Nichts begleitet uns lebenslang so beständig wie der Atem. Er „ist“ gewissermaßen das Leben. Und da er immer bei uns ist, können wir seine Unterstützung an jedem Ort und zu jeder Zeit nutzen. Der Atem verbindet die äußere mit der inneren Welt. Das trifft zwar auch die Ernährung zu, dort handelt es sich allerdings eher um ein Einverleiben und Aneignen – selbst wenn wir beim Essen sehr achtsam sein sollten. Beim Atem vollzieht sich diese Verbindung viel subtiler.
Therapeutisch gesehen, scheint aber etwas anderes noch bedeutsamer: Der Atem verbindet Körper, Seele und Geist. Was soll das heißen? Der Körper befindet sich immer im Hier und Jetzt. Unsere Gedanken dagegen beschäftigen sich viel damit, was war und was sein wird – und daraus entstehen bekanntlich häufig Probleme und Symptome, wir grübeln, sind traurig, wütend, ängstlich … Unsere Gefühle unterliegen also dem Einfluss von beiden Seiten: körperliche Empfindungen, die durch Gedanken gedeutet, aber auch angestoßen werden.
Mit der Konzentration des Bewusstseins auf den Atem holen wir den Geist ins Hier und Jetzt, wir können uns mit dem Atem wahrnehmen: „Ich bin da“ und auch „Ich bin da, wo es keine Probleme gibt“. Wir werden „lebendig“ oder „real“, wie Thich Nhat Hanh sagt, denn nur im Hier und Jetzt ist Leben, Hängen wir in Vergangenheit oder Zukunft sind wir dagegen „tot“. Das achtsame Atmen (ohne zu bewerten) ist eine Praxis der „Auferstehung“, der Erweckung zum Leben.
Mein Tipp: Erinnern Sie sich tagsüber regelmäßig – oder lassen sich durch Handy, Zettel am PC u.ä. erinnern – daran, für ein paar Momente achtsam zu atmen. Ich empfinde es als hilfreich, mir dabei synchron zum Atemfluss eine Art Mantra oder Gatha vorzusprechen. Eine ganz einfache Form wäre: „Ich atme ein. Ich atme aus. Ich bin da.“ Sehr schön (frei nach Thich Nhat Hanh) finde ich die Formel: „Mit dem Einatmen schenke ich mir ein Lächeln. Mit dem Ausatmen komme ich zur Ruhe. Es gibt nichts zu tun.“ Statt oder, je nach Länge der Atempause auch ergänzend zu „Es gibt nichts zu tun“ kann man auch sagen: „Das Leben ist voller Wunder.“
Im folgenden Besinnungstext, den ich gelegentlich zur Einstimmung in die Gruppentherapie verwende, sind diese Gedanken „zusammengefasst“. Er baut auf Weisheiten von Thich Nhat Hanh auf, man könnte darin aber auch Sätze von Hazrat Inayat Khan wieder entdecken. Entscheidend ist, dass Sie sich selbst darin wieder erkennen:
Der Atem …
Der Atem verbindet die äußere mit der inneren Welt.
Und er verbindet Körper und Geist.
Was soll das bedeuten?
Der Körper ist im Hier und Jetzt.
Der Geist treibt sich überall herum.
Mit dem Atem holen wir den Geist ins Hier und Jetzt.
In den gegenwärtigen Augenblick.
Wo der Körper bereits ist und auf ihn wartet.
Mit dem Atem können wir uns wahr-nehmen:
Ich bin da.
Wir werden lebendig. Wir erwachen.
Wir werden mit dem Atem „real“.
Und: Wir nehmen wahr, wer noch da ist.
Unser Gegenüber wird auch lebendig.
Vielleicht magst Du Deinen Atem beobachten.
Und Dir dabei sagen:
Mit dem Einatmen schenke ich mir ein Lächeln.
Mit dem Ausatmen schenke ich mir Ruhe.
Das Leben ist voller Wunder.
Es gibt nichts zu tun.
Ich erlaube mir im Hier und Jetzt zu sein.
Ich bin willkommen.
© 2019/2021, nach Gedanken von Thich Nhat Hanh