Hallo, liebe Leserin, lieber Leser: Meinen Segen hast Du! Fühl Dich willkommen in der Welt und glaube daran, dass Du Gutes in die Welt bringst, gerade so, wie Du bist. Ich wünsche Dir alles Gute!
Bist Du noch da? Oder hast Du abgeschaltet?
Diesmal möchte ich mich dem Thema des Blogs anders nähern. Es ist fraglos ein spirituelles Thema. Fangen wir also mit der Spiritualität an, wie ich mich ihr am leichtesten nähern kann: mit Musik. Ich praktiziere seit vielen Jahren das heilsame Singen, einen eigenen Blog dazu habe ich nicht geschrieben, u.a. weil ich mich an anderen Stellen (z.B. unter der Workshop-Rubrik) dazu schon geäußert habe.
Also, zunächst ein Lied von Helge Burggrabe: Du bist gesegnet! Wenn Sie können, lassen Sie es einfach mal wirken. (Wenn es schwierig oder unangenehm ist, gehen Sie natürlich weiter im Text.)
Manchmal können wir Botschaften in einer Fremdsprache einfacher annehmen oder aussprechen. Die ersten Jahre (!) habe ich deswegen kaum – bzw. oft nur auf ausdrücklichen Wunsch von Klienten – deutschsprachige heilsame Lieder gesungen. Daher folgt hier noch ein Segenslied von Michael Stillwater auf Englisch. Zu meinen Patienten sage ich: „Es ist eine verhaltenstherapeutische Übung“, wie ein Spiel, es einfach zu versuchen, sich gesegnet zu fühlen, immer wieder: Feel the Blessing. Spür den Segen, wie er durch Dich strömt, Du musst nichts tun, spür den Segen in Deinem Herzen, es gibt nichts zu tun. Nothing that You need to do!
Beide Lieder stammen letztlich aus einer christlichen Tradition – was manche Leser oder Teilnehmer davon abhalten kann, das Segensreiche daran anzunehmen. Im Grunde gibt es eine große Schnittmenge mit allen spirituellen Kulturen, z.B. mit dem Gedanken des „Namaste“ im Hinduismus und ähnlich im Buddhismus. Ich grüße das Göttliche in Dir und weiß, dass Du gesegnet bist. Nicht von ungefähr handelt es sich bei den beiden eher „christlichen“ Blessing-Songs ja nicht um übliche Lieder mit drei oder vier Strophen und einem Refrain, sondern eher um Mantras.
Segnen heißt für mich so etwas wie willkommen heißen und Glück wünschen, vor allem am Beginn oder Abschluss der Begegnung. Es fühlt sich so an, als würde man dabei eine gewisse Energie dem Gegenüber schicken oder schenken. Dies kann zwar auch in einer Freundschaft oder einer engeren Beziehung geschehen, für mich bezieht sich das Segnen gerade auf Menschen, die sich nicht so gut kennen, und dennoch oder erst recht sich segnen. Das geht nur in einem bestimmten Rahmen, es gibt eine gemeinsame Basis des Wohlwollens oder der Gemeinschaft, manchmal ja auch des Glaubens.
Wenn ich das „Du“ auf Dich, auf verschiedenste Gegenüber und Partner beziehe: Das Gefühl für Nähe und Distanz bzw. unsere Bedürfnisse in dieser Dimension ändern sich z.T. deutlich, wenn wir das Gegenüber segnen. Aber warum sollten wir dies tun? Ist es nicht eine Art Selbstüberhebung: Ich segne einen anderen Menschen? Braucht man dafür keine Lizenz (als Pfarrer oder irgendwie Geweihter)? Ich denke: nein. Zur echten Segenshaltung gehört allerdings, dass sie frei von eigenen Absichten ist, nicht manipulativ gemeint sein darf. Ich segne den anderen, fertig – nicht, um etwas zu bekommen, sondern um etwas zu verschenken. Und: Ich kann niemand segnen, der das gar nicht möchte, so wie ich Segen verstehe, kann er nicht übergriffig sein.
Im Rahmen einer Fortbildung haben wir geübt, andere – in der Begegnung zu zweit, aber auch in Gruppen – zu segnen und beobachtet, was sich dadurch ändert, wie viel näher ich mich dem anderen fühle oder ihm kommen kann. Mir ist die Idee gekommen: „Du könntest mein Bruder oder mein Vater, mein Sohn oder Neffe sein …“ Die Idee kann dem inneren Segen vorausgehen, aber auch nachfolgen. Spirituell gesehen, sind wir ja alle Geschwister oder Verwandte. Mir hilft es, gerade wenn mir jemand spontan fremd vorkommt, mich auf diese gedanklich-ideelle Weise innerlich an den Segen heranzutasten. Das entspricht auch der Ausdehnung von Wohlwollen und Mitgefühl im Rahmen der an den Buddhismus angelehnten Achtsamkeitspraxis.
Es ist eine spannende Erfahrung, als Gruppe einem Einzelnen gegenüber zu stehen, der uns segnet, mit einer richtigen Geste. Oder der zu sein, der die Gruppe segnet. Es liegt nahe sich vorzustellen, dass wir uns dabei mit einer höheren und größeren Kraft verbinden. Ich erfahre allerdings gerne immer mehr darüber, wie es anderen ergeht (die nicht wie ich eine katholische Vergangenheit hatten). Selbstverständlich kann auch umgekehrt eine Gruppe eine(n) Einzelnen segnen, denken Sie nur an „Viel Glück und viel Segen“ und die Gefühle, wenn es ankommt. Diesen Effekt macht man sich auch in verschiedenen therapeutischen „Formaten“ zunutze (z.B. Aufstellungs-, Einstellungs- und Ritualarbeiten).
Was passiert, wenn ich das „Du“ im „Du bist gesegnet“ auf mich beziehe – so wie es in den Segensliedern in der Regel gedacht ist. Mal fiktiv gefragt: Was änderte sich für Sie, wenn es wahr wäre? Vielleicht gäbe es weniger zu tun und zu leisten. Vielleicht müssten Sie es nicht länger allen recht machen, müssten nicht ganz toll sein – weil Sie schon gesegnet sind, willkommen im Leben, ohne etwas dafür tun zu müssen. Vielleicht versuchen Sie es mal und können bald etwas mehr loslassen und zulassen, etwas mehr leben im Hier und Jetzt. (Da gibt es wieder die Parallelen zum Buddhismus und zur Achtsamkeit.)
Andere segnen setzt wahrscheinlich voraus, dass ich mich selbst segne, dass ich mich willkommen heiße, als gesegnet annehme. Wo und wann erlebe ich mich als gesegnet? Und wo und wann als Segen für andere? Sich gesegnet erleben könnte auch heißen: Ich mag mich. Ja, ich mag mich wie ich bin, im Großen und Ganzen und vielleicht auch gerade trotz alledem (was ich nicht mag). Da besteht auch eine Unsicherheit, wie weit diese Selbstliebe reicht und ob ich nicht doch vollkommen sein müsste, um mich ganz zu mögen. Es ist – nicht nur für Patienten 🙂 – eine Übung: nicht vollkommen, und doch willkommen zu sein. (Nochmals, mit Musik fällt es leichter.)
Man kann das Segnen als Ritual der Inneren-Kind-Arbeit verstehen. Laut John Bradshaw, einem Pionier, der diese Arbeit vor über 40 Jahren (mit)initiierte, verfügen Kinder zunächst über eine natürliche Spiritualität. Obwohl sie noch kaum Bewusstsein haben, hat ihr „Ich bin“ auch die Bedeutung von „Ich bin verbunden mit allem, geschaffen und gehalten von einer göttlichen Kraft“. In der Arbeit am „Kind in uns“ (so der damalige Buchtitel) geht es demnach darum, dieses „göttliche Kind“, das keine toxische Scham kennt, sondern sich genauso wie es ist richtig fühlt, wiederzufinden und zu beschützen.
Ich gehe also in der Therapie immer wieder in eine Haltung des Segnens, typischerweise zu Beginn oder am Ende einer Stunde oder auch beim „letzten“ Abschied am Ende der gemeinsamen Zeit. Es hat etwas mit der Haltung von Seelsorge zu tun, wie ich sie verstehe, inklusive einer Form von Gelassenheit: „Wir haben uns beide Mühe gegeben, und doch bleibt vieles im Moment noch frommer Wunsch und Hoffnung. Möge es Dir gut gehen!“ Vielleicht spielt die Idee eine Rolle, dass ich mich dabei mit einer höheren Kraft verbinde, und vielleicht gelingt mir das dank meiner christlichen Prägung leichter: Wenn ich als kleiner Junge zur Haustür hinauswollte, kam ich im Erdgeschoss an der Wohnung meiner Großeltern vorbei, nicht selten trat meine Oma heraus, steckte ihre Hand in ein kleines Weihwassergefäß an der Wand und segnete mich (sie machte mit dem Finger kleine Kreuze auf die Stirn, ich glaube, meist auch auf Mund und Herz). Manchmal fand ich es lästig, aber ich mochte meine Oma für ihre Art der Zuneigung und im Nachhinein berührt es mich.
Da fällt mir noch eine schöne Geschichte ein: Der Segen meines Großvaters von Rachel Naomi Remen. Es ist auch eine sehr „therapeutische“ Geschichte mit der Botschaft, dass wir lernen (müssen/dürfen/können), uns dies an Wertschätzung und Beglückwünschung selbst zu sagen, was früher Bezugspersonen oder andere wichtige Menschen zu uns gesagt haben – oder eben nicht gesagt haben, obwohl sie es gedacht haben oder vielleicht nicht einmal das (weil sie selbst so verstrickt waren). Kurzum: „Was für ein Glück, dass Du auf der Welt bist!“
In den tradierten christlichen Segenssprüchen ist der Gedanke der Behütung und des Beschenktwerdens im Sinne von „Gnade“ seit vielen Jahrhunderten ausformuliert. Ich verstehe den Abschiedssegen heute so: „Schön dass es Dich gibt …“ Und (nicht nur „Pass auf Dich auf!“ sondern): „Sei behütet vom Allmächtigen“! Und (nicht nur: „Lass es Dir gut gehen!“ sondern): „Möge Dir viel Gutes widerfahren!“ Da ist etwas, was auf Deinem Weg nicht in Deiner Macht liegt, und dafür wünsche ich Dir Glück.
PS. Leider wurde mit den christlichen Ritualen und Begriffen viel autoritär-manipulative „Schwarze Pädagogik“ betrieben oder diese damit verschleiert, so dass viele Menschen z.B. bei „Gnade“ sofort abgeschreckt werden. Ich habe es schon mehrfach erlebt, dass Klient:innen, nachdem ich mit der Gruppe ein heilsames Lied gesungen hatte, am Ende der Stunde mehr oder weniger wütend zu mir kamen: Wie ich es wagen könne, nach all den Missbrauchsskandalen noch christliche Lieder zu singen … Wie schade! Dabei singe ich gar keine christlichen Lieder. Da aber heute offenbar mein persönlicher Tag des „christlichen Lieds“ ist, möchte ich Ihnen noch ein heilsames Segenslied von Iria Schärer ans Herz legen: Ich schick Dir einen Engel.