P wie Partnerschaft

Was wird – während oder nach der Psychotherapie – aus der Partnerschaft? Wird sie neu belebt, bleibt sie auf der Strecke oder passiert gar nichts Bedeutendes? Es gibt dazu keine verlässliche Prognose. So viel möchte ich aber vorneweg sagen: Wenn es Ihnen eigentlich um die Partnerschaft geht, warum Sie sich wünschen, „der andere“ möge endlich Therapie machen, dann sollten Sie ihn vermutlich lieber direkt für Paartherapie gewinnen, denn Psychotherapie kann man nur für sich selbst machen, nicht für den andern. Und was dabei rauskommt, wer weiß das schon …

Ja, Partner haben oft unrealistische Erwartungen an die Therapie, die der andere macht oder machen sollte: z.B. dass er „es“ dort endlich begreift (dass die Arbeit nicht das ganze Leben ist, dass er sich von seinen Eltern lösen muss, dass er die beste Partnerin ever hat …). Und so hat sich schon manch eine Frau, die sich zuvor lange wünschte, ihr Mann möge endlich Therapie machen, später gewundert, wie sie ihn „zurückbekam“, wenn überhaupt. Therapie wirkt sich, anders als viele Partner hoffen, nicht automatisch positiv auf die Partnerschaft aus. In vielen Fällen erhöht sie zumindest für einige Zeit den Stress in der Partnerschaft. Sicher gibt es auch gegenteilige, also erfreuliche Einflüsse von Therapie auf Partnerschaft, hier möchte ich aber, nach zahlreichen Erfahrungen und Enttäuschungen von Partnern oder auch anderen Angehörigen, vor allem auf die problematischen Seiten hinweisen. (Ich skizziere dies vor allem in Bezug auf einen Klinikaufenthalt, mit einigen Abstrichen lässt es sich auch auf manche ambulante Therapie übertragen.)

Der Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik führt bei einem Teil der Patientinnen und Patienten zur zeitweiligen Entfremdung von den Partnern „zu Hause“. Dazu tragen verschiedene Faktoren bei: In der Klinik begegnen die Patienten anderen Menschen in einer ähnlichen Problemlage, man verbringt viel Zeit miteinander und erlebt viel Nähe, dabei entsteht in wenigen Wochen, auch durch die Intensität der Therapie und des Gemeinschaftserlebens – und durch die Abwesenheit von alltäglichen Verpflichtungen – eine Intimität, die einem Fremdgehen gleichkommt, ohne dass Sex stattgefunden hat. Nicht selten entwickeln sich Verliebtheiten zu Mitpatienten oder auch in Therapeuten, die Betroffenen entdecken an sich lange ungelebte Seiten und projizieren ungelebtes Leben auf andere.

Zu dieser Entfremdung kommt noch eine aktive Form der (scheinbaren) Illoyalität: Es ist zwar nicht so, dass es der Mehrheit der Patienten leichtfällt oder Spaß macht, negativ über den Partner zu sprechen, aber sie tun es über kurz oder lang. Das fühlt sich komisch, illoyal und moralisch verkehrt an – vor anderen schlecht über die Nächsten und Liebsten zu reden. Daher müssen wir als Therapeuten gelegentlich sogar nachhelfen. Es gehört zwingend zur Therapie: Eine Art von unzensiertem Denken und auch Reden, eine Befreiung von Tabus innerhalb des therapeutischen Rahmens. Wenn die Patientin nach unserer Wahrnehmung schon länger, öfter oder immer wieder über ihren Partner in Form von „der verdammte Scheißkerl“ denkt, dann kann es sein, dass wir sie motiviere, dies einmal richtig rauszulassen. Diese Art der Freiheit ist zwar auf die Therapie begrenzt, sie beinhaltet keinesfalls einen Freibrief, den Partner in Zukunft mit „Arschloch“ anzusprechen, nur weil man sich geärgert hat oder verletzt fühlt. Im Gegenteil, ich betone immer wieder, dass Partner oder Angehörige, egal wie sehr wir „unter ihnen“ (meinen zu) leiden, keine schlechteren Menschen sind! Doch trotz dieser Versicherungen kann, gerade bei wenig therapieerfahrenen Menschen, durch ein gewisses Outing über die Partnerbeziehung in der Therapie so etwas wie ein Schuldbewusstsein hängen bleiben, im Grunde Scham, dass andere nun etwas Intimes von uns wissen – das wird als schlechtes Gewissen mit nach Hause gebracht (so müsste es nicht sein, aber so ist es oft).  

Aber auch beim Partner zu Hause kann sich in der Zwischenzeit Entfremdung eingestellt haben. Manche(r) auf sich allein gestellte(r) Angehörige(r) bemerkt erst mit Staunen, dann vielleicht mit Genuss oder gar Erschrecken, wie gut er oder sie alleine klarkommt, selbst wenn dies z.B. die Versorgung der Kinder beinhaltet. Auch da werden plötzlich Ressourcen und Qualitäten entdeckt, die zuvor verschütt gegangen waren. Gerade in lang dauernden Beziehungen macht sich nun bemerkbar, dass man sich vielleicht nicht nur tendenziell auseinanderentwickelt, sondern an der Entfaltung von Potenzial wechselseitig gehemmt hatte – oder es scheint zumindest so. Tatsächlich können Partner die stärkste Unterstützung für unsere Entwicklung sein, manchmal aber auch die stärkste Bremse – in der Regel, wenn sie sich überfordert fühlen (aber das Gefühl gar nicht als solches wahrnehmen); was ja oft mit ein Grund war, warum sie froh waren, dass wir endlich in die Klinik kamen.

Bei der Rückkehr des Klinikpatienten treffen manchmal Erwartungen und Ansprüche aufeinander, die alles andere als gut zusammenpassen: Der zurück gelassene Angehörige meint nicht selten, jetzt habe der Partner endlich begriffen, was er am andern habe und wie das geht mit dem ausgewogenen Geben und Nehmen; zudem wird gelegentlich Anerkennung (und Gegenleistung) dafür erwartet, was man alles in der Zwischenzeit alleine gewuppt hat. Der frisch entlassene Klinikpatient wiederum hat in der Klinik viel Appetit auf ein neues Leben bekommen und gelernt, dass er der wichtigste Mensch in seinem Leben ist – was mitunter falsch verstanden und noch viel häufiger falsch kommuniziert wird. Da kommen notwendige Abgrenzung und Selbstfürsorge dann doch als Egoismus rüber. „Was für eine Sch…Klinik war das denn?“ (Solche Kommentare finden sich immer wieder in Internetforen, so als habe die Therapie die Beziehung kaputt gemacht.)

Apropos Kommunikation: Der Therapie-Erfahrene meint nun nicht selten, dass er (oder sie) es „drauf“ hat mit der Empathie und der Kommunikation, schließlich hat er gelernt Feedback zu geben und Gefühle wie Bedürfnisse bei anderen wahrzunehmen und zu benennen. In vielen Gruppensitzungen erprobt und bewährt – und beim Abschied als empathischer Mitpatient gepriesen. Und wundert sich dann, dass der „Schuss“ mit der Gewaltfreien Kommunikation zu Hause beim Partner nach hinten los geht. Das ist aber zu erwarten: je näher uns jemand steht, desto schwieriger ist es mit der GFK – und wir können nicht gleichzeitig Konfliktpartei sein und so tun, als wären wir ein neutraler oder gar semiprofessioneller Begleiter.

Wichtig ist daher vor allem, ein paar Grundsätze des Zusammenlebens in der Klinik auf zu Hause zu übertragen: Es gibt keine besseren oder schlechteren Menschen (nur weil dies z.B. noch keine Therapie gemacht haben)! Alles Bestreben nach Partnerschaft kann nur Erfolg haben, wenn die gemeinsame Augenhöhe nicht verlassen wird. Es ist besser, die Kategorie „Schuld“ bei Problemen auszuklammern und stattdessen davon zu sprechen, wie es uns selbst gerade geht. Wenn ich wirklich in der Klinik gelernt habe, dass ich für mich sorgen muss, dann weiß ich, dass dies nicht ohne Konflikte abgeht – und dabei spielt Schuld keine Rolle. Verantwortung für mich selbst schon.

Wenn Paare zu mir in die Paarberatung kommen, verpflichte ich sie auf meine Arbeitshypothese: „Jede(r) hat 50% Anteil an der Partnerschaft, am Guten wie am Schlechten. Keine(r) ist besser oder schlechter.“ Daher hat auch jede(r) genau die Hälfte der Redezeit, selbst wenn dies gelegentlich ein bisschen konstruiert wirkt – schließlich bin ich ja noch da, um den ein oder anderen Satz herauszulocken. Da geht es im Übrigen ebenfalls um eine Art unzensiertes Reden: Die Gefühle und Bedürfnisse von beiden sind immer voll berechtigt, und genauso dürfen und sollten wir darüber reden. Wer sich auf diese Grundlage nicht einlassen kann hat m.E. wenig Chancen auf partnerschaftliche Weiterentwicklung.  

Nach so viel Warnung vor Enttäuschungen möchte ich am Ende auf die Chancen für die Partnerschaft hinweisen, die eine erfolgreiche Psychotherapie beinhaltet, selbst wenn (vorerst) nur eine(r) der beiden Therapie macht: Mehr Achtsamkeit für sich selbst zahlt sich mittelfristig auch für die Partnerschaft aus (sofern eine gemeinsame Basis vorhanden ist), ebenso größeres Empathievermögen, gesteigerte Dankbarkeit und bessere Kommunikationsfähigkeiten, insbesondere in punkto eigene Gefühle und Bedürfnisse. Nichts ist so tödlich für eine Partnerschaft wie das Schweigen und Beschweigen von Problemen – und darauf lässt sich ein therapieerfahrener Mensch seltener wieder ein. Auf anderes muss er (sie) sich einlassen, es geht nicht ohne Kompromisse, aber ohne faule Kompromisse schon. Er ist in der Therapie mutiger geworden (vielleicht wusste er vorher gar nicht, dass er ängstlich war, wurde nur für „verstockt“ gehalten), erschrecken Sie nicht, denn Mut ist gut für die Liebe! Für beide Partner gilt: Schauen Sie immer wieder auch auf das Verbindende. Und lassen Sie sich Zeit fürs neue Kennenlernen.