suche nach dem Göttlichen, welches es hier auf Erden in Reinform nur in Ideen, Idealen und bestenfalls Einstellungen gibt, mit Glücksmomenten verbunden sein. Wer sucht, erlebt die Freuden der Spiritualität.